Ein Hologramm aus Quanten
Theoretische Physiker der Freien Universität Berlin entwickeln neue Methoden für holografische Dualitäten
Nr. 233/2019 vom 09.08.2019
Wissenschaftler der Freien Universität Berlin haben einen neuen theoretischen Ansatz entwickelt, um eine der wichtigsten Entdeckungen der fundamentalen Physik im 21. Jahrhundert besser zu verstehen: Die Existenz von Dualitäten zwischen Quantenphysik und Gravitation, bei denen beide durch die gleichen zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten bestimmt sind. Sie benutzten dazu Methoden der Quanteninformation, welche die Physik der fundamentalen Bausteine des Universums durch Konzepte der Informationstheorie beschreibt. Durch analytische und numerische Methoden auf Basis dieser verschiedensten Bereiche der Physik konnte so gezeigt werden, dass selbst einfachste Modelle holografische Eigenschaften besitzen. Diese Ergebnisse wurden nun im renommierten Journal Science Advances veröffentlicht.
Im 20. Jahrhundert gelang es Vertreterinnen und Vertretern der theoretischen Physik zahlreiche einzelne Modelle in umfassende Theorien zu vereinigen. Auf diese Weise konnten unterschiedliche Phänomene wie der Magnetismus, elektrische Ströme und radioaktiver Zerfall in einer einzigen physikalischen Theorie – der Quantentheorie – vereinigt werden, welche diese Effekte selbst auf kleinsten Größenskalen beschreibt. Eines gelang in diesem für die Physik äußerst produktiven Jahrhundert jedoch nicht: Während die Entdeckung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein eine umfassende Beschreibung der Schwerkraft auf größten Skalen erlaubte, konnte diese Theorie – trotz großer Mühen Einsteins selbst – nie mit den anderen auf Quantenphysik basierenden Theorien in Einklang gebracht werden. Ein entscheidender Unterschied der Relativitätstheorie zur Quantenphysik ist ihre Beschreibung von Kräften nicht durch Teilchen, welche diese übermitteln, sondern durch die Geometrie von Raum und Zeit selbst.
Um Quanten- und Relativitätstheorie in einer einzigen Theorie zusammenzuführen, entwickelten Physikerinnen und Physiker am Ende des 20. Jahrhunderts fundamental neue Ansätze, darunter die sogenannte Stringtheorie: Nach dieser Theorie ist der fundamentale Baustein der Natur weder ein kontinuierliches Feld von Kräften, noch sind es einzelne Teilchen; vielmehr ist es ein eindimensionales Objekt, genannt „String“. Das Verständnis der physikalischen und mathematischen Konsequenzen dieser Theorie ist eine der großen Herausforderungen der Physik des 21. Jahrhunderts. Die vielleicht wichtigste Entdeckung der Stringtheorie ist jedoch das Auftreten von Dualitäten zwischen anscheinend völlig unterschiedlichen physikalischen Systemen: Bei einer solchen Dualität kann das Verhalten eines Systems mathematisch äquivalent durch das andere System beschrieben werden, selbst wenn die Dynamik eines der Systeme wesentlich komplizierter erscheint als das andere. Die wohl wichtigste bisher postulierte Dualität verbindet eine Gravitationstheorie mit einer Quantentheorie, sie verbindet also zwei Systeme, die noch vor wenigen Jahrzehnten als völlig unvereinbar galten.
Die Gravitationstheorie in dieser Dualität entspricht einer gekrümmten Geometrie von Raum und Zeit: Anders als die „positive“ Krümmung, die beispielsweise unsere Erdoberfläche besitzt, ist diese jedoch „negativ“ gekrümmt. Während positive Krümmung zu geschlossenem Raum führt – ein Weg über die Erdoberfläche führt irgendwann zu dessen Ausgangspunkt zurück – impliziert negative Krümmung, dass der Raum einen Rand besitzt. Nach der Dualität kann auf genau diesem Rand, der eine Dimension weniger als der von ihm umschlossene Raum besitzt, eine Quantentheorie definiert werden. Diese Quantentheorie besitzt das gleiche (duale) Verhalten der Gravitationstheorie. Die Dualität verbindet also nicht nur zwei fundamental unterschiedliche physikalische Systeme, sondern auch Systeme in unterschiedlichen Dimensionen. Aufgrund dieser Eigenschaft bezeichnet man Dualitäten dieser Art als holografisch: Das höherdimensionale System wird wie ein Hologramm auf einem Raum niedrigerer Dimension abgebildet, und zwar durch ein äquivalentes System.
Um diese holografischen Dualitäten besser zu verstehen, konstruierten Physiker des Fachbereichs Physik der Freien Universität Berlin ein diskretes Modell dieses exotischen Raumes mithilfe von sogenannten Tensornetzwerken, welche spezielle mathematische Objekte – Tensoren – in einem Netz mit beliebiger Geometrie verbinden. Tensornetzwerke sind ein erfolgreiches Werkzeug der Quanteninformationsphysik, welche die Physik auf kleinsten Größenskalen nicht durch Kräfte und Teilchen beschreibt, sondern durch fundamentale Informationskonzepte, beispielsweise durch eine quantenphysikalische Form der Entropie, ein Maß für die Unordnung eines Systems Tensornetzwerke können grafisch beschreiben, wie ein Quanten-System mit sich selbst „verschränkt“ ist: Verschränkung ist eine Art der Korrelation, die Albert Einstein einst als „spukhafte Fernwirkung“ beschrieb. Nun wurde mit einem solchen Tensornetzwerk ein negativ gekrümmter Raum nachgebildet, wie er in holografischen Dualitäten auftritt. Auch ein Tensornetzwerk besitzt einen Rand, der als physikalisches System interpretiert werden kann. Mithilfe von Computern konnte nun berechnet werden, wie dieses physikalische System gleichermaßen von der Wahl der Tensoren abhängt wie von der Geometrie des Netzwerks.
Das Ergebnis: Die Quantentheorie am Rand solcher Netzwerke mit negativer Krümmung besitzt genau die Eigenschaften, die aus der Dualität zu erwarten wären. Dies ist bereits überraschend, da das Modell eine starke Vereinfachung der ursprünglich postulierten Dualität darstellt und dies die Vermutung nahelegt, dass sie in wesentlich breiterer Form Gültigkeit besitzt. Als weitere Entdeckung fanden die Forscher, dass Netzwerke ohne Krümmung zu ähnlichen Quantentheorien führen. Dies unterstützt die Idee vieler theoretischer Physiker, der zufolge holografische Dualitäten das Ergebnis eines zugrundeliegenden „holografischen Prinzips“ sind, einer fundamentalen Eigenschaft der Gravitation.
Die Veröffentlichung der Doktoranden Alexander Jahn und Marek Gluza, Dr. Fernando Pastawski (nun bei PsiQuantum) und Professor Jens Eisert wurde am Freitag im renommierten amerikanischen Journal Science Advances publiziert.
Diese Forschung wurde von der EU (PASQuanS), der DFG (CRC 183, EI 519/7-1, EI 519/14-1), dem Europäischen Forschungsrat (TAQ), der Templeton-Stiftung, der Studienstiftung des Deutschen Volkes und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung gefördert.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Jens Eisert, Fachbereich Physik der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-54781, E-Mail: jense@physik.fu-berlin.de