Gedenken an die Verschleppung polnisch-stämmiger Juden zur NS-Zeit
Ausstellungseröffnung in der Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum am Sonntag, den 8. Juli 2018
Nr. 176/2018 vom 03.07.2018
Kaum jemand erinnert sich heute noch an die mehr als 1500 Berlinerinnen und Berliner, die in den frühen Morgenstunden des 28. Oktober 1938 in ihren Wohnungen, Geschäften und auf der Straße verhaftet wurden und mit dem Zug an die polnische Grenze gebracht wurden. Sie gehörten zu etwa 17 000 Personen, die am letzten, kalten und nassen Oktoberwochenende aus dem Deutschen Reich gewaltsam nach Polen ausgewiesen wurden. Es war die erste Massendeportation aus dem Deutschen Reich. Alle Betroffenen wurden verschleppt, weil sie Jüdinnen und Juden waren und die polnische Staatsangehörigkeit besaßen. Erstmals wird die Geschichte dieser einmaligen Ausweisungsaktion in einer Ausstellung in Deutschland erzählt. Im Zentrum stehen Familien, die aus Berlin ausgewiesen wurden.
Zu diesen Familien gehörten die Jaffes, die direkt neben dem Centrum Judaicum in der Krausnickstraße mit ihren drei Kindern lebten. Aus Berlin wurden der mittlere Sohn Siegfried und sein Vater Lazar, der einen Eierhandel unten im Haus betrieb, ausgewiesen. Siegfried konnte 1939 mit einem Kindertransport nach Australien entkommen. Lazar, seine Frau und seine Tochter Sophie wurden 1942 in Polen ermordet. Der älteste Sohn Josef überlebte im Versteck in den Niederlanden.
Aus Kreuzberg wurde Leo Adler mit seinem ältesten Sohn Norbert nach Zbąszyń (Bentschen), den zentralen Ort der Ausweisungsaktion auf polnischer Seite, abgeschoben. Im März 1939 wurden auch Leos Frau Sabina und die beiden jüngeren Kinder gezwungen, die Wohnungsschlüssel bei der Polizei abzugeben und sich sofort nach Polen zu begeben. Leo Adler wurde im September 1939 in Dynow ermordet, seine Familie überlebte die Shoah in der Sowjetunion. Die Tochter Leo Adlers, Rita Berger, wird am 29. Oktober 2018 mit ihrer Familie zu einer Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der „Polenaktion“ mit weiteren Familien im Centrum Judaicum erwartet.
Die Pressekonferenz zur Ausstellung
Ausgewiesen! Berlin, 28.10.1938. Die Geschichte der „Polenaktion“
Beginn: Freitag, der 6. Juli 2018 um 10.00 Uhr. Geführter Rundgang durch die Ausstellung im Anschluss.Ort: Seminarraum der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Oranienburger Str. 28-30, 10117 Berlin.
Kontakt/Anmeldung bitte über info@aktives-museum.de oder telefonisch unter 030-2639890 39
Eröffnung der Ausstellung
Beginn: Sonntag, der 8. Juli 2018 um 11.00 Uhr.Ort: Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Oranienburger Str. 28-30, 10117 Berlin.
Kontakt/Anmeldung bitte über info@aktives-museum.de oder telefonisch unter 030-2639890 39
Im Rahmen des Ausstellungsprojektes ist eine umfangreiche Datenbank angelegt worden, die in der Ausstellung zugänglich sein wird. Sie enthält biografische Informationen zu rund 500 aus Berlin ausgewiesenen Jüdinnen und Juden polnischer Staatsangehörigkeit.
Im Metropol Verlag ist der von Alina Bothe und Gertrud Pickhan herausgegebene Begleitband zur Ausstellung erschienen. Rezensionsexemplare können beim Verlag angefordert werden (nicole.warmbold@metropol-verlag.de). Zahlreiche Abbildungen zum historischen Ereignis und zu den einzelnen Familiengeschichten stehen für Presseberichte zur Verfügung.
Die Ausstellung in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum wurde gemeinsam vom Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. und dem Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin unter Mitwirkung der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, des International Tracing Service Bad Arolsen und der Fundacja TRES erarbeitet. Das Begleitprogramm findet in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung und der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum statt. Das pädagogische Angebot wurde in Zusammenarbeit mit dem International Tracing Service Bad Arolsen und der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum entwickelt.
Team
- Projektleitung: Dr. Christine Fischer-Defoy (Aktives Museum), Prof. Dr. Gertrud Pickhan (Freie Universität Berlin)
- Kuratorin: Dr. Alina Bothe
- Koordination: Kaspar Nürnberg
- Projektassistenz: Christine Meibeck
- Gestaltung: eot Berlin –Lilla Hinrichs und Anna Sartorius
- Die Ausstellung und der Begleitband werden großzügig gefördert von:
- Projektfonds zur Förderung zeitgeschichtlicher und erinnerungskultureller Projekte der Senatsverwaltung für Kultur und Europa des Landes Berlin
- Friede Springer Stiftung
- Sanddorf Stiftung
- Szloma-Albam-Stiftung
- Ernst-Reuter-Gesellschaft
- IES Chicago
Die beteiligten Institutionen:
Aktives Museum
Das Aktive Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel der „Aufklärung über deutsche, insbesondere Berliner Geschichte der NS-Zeit, über Entwicklungen, die die Machtübernahme der Nationalsozialisten ermöglichten und die Folgen und Kontinuitäten in der Zeit nach 1945“. Es ging 1983 aus einer Bürgerinitiative hervor, die sich mittels Aktionen und Demonstrationen für einen Denkortauf dem damals brachliegenden Gestapo-Gelände einsetzten, wo die Zentralen des NS-Unterdrückungsapparates bis 1945 ihren Sitz hatten. Das Aktive Museum ist ein archetypisches Beispiel eines Geschichtsvereins, der aus der Bewegung der „Geschichte von unten“ hervorging. Es ist kein Museum im traditionellen Sinne. Es ist ein Verein, der für seine vielfältigen Ausstellungen, Diskussionsveranstaltungen und sonstigen Projekte mit anderen Institutionen in Berlin kooperiert.
Arbeitsbereich Geschichte des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin
Der Arbeitsbereich Geschichte unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Gertrud Pickhan widmet sich in verschiedenen Forschungsprojekten der Geschichte Osteuropas und hat einen spezifischen Schwerpunkt auf der Geschichte der osteuropäischen Judenheiten. Frau Pickhan leitete das Forschungsprojekt „Charlottengrad und Scheunenviertel“, das sich mit osteuropäischen Jüdinnen und Juden im Berlin der 1920er Jahre beschäftigte. Hierzu ist im Jüdischen Museum Berlin die Ausstellung „Transit und Transformation“ gezeigt worden. Dr. Alina Bothe, die Kuratorin der Ausstellung „Ausgewiesen!“, arbeitet zur Zeit an einer Habilitationsschrift zur Verfolgung der Jüdinnen und Juden polnischer Staatsangehörigkeit im Deutschen Reich 1938-1942. Sie hat zur digitalen Geschichte promoviert.
Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum
Die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum erzählt in ihrer Dauerausstellung zur Biografie der Neuen Synagoge und ihrer Menschen Berliner und deutsch-jüdische Geschichte; in temporären Ausstellungen greift sie Themen auf, die einen Bezug zu Berlin haben und gleichzeitig darüber hinaus blicken. Mit den Veranstaltungen mischt sich die Stiftung in gesellschaftliche Debatten ein, gibt Kultur und Forschung eine Bühne und bringt Menschen aller Generationen zum Diskutieren zusammen. Als Vermittlungsformate gibt es Führungen durch die Ausstellungen und die Umgebung sowie themenzentrierte und zielgruppenspezifische Seminare. Die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum beherbergt eines der wichtigsten Archive zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland. Kern des Bestands ist ein großer Teil des früheren in Berlin ansässigen Gesamtarchivs der deutschen Juden, das Akten von jüdischen Gemeinden und Institutionen sammelte. Auf all diesen Feldern kooperiert das Centrum Judaicum national und international mit anderen Institutionen, ermöglichen Forschung und initiieren eigene Forschungsprojekte.
International Tracing Service (ITS) Bad Arolsen
Der International Tracing Service (ITS) ist ein internationales Zentrum zu NS-Verfolgung mit dem weltweit umfassendsten Archiv über die Opfer des Nationalsozialismus. Seit 2013 gehören die 30 Millionen Originaldokumente zum UNESCO-Weltdokumentenerbe „Memory of the World“. Als zentrale Informationsstelle beantwortet der ITS rund 16.000 Anfragen jährlich und gibt Auskunft über die Schicksale von NS-Verfolgten. Für die heutige Gesellschaft ist der ITS eine einzigartige Wissensquelle über Ausgrenzung, Verfolgung, den Holocaust und Migration nach 1945. Als Ideengeber für Wissenschaft und Bildung arbeitet der ITS international mit Gedenkstätten, Archiven und Forschungsinstitutionen zusammen. Um den freien Zugang zu den Dokumenten zu ermöglichen, hat der ITS damit begonnen, seine Bestände in einem Online-Archiv zu veröffentlichen.
Fundacja TRES
Die in Zbąszyń in der Wojwodschaft Großpolen ansässige Fundacja TRES engagiert sich seit über 16 Jahren auf lokaler Ebene, um vor Ort kulturelle Initiativen und interkulturelle Kommunikation zu unterstützen, oft auch in Kooperation mit nationalen und internationalen Kooperationspartnern. Durch die Organisation von Seminaren, Ausstellungen und Konzerten und sonstigen Kultur- und Bildungsveranstaltungen trägt sie zum Aufbau einer vielfältigen Zivilgesellschaft und zur Förderung von Demokratie und Toleranz bei.