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Studie: Regierungsparteien verloren im Jahr 2018 Mitglieder / Zugewinne für Oppositionsparteien mit Ausnahme der Linkspartei / SPD bleibt Partei mit den meisten Mitgliedern

Politologe Prof. Dr. Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin analysiert neue Zahlen der Mitgliederentwicklung der politischen Parteien in Deutschland

Nr. 227/2019 vom 26.07.2019

Alle Parteien der Regierungskoalition – CDU, CSU und SPD – sowie die Linkspartei haben einer Studie des Politologen Prof. Dr. Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin zufolge im Jahr 2018 einen Mitgliederschwund erlitten. AfD, Grüne und FDP gewannen dagegen zum Teil erheblich an zahlenden Anhängern hinzu. Mitgliederstärkste Partei blieb die SPD; sie behauptet diesen Platz seit 2016. Die Ergebnisse basieren auf Angaben der Mitgliederverwaltungen der Parteien. Die Studie erschien in der jüngsten Ausgabe (2/19) der Zeitschrift für Parlamentsfragen. Alle Daten sowie zusätzliche Tabellen und Schaubilder enthält ein Arbeitspapier der Freien Universität:https://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/news/Oskar-Niedermayer.html

Der Erhebung zufolge verlor die CDU als zweitgrößte Partei rund 2,6 Prozent ihrer Mitglieder und hatte Ende des vergangenen Jahres 414.905 Angehörige; es war der prozentual größte Verlust aller Parteien. Die SPD büßte ungeachtet der Eintrittswelle im Zusammenhang mit dem Entscheid über den Eintritt in eine Große Koalition Anfang 2018 rund 1,2 Prozent ihrer Mitglieder ein: Sie verzeichnete mit 437.754 Mitgliedern Ende vergangenen Jahres 22.849 Mitglieder mehr als die CDU. Die CSU als drittgrößte Partei verlor 1,9 Prozent der Mitglieder und kam auf 138.354 Personen. Den prozentual größten Zuwachs unter den Oppositionsparteien erreichte die AfD: Die Zahl ihrer Mitglieder erhöhte sich um 21,3 Prozent auf 33.516 Personen, blieb damit aber kleinste der sieben im Bundestag vertretenen Parteien. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen erzielte mit 15,7 Prozent ihren größten Zuwachs seit 1985; sie hatte Ende vergangenen Jahres 75.311 Mitglieder und blieb viertgrößte Partei Deutschlands. Die FDP als weiterhin fünftgrößte Partei steigerte die Zahl ihrer Mitglieder nach dem großen Zuwachs um 17 Prozent im Jahr 2017 um 1,4 Prozent auf 63.912 Mitglieder. Die Linkspartei büßte 0,5 Prozent ihrer Mitglieder ein und kam als weiterhin sechstgrößte Partei auf 62.016 Personen.

Da die CDU – anders als die SPD – nur außerhalb Bayerns Mitglieder gewinnen kann und mit 16 Jahren eine höhere Altersgrenze für eine Parteimitgliedschaft hat als die SPD (14 Jahre), ist die Gesamtzahl der Personen in der Bevölkerung, die sie überhaupt ansprechen kann, geringer. Obwohl sie weniger Mitglieder hat als die SPD, lag ihre Rekrutierungsfähigkeit, also der prozentuale Anteil der Parteimitglieder an der Gesamtzahl der potenziellen Mitglieder, daher Ende 2017 wie ununterbrochen seit 1999 höher als die der SPD: Der Wert der CDU erreichte im Jahr 2017 rund 0,71 Prozent der Bevölkerung ohne Bayern ab 16 Jahren, während die SPD auf rund 0,61 Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung ab 14 Jahren kam. Beide Parteien lagen bei dieser Betrachtung allerdings deutlich hinter der CSU zurück, die 1,27 Prozent der Bevölkerung Bayerns ab 16 Jahren als Mitglieder zählt. Die Werte der Rekrutierungsfähigkeit der anderen Parteien lagen deutlich darunter: Bündnis90/Die Grünen kamen wie die FDP und die Linkspartei auf 0,09 Prozent; die AfD erreichte 0,04 Prozent der Bevölkerung. CDU/CSU gemeinsam kamen auf einen Rekrutierungswert von 0,8 Prozent.

„Insgesamt waren 1980, nach dem Hinzukommen der Grünen in der alten Bundesrepublik knapp vier Prozent der beitrittsberechtigten Bevölkerung – fast zwei Millionen Bürger – in einer der fünf Parteien organisiert. Ende 1989 waren es noch 3,6 Prozent, nach der deutschen Vereinigung und dem Hinzukommen der damaligen PDS 3,7 Prozent“, konstatiert Politologe Oskar Niedermayer. Ende 2016 hätten noch 1,69 Prozent, Ende 2017 1,72 Prozent der beitrittsberechtigten Bevölkerung einer der sieben in der Studie berücksichtigten Parteien angehört. „Es ist somit trotz des Hinzukommens neuer Parteien zumindest bis Ende 2016 eine kontinuierlich abnehmende gesellschaftliche Verankerung des Parteiensystems zu beobachten.“ Ob der negative Trend durch die neueren Entwicklungen gestoppt werde, lasse sich momentan noch nicht sagen.

„Betrachtet man den gesamten Zeitraum seit 1990, so haben alle Parteien mit Ausnahme der Grünen und der AfD Mitglieder verloren, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße“, betont Prof. Dr. Oskar Niedermayer. Am stärksten habe es die Linke getroffen, die – trotz des Zuwachses durch die Vereinigung von PDS und WASG – Ende 2018 etwa 78 Prozent weniger Mitglieder gehabt habe als die PDS Ende 1990. Die FDP habe seit 1990 rund 62 Prozent ihrer Mitglieder verloren, die SPD 54 Prozent, die CDU fast 48 Prozent und die CSU etwa 26 Prozent. Die Grünen hingegen hätten ihre Mitgliedschaft seit 1990 um 82 Prozent steigern können, die AfD seit ihrer Gründung 2013 um fast 90 Prozent. „Nimmt man alle Parteien zusammen, so ist die Zahl der Parteimitglieder seit 1990 um knapp die Hälfte gesunken“, hebt der Wissenschaftler hervor. „Zwar haben die Parteien 2017 – dem Jahr der Bundestagswahl – noch 1,8 Prozent Mitglieder hinzugewonnen. Der langfristige Trend des Abschmelzens der Parteimitgliedschaften wurde dadurch jedoch nicht umgekehrt, wie jetzt die Zahlen für 2018 zeigen“, unterstreicht der Politologe. Insgesamt habe sich die Zahl der Parteimitglieder 2018 leicht um 0,2 Prozent verringert.

Im Gegensatz zu den meisten früheren Jahren war der Mitgliederrückgang 2018 bei der CDU der Studie zufolge nicht flächendeckend: „In 13 Bundesländern gingen die Zahlen zurück, in Berlin stagnierten sie, und in Brandenburg war sogar ein leichter Mitgliederzuwachs zu verzeichnen“, erläutert Politologe Oskar Niedermayer. Bei der SPD sei die regionale Entwicklung noch uneinheitlicher verlaufen: „Acht Bundesländer mussten einen mehr oder minder starken Mitgliederrückgang hinnehmen, in fünf Ländern erhöhten sich die Zahlen leicht, und Berlin, Mecklenburg-Vorpommern sowie Sachsen konnten einen deutlichen Zuwachs verbuchen.“ „Betrachtet man das gesamte Jahr 2018 im Vergleich zur hohen Zahl der Eintritte 2017, dann hat die No-GroKo-Kampagne der Jusos gegen den Eintritt der SPD in eine Große Koalition am Jahresanfang nicht zu einer weiteren Steigerung geführt: Im Gegenteil, die Eintritte sind deutlich zurückgegangen und zudem gab es mehr als doppelt so viele Austritte“, betont Niedermayer. Die Grünen legten der Studie zufolge überall zu, am wenigsten im Saarland mit 7 Prozent und am stärksten in Hamburg mit fast 34 Prozent. Die FDP habe ihre Mitgliedschaft in zwölf Bundesländern steigern können, in vier Ländern seien die Zahlen zurückgegangen. „Die Linkspartei verlor in allen ostdeutschen Bundesländern weiterhin Mitglieder, und auch in Berlin sowie sehr stark im Saarland gingen die Zahlen zurück“, hebt Oskar Niedermayer hervor. Die AfD habe überall zugelegt, am stärksten in den mitgliederschwächsten Landesverbänden Bremen und Saarland.

„Der Anteil der Frauen an den Parteimitgliedschaften ist nach wie vor sehr unterschiedlich“, sagt Oskar Niedermayer. Den geringsten Anteil wies demnach 2018 die AfD mit 17,1 Prozent auf, etwas höher lag der Anteil bei der CSU mit 20,7 Prozent. Den höchsten Anteil hatten 2018 mit 40,5 Prozent die Grünen zu verzeichnen, gefolgt von der Linkspartei mit 36,4 Prozent. Die SPD kam auf 32,6 Prozent Frauen unter den Mitgliedern, die CDU auf 26,3, die FDP auf 23,7 Prozent.

Deutliche Unterschiede gab es auch bei der Altersstruktur der Parteien. „Der Anteil der jüngeren Mitglieder bis 30 Jahre ist 2018 bei den Grünen, der FDP und der Linkspartei deutlich gestiegen“, hebt Oskar Niedermayer hervor. Er liege jetzt bei den Grünen und der FDP bei knapp 16 Prozent und bei der Linkspartei bei knapp 19 Prozent. Bei der CDU liege der Anteil der bis 30-Jährigen unverändert bei knapp 6 Prozent und bei der SPD bei knapp 9 Prozent; bei der CSU sei er auf knapp 5 Prozent gefallen. „Bei den Christdemokraten und der SPD ist die absolute Mehrheit der Mitglieder älter als 60 Jahre“, betont der Politologe. Bei der Linkspartei sei dies bis 2015 der Fall gewesen, zurzeit liege der Anteil bei 45 Prozent. Bei der FDP seien 34 Prozent der Mitglieder älter als 60 Jahre, bei den Grünen lediglich etwas mehr als 24 Prozent. „Betrachtet man das Durchschnittsalter aller Mitglieder, so sind die Grünen mit 49 Jahren die ‚jüngste‘ Partei, die CDU, CSU und SPD mit einem Durchschnitt von 60 Jahren die ‚ältesten‘ Parteien“, konstatiert der Wissenschaftler.

Oskar Niedermayer, geboren 1952 in Schönau bei Heidelberg, lehrte bis 2017 fast ein Vierteljahrhundert am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität; er führt die 2001 begonnene Parteienstudie im Ruhestand fort. Basis des jährlich erscheinenden systematischen Überblicks über die Entwicklung, regionale Verteilung und sozialstrukturelle Zusammensetzung der Mitgliedschaften sind Daten der Parteien. Oskar Niedermayer studierte Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und Politische Wissenschaft an der Universität Mannheim. Er promovierte mit summa cum laude über das Thema „Europäische Parteien? Zur grenzüberschreitenden Interaktion politischer Parteien im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft“ und habilitierte sich 1988 im Fach Politische Wissenschaft an der Universität Mannheim. Oskar Niedermayer lehrte an den Universitäten Mannheim, Konstanz und Heidelberg und war mehrere Jahre lang Direktor des Zentrums für Europäische Umfrageanalysen und Studien (ZEUS). Im Jahr 1993 folgte er dem Ruf an die Freie Universität Berlin. Zu seinen Schwerpunkten zählten Politische Soziologie, das politische System Deutschlands, Europaforschung und Methoden der Politikwissenschaft.

Weitere Informationen

Kontakt

Prof. Dr. Oskar Niedermayer, Telefon: 033731-14615, E-Mail: oskar.niedermayer@fu-berlin.de

Literatur