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Fressen und gefressen werden

Studie über den Einfluss von Biodiversität auf den Energiefluss in Ökosystemen veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nature

Nr. 043/2020 vom 26.02.2020

Biologische Vielfalt erhöht einer internationalen Studie unter Beteiligung der Freien Universität Berlin zufolge die Effizienz des Energieflusses in Ökosystemen. Die Forscherinnen und Forscher gingen im Rahmen eines großen Biodiversitätsexperiments mit einem ganzheitlichen Ansatz den Fragen nach, wie der Energiefluss in Ökosystemen funktioniert und ob es einen Unterschied zwischen Systemen mit einer hohen Artenvielfalt gibt und solchen mit geringer. Erstmals wurden dafür nicht nur einzelne Ernährungstypen wie Pflanzenfresser untersucht, sondern die Nahrungsbeziehungen eines ganzen Ökosystems. Das Experiment lief unter der Leitung der Freien Universität Berlin und der Technischen Universität München; beteiligt waren die Universität Salzburg sowie weitere Universitäten und Institutionen in Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland. Die Studie wurde in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht (DOI: 10.1038/s41559-020-1123-8).

„Wir haben ein ganzes Nahrungsnetz, also multitrophische Interaktionen, sowohl über als auch unter der Erde analysiert. Das ist für das Verständnis der Folgen des anhaltenden, globalen Artenverlusts unerlässlich“, erklärt Dr. Sebastian T. Meyer, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der Technischen Universität München (TUM) Erstautor der Studie gemeinsam mit Dr. Oksana Buzhdygan aus der Arbeitsgruppe Theoretische Ökologie von der Freien Universität Berlin. Bisherige Forschungen zu den Auswirkungen der Biodiversität auf die Funktionsweise von Ökosystemen hätten sich weitgehend auf einzelne Nahrungsebenen konzentriert, sogenannte trophische Ebenen, oder vereinfachte Nahrungsketten.

Ein Netz aus Energie

Eine oberirdische Nahrungskette könnte beispielsweise von Gräsern über Heuschrecken bis hin zu Spinnen reichen. Die Forschungsgruppe betrachtete, wieviel Energie in das System fließt, wieviel darin verbleibt – wieviel Biomasse folglich im System ist – und wieviel Energie das System wieder verlässt. Als wichtigstes Ergebnis stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest, dass das gesamte Ökosystem mit zunehmendem Pflanzenartenreichtum auf allen Nahrungsebenen an Funktionsfähigkeit zunimmt. „Positive Effekte auf einer Ebene bedeuten nicht, dass es keine positiven Effekte auf einer anderen Nahrungsebene geben kann“, sagt Dr. Sebastian T. Meyer. Vielmehr halte sich das System durch hohen Artenreichtum selbst im Gleichgewicht. Wenn sich zum Beispiel eine Heuschrecke an Gräsern satt frisst, bedeute dies nicht, dass daraus auf der Ebene der Pflanzen negative Effekte entstehen müssen.

Energienutzung im Ökosystem wird mit einer höheren Pflanzenvielfalt effizienter

„Die Studie zeigt, dass eine höhere Pflanzenvielfalt zu mehr gespeicherter Energie, einem größeren Energiefluss und einer höheren Energieeffizienz im gesamten Netz führt, also in allen Nahrungsketten“, erläutert Erstautorin Dr. Oksana Buzhdygan von der Freien Universität Berlin. Ökosysteme mit 60 Pflanzenarten hatten im Durchschnitt doppelt so viel stehende Biomasse wie die durchschnittliche Pflanzenmonokultur. Dies bedeute, dass die Gesamtmenge der von der Gemeinschaft verbrauchten und wiederverwerteten Ressourcen mit zunehmender Pflanzenvielfalt steige. „Diese Ergebnisse machen auch deutlich, dass wir zum Verständnis der Folgen der massiven Biodiversitätsverluste, insbesondere unter Klimawandel, dringend solch ganzheitliche Ansätze benötigen, die gleichzeitig die verschiedenen Elemente von Ökosystemen und deren Zusammenspiel betrachten", konstatiert Prof. Dr. Britta Tietjen, Leiterin der Arbeitsgruppe Theoretische Ökologie an der Freien Universität Berlin und Mitautorin der Studie.

Artenreichtum als Versicherung gegen Umweltschwankungen

„Eine verstärkte Ökosystemfunktion auf allen Ebenen kann dazu beitragen, die Versicherungswirkung der Biodiversität auf die Ökosystemfunktion bei Umweltschwankungen sowie die Robustheit bei Störungen zu erhöhen“, konstatiert Prof. Jana Petermann von der Universität Salzburg, Senior-Autorin der Studie. Mit der Arbeit werde die Bedeutung der Biodiversität für die Funktionen und Dienstleistungen von Ökosystemen unterstrichen. Beispielsweise sollte eine landwirtschaftliche Bewirtschaftung, die auf eine breite Palette von Gütern und Dienstleistungen abzielt, mit einer höheren Pflanzenvielfalt arbeiten, etwa durch Mischkulturen, um den Verlust von Ökosystemressourcen zu vermeiden.

Einzigartige Datenbasis aus Grünland-Biodiversitätsexperiment

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiteten mit den Daten des sogenannten Jena-Experiments, einem groß angelegten Grünland-Biodiversitätsexperiment, das seit 2002 läuft. Die kontrollierten Bedingungen, die das Experiment bietet, sind weltweit einzigartig und erlauben es, große Mengen an Daten zu vergleichen.

Für jede der 80 Parzellen des Jena-Experiments stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trophische Netzwerkmodelle des Grünlandökosystems zusammen. Diese enthalten die stehende Biomasse auf jeder Nahrungsebene und den Energiefluss zwischen den trophischen Ebenen in Wechselwirkungen. Neben den Pflanzen umfasst die Studie auch Pflanzenfresser, Fleischfresser, Allesfresser, Mikroben, totes organisches Material im Boden und Zersetzer, die sich von abgestorbenem organischem Material ernähren.

Publikation

Oksana Y. Buzhdygan, Sebastian T. Meyer, Wolfgang W. Weisser, Nico Eisenhauer, Anne Ebeling, Stuart R. Borrett, Nina Buchmann, Roeland Cortois, Gerlinde B. De Deyn, Hans de Kroon, Gerd Gleixner, Lionel R. Hertzog, Jes Hines, Markus Lange, Liesje Mommer, Janneke Ravenek, Christoph Scherber, Michael Scherer-Lorenzen, Stefan Scheu, Bernhard Schmid, Katja Steinauer, Tanja Strecker, Britta Tietjen, Anja Vogel, Alexandra Weigelt, Jana S. Petermann (2020). Biodiversity increases multitrophic energy use efficiency, flow and storage in grasslands. Nature Ecology & Evolution. DOI: 10.1038/s41559-020-1123-8.

URL: https://www.nature.com/articles/s41559-020-1123-8 .

Weitere Informationen

Im sogenannten Jena-Experiment (www.the-jena-experiment.de) untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Universitäten Deutschlands, der Niederlande und der Schweiz, welche Bedeutung die biologische Vielfalt (Biodiversität) für Ökosysteme haben kann. Als Modellsystem dienen Grünländer unterschiedlicher Vielfalt. Im Jahr 2002 wurden aus einem Artenpool von 60 Arten Pflanzengemeinschaften von 1–60 Arten und 1–4 funktionellen Gruppen angelegt, in denen vergleichend Messungen zu Stoffflüssen und Wechselwirkungen zwischen Organismen untersucht werden. Die Ergebnisse zeigen, dass eine höhere Pflanzenvielfalt vielfältige positive Effekte auf Stoffkreisläufe und andere Prozesse im Ökosystem haben kann. Viele der Ergebnisse aus dem untersuchten Modellsystem Grünland lassen sich auch auf andere Ökosysteme und bewirtschaftete Flächen übertragen.

Textgrundlage: Pressemitteilung der Technischen Universität München

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