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Zwei hochdotierte Förderungen des Europäischen Forschungsrates

ERC Starting Grants für Verhaltensbiologin und Neurowissenschaftler der Freien Universität Berlin

Nr. 204/2018 vom 27.07.2018

Die Verhaltensbiologin PD Dr. Mirjam Knörnschild und der Neurowissenschaftler Dr. Radoslaw Cichy von der Freien Universität Berlin haben je einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) eingeworben. Die Förderung des ERC ist mit einer Summe von bis zu 1,5 Millionen Euro über höchstens fünf Jahre verbunden. Mit dem Format ERC Starting Grant fördert der Europäische Forschungsrat wegweisende Projekte von Forscherinnen und Forschern in einem frühen Stadium ihrer wissenschaftlichen Laufbahn. „Kultur als Triebkraft der Evolution“ lautet das Thema von Mirjam Knörnschilds Projekt. Radoslaw Cichy widmet sich der Frage, wie Hirnaktivität visuelle Objekterkennung ermöglicht.

Zu den Projekten

Forschungsprogramm Culture as an evolutionary force (Kultur als Triebkraft der Evolution) von PD Dr. Mirjam Knörnschild

Das Thema des geförderten Projekts von PD Dr. Mirjam Knörnschild, Fachgebiet Verhaltensökologie und Bioakustik, Heisenberg-Gruppenleiterin am Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität und Gastwissenschaftlerin am Berliner Museum für Naturkunde, Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, lautet Culture as an evolutionary force: Does song learning accelerate speciation in a bat ring species? (Kultur als Triebkraft der Evolution. Beschleunigen erlernte Dialekte im Fledermausgesang die Entstehung einer Ringart?).

Kultur spielt eine herausragende Rolle für die menschliche Evolution. Kulturelle Unterschiede können nicht nur unser Verhalten beeinflussen, sondern auch unsere Gene. Die Fähigkeit, als Erwachsene Laktose zu verstoffwechseln, hat sich zum Beispiel zusammen mit der kulturellen Errungenschaft der Viehhaltung entwickelt. Eine solche Ko-Evolution von Genen und Kultur findet sich in verschiedenen Lebensbereichen – nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. Allerdings ist es bisher unklar, ob kulturelle Unterschiede bei Tieren lediglich mit genetischen Unterschieden einhergehen oder ob die kulturellen Unterschiede letztendlich selbst auch die Entstehung verschiedener Arten begünstigen können. Diese Frage will Mirjam Knörnschild beantworten, in dem sie an einer Fledermausart den Einfluss von kulturell tradierten Dialekten auf Artbildung untersucht: Männchen der Großen Sackflügelfledermaus Saccopteryx bilineata sind bekannt für ihren vielseitigen Gesang, der deutliche regionale Unterschiede aufweist. Diese regionalen Dialekte sind kulturell tradiert, da sie durch Lernprozesse von Generation zu Generation weitergegeben werden. Zudem ist Saccopteryx bilineata in Mittelamerika eine sogenannte Ringart, was für das Forschungsvorhaben von entscheidender Bedeutung ist. Eine Ringart entsteht, wenn sich eine Art um eine Barriere – etwa eine Gebirgskette – herum ausbreitet und sich die beiden Populationen an den Enden des Rings bei ihrem gewissermaßen neuen Aufeinandertreffen nicht mehr verpaaren. Die Untersuchung einer Ringart mit kulturell tradierten Dialekten macht es erstmalig möglich, bei jedem Schritt der Artbildung entlang des Rings zu testen, ob kulturelle Unterschiede für die genetischen Unterschiede zwischen Populationen verantwortlich sind. Sollten kulturell tradierte Dialekte tatsächlich Artbildung beschleunigen, würde der kulturellen Selektion erstmals wichtige Bedeutung neben natürlicher Selektion und sexueller Selektion beigemessen.

Kontakt

PD Dr. Mirjam Knörnschild, AG Verhaltensbiologie, Freie Universität Berlin,Telefon: 030/838-50506, E-Mail: mirjam.knoernschild@gmail.com


Forschungsprogramm Cracking the neural code of human object vision (Den neuronalen Code der visuellen Objekterkennung bei Menschen knacken) von Dr. Radoslaw Cichy

Mit jedem Augenaufschlag wandelt das menschliche Gehirn den auf das Auge treffenden Photonenstrom in eine Wahrnehmung der Welt um, die aus bedeutungsvollen Objekten besteht. Trotz langwieriger und intensiver Forschung ist es bislang nicht gelungen zu verstehen, wie das Gehirn visuelle Objekterkennung zuwege bringt. Insbesondere drei fundamentale Fragen sind offengeblieben: Wie genau verarbeitet jede einzelne der involvierten Hirnregionen Objekte? Wie und was kommunizieren diese Regionen? Und welche Anteile der in der Forschung beobachteten Hirnaktivität unterliegen Verhalten? Das Ziel des Forschungsprogrammes CRACK (kurz für „Cracking the neural code of human object vision“ – Den neuronalen Code der visuellen Objekterkennung bei Menschen knacken) von Dr. Radoslaw Cichy ist es, sich diesen drei Fragen aus neuer Perspektive anzunähern und dadurch den Code, den das menschliche Gehirn für Objekterkennung nutzt, besser zu verstehen.

Dafür werden die an CRACK beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Leitung von Radoslaw Cichy auf neuartige Weise in einem dreistufigen interdisziplinären Arbeitsprogramm nicht-invasive Methoden der Bildgebung, spezialisierte multivariate Analysemethoden und komputationale Modellierung miteinander verbinden.

„Erstens wird CRACK die für jede involvierte Hirnregion spezifische Verarbeitungsart durch einen neuen Ansatz der Gehirnkartierung aufklären“, sagt Radoslaw Cichy. Dies werde durch die Zuhilfenahme von Computer-Algorithmen, sogenannten künstlichen neuronalen Netzwerken, möglich.

Im Rahmen des Programms soll in einem zweiten Schwerpunkt der Informationsfluss zwischen den Hirnregionen aufgeklärt werden. „Das Mittel ist eine neue methodologische Verbindung zweier Bildgebungsverfahren mit jeweils hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung“, erläutert der Neurowissenschaftler.

In einem dritten Schritt wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler feststellen, welche Anteile der in Schritt eins und zwei beschriebenen Hirnaktivität direkt dem Verhalten unterliegen.

Auf diesen drei Wegen will CRACK bestehende Barrieren im Forschungsfeld der Objekterkennung überwinden und empirische Evidenz für eine neue Theorie jener Hirnaktivität liefern, die die visuelle Objekterkennung ermöglicht.

Von den Erkenntnissen erhofft sich der Forscher neue Einblicke in die dem Sehen zugrundeliegenden neuronalen Mechanismen. „Dieses Vorhaben der Grundlagenforschung hat weiterhin Potenzial, die Art und Weise, wie wir generell über sensorische Verarbeitung im Gehirn denken und wie wir sie untersuchen, zu verändern“, sagt Radoslaw Cichy.

Kontakt

Dr. Radoslaw Martin Cichy, Emmy-Noether-Gruppe „Neuronale Dynamik Visueller Kognition“, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie, Freie Universität Berlin, Telefon: 030/838-61132, E-Mail: rmcichy@zedat.fu-berlin.de