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Der unterschätzte Einfluss der Körpertemperatur

Neue Forschungsstudie an der Freien Universität Berlin zeigt auf, wie bestimmte Enzyme und biologische Vorgänge durch die Körpertemperatur reguliert werden

Nr. 033/2020 vom 13.02.2020

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin haben eine Enzym-Familie identifiziert, deren Aktivität bereits durch eine minimale Veränderung der Temperatur aktiviert oder gehemmt wird. Dieser Mechanismus kann die Funktion von Zellen koordinieren und maßgeblichen Einfluss auf biologische Vorgänge nehmen, wie die Forscherinnen und Forscher weiter herausfanden. Die Körpertemperatur des Menschen schwankt im Tagesverlauf und kann auch durch körperliche Anstrengung, Fieber, hormonelle Umstellungen und Alterungsprozesse steigen oder sinken. Die neue Studie zeigt, wie diese kleinen Schwankungen verschiedene biochemische Reaktionen auslösen können. Ein solches hochsensibles zelluläres „Thermometer“ lässt sich den Forscherinnen und Forschern zufolge in gewisser Abwandlung auch im Tierreich finden, etwa bei Fliegen und Reptilien. Es ist beispielsweise schon seit Jahrzehnten bekannt, dass das Geschlecht von Alligatoren oder Schildkröten von der Temperatur im Nest während der Bebrütung der Eier mitbestimmt wird. Die Forschungsergebnisse der vorgestellten Studie erlauben es nun, solche Phänomene biochemisch zu erklären. Die Forschungsarbeit wurde in der renommierten Fachzeitschrift Molecular Cell veröffentlicht.

„Dieser enzymatische Temperatursensor hilft Zellen, sich auf unterschiedliche Anforderungen einzustellen“, erläutert Florian Heyd, Leiter der Studie und Professor für RNA-Biochemie an der Freien Universität Berlin. Die Schwankungen der Körpertemperatur würden sich dabei im engen Rahmen von nur wenigen Grad Celsius bewegen. Die veröffentlichte Studie habe nun erstmals den Nachweis erbracht, dass solche geringfügigen Temperaturänderungen einen messbaren Einfluss auf die Aktivität von Enzymen haben können, betont Florian Heyd.

Das Forschungsteam erklärt diesen Effekt mit temperaturabhängigen Veränderungen der Enzymstruktur, in deren Folge ein Enzym quasi an- und ausgeschaltet werden kann. Seine Bestandteile – Aminosäureketten – bilden durch die Veränderung der Körpertemperatur neue dynamische Strukturen und beeinflussen so die Eigenschaften sowie die Aktivität des Enzyms. Dadurch kann auch die Genexpression mitgesteuert werden – also ein biochemischer Prozess, der den genetischen Bauplan des Lebens verwirklicht und beispielsweise auch das Geschlecht des Schildkrötennachwuchses bestimmt.

Die Studie liefere eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für die Grundlagenforschung, aber auch für konkrete Anwendungen, etwa im klinischen Bereich, hebt Florian Heyd hervor. Die körpertemperaturabhängige Regulation der Enzymaktivität stelle ein fundamental neues Prinzip zur Kontrolle der Zellfunktion dar.

„Durch den Austausch einzelner Aminosäuren könne sich der Temperaturbereich ändern, in dem Enzyme aktiv sind“, erläutert Florian Heyd. Dadurch wäre es künftig möglich, die Temperaturwahrnehmung von Organismen unter bestimmten Umständen künstlich zu verändern, was in Zeiten globaler Erderwärmung ein relevantes Anwendungsfeld sei.

Weitere Informationen

Publikation

Haltenhof et al., A conserved kinase-based body temperature sensor globally controls alternative splicing and gene expression. Molecular Cell. In press.

Kontakt

Prof. Dr. Florian Heyd, Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin,
Telefon: 030 / 838-62938, E-Mail: florian.heyd@fu-berlin.de