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Künstliche Intelligenz löst Schrödingers Gleichung


Wissenschaftler der Freien Universität Berlin entwickeln ein tiefes Lernverfahren zur Lösung eines Grundlagenproblems der Quantenchemie

Nr. 255/2020 vom 18.12.2020

Ein Forschungsteam der Freien Universität Berlin hat eine Methode der Künstlichen Intelligenz (KI) entwickelt, um den Grundzustand der Schrödingergleichung in der Quantenchemie zu berechnen. Die Wissenschaftler entwickelten ein tiefes Lernverfahren, mit dem die Lösung der sogenannten Schrödingergleichung mit einer bisher nicht erreichten Kombination von Genauigkeit und Geschwindigkeit angenähert werden kann. „Wir denken, dass unser Ansatz die Quantenchemie signifikant beeinflussen wird“, sagt Professor Frank Noé von der Freien Universität, der das Team leitete. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift "Nature Chemistry" veröffentlicht (DOI: https://doi.org/10.1038/s41557-020-0544-y). Gefördert wurde das Projekt vom Europäischen Forschungsrat und vom Berliner Forschungszentrum MATH+.

Das Ziel der Quantenmechanik ist die Vorhersage von chemischen und physikalischen Eigenschaften von Molekülen nur auf Basis der räumlichen Anordnung ihrer Atome; teure und zeitaufwändige Laborexperimente können damit vermieden werden. Erreicht werden kann dies mithilfe der Schrödingergleichung, deren Lösung in der Praxis jedoch ein extrem schwieriges mathematisches Problem ist, für das bislang keine exakte und effiziente berechenbare Lösung bekannt ist.

Der zentrale Gegenstand der quantenchemischen Schrödingergleichung ist die Wellenfunktion, also ein mathematisches Objekt, das das Verhalten der Elektronen im Molekül vollständig beschreibt. Die Wellenfunktion ist hochdimensional und damit extrem schwierig in deren Nuancen zu beschreiben, in denen die komplexen Wechselwirkungen zwischen den Elektronen codiert sind. „Bei vielen Methoden der Quantenmechanik wird dies erst gar nicht versucht. Stattdessen wird probiert, direkt die Energie eines Moleküls zu bestimmen, doch dies erfordert Näherungen, die die Genauigkeit der Rechnung beschränken“, erklärt Frank Noé.

Andere Methoden zielen darauf ab, die Wellenfunktion mit einer Vielzahl mathematischer Bausteine zusammenzubauen, wodurch sie für eine genaue Rechnung auf mehr als einer Handvoll Atome unzumutbar rechenaufwendig werden. „Die höchste Kunst der Quantenchemie ist die Entwicklung von Methoden, die in diesem Widerspruch zwischen Genauigkeit und Recheneffizienz besonders günstig sind“, erklärt Dr. Jan Hermann von der Freien Universität, der die Schlüsseleigenschaften der Methode entwickelt hat. „Die bislang bekannteste Vorgehensweise, mit der dies erreicht wird, ist die sogenannte Dichtefunktionaltheorie. Wir glauben, dass tiefes Quanten-Monte-Carlo, die von uns vorgeschlagene Methode, auch eine solche Ausnahmemethode ist, die besonders hohe Genauigkeit bei einem noch vertretbaren Rechenaufwand erreichen kann.“

Das tiefe neuronale Netzwerk von Professor Frank Noés Team ist ein vollständig neuer Ansatz zur Repräsentation von elektronischen Wellenfunktionen. „Statt des Standardprinzips, bei dem die Wellenfunktion aus vielen einfachen Komponenten zusammengebaut wird, haben wir ein Netz entwickelt, das die komplexen Bewegungsmuster von Elektronen um die Kerne lernt“, beschreibt Frank Noé die neue Methode. „Eine besondere Eigenschaft der elektronischen Wellenfunktion ist die sogenannte Antisymmetrie. Wenn man zwei Elektronen austauscht, ändert sich das Vorzeichen der Wellenfunktion. Diese Eigenschaften mussten wir in die Architektur des neuronalen Netzes einbauen, damit der Ansatz funktioniert“, erläutert Jan Hermann. Diese Eigenschaft, auch als „Pauli‘s Ausschlussprinzip“ bekannt, ist der Grund, warum die Autoren ihre Methode „PauliNet” nennen.

Neben dem paulischen Ausschlussprinzip gibt es den Wissenschaftlern zufolge weitere grundlegende physikalische Eigenschaften, die für elektronische Wellenfunktionen gelten. Diese Physik ins neuronale Netz zu integrieren, anstatt sie maschinell zu lernen, sei ein besonderes Merkmal der Methode „PauliNet“. „Grundlegende physikalische Eigenschaften in KI einzubauen ist ein ganz wesentlicher Bestandteil, um in den Naturwissenschaften mithilfe von KI sinnvolle Vorhersagen zu machen“, sagt Frank Noé. „Das ist genau die Tätigkeit, bei der Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler in der KI-Forschung einen wichtigen Beitrag leisten können, und genau darauf hat sich meine Gruppe spezialisiert.“

Noch gebe es viele Herausforderungen, bevor die Methode von Jan Hermann und Frank Noé für industrielle Anwendungen nutzbar sei. „Dies ist ein Beitrag der Grundlagenforschung“, sagt Frank Noé, „doch es ist ein grundlegend neuer Ansatz für ein altes Problem in den molekularen und Materialwissenschaften. Deshalb eröffnen sich neue Möglichkeiten und wir freuen uns darauf, sie mit unseren Fachkolleginnen und -kollegen auszuloten.“

Publikation 

Jan Hermann, Zeno Schätzle und Frank Noé, Deep neural network solution of the electronic Schrödinger equation. Nature Chemistry (2020). DOI: https://doi.org/10.1038/s41557-020-0544-y 

Kontakt

Prof. Dr. Frank Noé, Freie Universität Berlin, Fachbereich Mathematik und Informatik,, E-Mail: frank.noe@fu-berlin.de, Telefon: +49 30 838 75354