Springe direkt zu Inhalt

Freie Universität Berlin, Max-Planck-Gesellschaft und Landesdenkmalamt Berlin planen Bestattung der Knochenfunde

Beisetzung soll nach Vereinbarung mit Zentralräten und Vertretungen potenziell betroffener Gruppen nicht-religiös und „nicht eurozentrisch“ erfolgen

Nr. 213/2022 vom 17.11.2022

Die seit 2015 bei mehreren Grabungen auf dem Campus der Freien Universität Berlin gefundenen menschlichen Knochen werden beigesetzt. Die wissenschaftliche Untersuchung der Knochen sei abgeschlossen, teilten die Mitglieder der in einer Arbeitsgemeinschaft zu den Funden zusammengeschlossenen Institutionen, darunter die Freie Universität Berlin, die Max‐Planck‐Gesellschaft – als Nachfolgerin der Kaiser‐Wilhelm‐Gesellschaft – und das Landesdenkmalamt Berlin, am Donnerstag in Berlin mit. Der Bestattungstermin steht noch nicht fest. Die Beisetzung soll auf dem Waldfriedhof Dahlem stattfinden.

Die Ergebnisse der Untersuchungen unter Leitung der Archäologin Prof. Dr. Susan Pollock waren im Februar 2021 in einer großen, öffentlichen Online-Veranstaltung präsentiert worden. Der Zentralrat der Juden in Deutschland und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hatten sich angesichts der Ergebnisse der Untersuchungen gegen weitere Untersuchungen und für eine Bestattung der menschlichen Knochen ausgesprochen. In weiteren Gesprächen mit Organisationen potenziell betroffener Gruppen, die sich in Folge der öffentlichen Veranstaltung im Februar 2021 am Dialog beteiligt haben, wurde dieses Vorgehen bestätigt; zu den beteiligten Gruppen zählen der Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e. V., die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e. V., der Zentralrat der Afrikanischen Gemeinde, die Herero-Vertretung in Berlin, save space e. V., die Arbeitsgemeinschaft Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten, Kellerkinder e. V., korientation e. V., IniRromnja / RomaniPhen e. V. und Berlin Postkolonial e. V.

Die in mehreren Grabungen geborgenen menschlichen Knochen und Knochenfragmente stammen von Opfern aus Verbrechenskontexten und wurden im ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik aufbewahrt. Den Untersuchungen zufolge kann nicht ausgeschlossen werden, dass manche Knochen aus Kontexten stammen könnten, die in direktem Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Verbrechen stehen. Auf Grundlage der angewandten nicht-invasiven osteologischen Untersuchungen in Kombination mit historischen Recherchen ist jedoch weder eine Zuordnung zu spezifischen kolonisierten Regionen oder zu eindeutigen NS-Kontexten möglich noch eine Identifikation einzelner Opfer. Eine weitere geophysikalische Prospektion des Grundstücks im Februar 2022 hat keine konkreten Hinweise auf weitere potenzielle Fundorte ergeben. Alle Bodeneingriffe auf dem Gelände werden jedoch selbstverständlich weiterhin archäologisch begleitet werden.

Angesichts der Ergebnisse der bisher erfolgten Untersuchungen stimmten die Vertreterinnen und Vertreter der konsultierten Verbände und Organisationen dafür, dass es keine weiteren Untersuchungen an den menschlichen Knochen geben solle. Vielmehr bestand Einigkeit, dass ein Versuch, mittels invasiver Methoden eine Zuordnung der gefundenen Knochen und Knochenfragmente zu spezifischen Opfergruppen erreichen zu wollen, letztlich die rassistischen Methoden und Klassifikationen der Vergangenheit reproduzieren könnte und daher abzulehnen sei.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe und die Vertretungen der konsultierten Verbände und Organisationen einigten sich zudem darauf, die menschlichen Überreste würdevoll, aber ohne religiöse Vereinnahmung oder eurozentrische Symbolik, zeitnah beizusetzen. Ziel sei es, die Beisetzung kollektiv vorzunehmen, um die Solidarität aller Opfergruppen zu unterstreichen. Auch in die Ausgestaltung der Bestattung und der Grabstätte werden die Vertretungen der konsultierten Verbände und Organisationen einbezogen.

 

Zum Hintergrund:

Erstmals im Juli 2014 wurden bei Sanierungsarbeiten an den Außenanlagen der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin menschliche Gebeine und Knochen von Tieren gefunden. Es bestand der Verdacht, dass der Fund mit dem Kaiser‐Wilhelm‐Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Verbindung stehen könnte, das von 1927 bis 1945 bestand. Das Präsidium der Freien Universität Berlin hatte eine Arbeitsgruppe mit Mitgliedern und Expertise der Freien Universität, der Max‐Planck‐Gesellschaft und des Landesdenkmalamtes Berlin eingerichtet. Ihre Aufgabe bestand darin, weitere Erkenntnisse über die mögliche Herkunft der Funde zu gewinnen und öffentlich zu machen. Bei zusätzlichen Grabungen (2015 und 2016) im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen wurden in dem Bereich des ersten Fundes weitere Knochen und Knochenfragmente entdeckt.

Die menschlichen Überreste bestehen aus etwa 16.000 überwiegend stark fragmentierten Knochen. Sie wurden in nichtinvasiven osteologischen Analysen durch eine Forschungsgruppe untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass die Knochen von Menschen aller Altersgruppen sowie von Personen männlichen und weiblichen Geschlechts stammen. Nach diesen Untersuchungen deuten Reste von Klebstoff und Beschriftung auf manchen Knochen sowie das Fehlen moderner medizinischer Eingriffe für viele der Knochenfragmente in Richtung einer Herkunft aus anthropologischen oder archäologischen Sammlungen. Die Zusammensetzung des Gesamtkorpus entspricht jedoch nach Angaben des Forschungsteams keiner typischen anthropologischen oder archäologischen Sammlung, wie sie aus dem 19. Jahrhundert oder der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannt ist. Es ist daher auch nicht auszuschließen, dass manche Knochen aus Kontexten stammen, die direkt mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu tun haben. Die Herkunft aber könne nicht eindeutig rekonstruiert werden.

Weitere Informationen

Links zum Thema:

https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2021/fup_21_033-informationsveranstaltung-knochenfunde

https://www.fu-berlin.de/campusleben/campus/2021/210226-abschluss-knochenfunde

 Kontakt:

Stabsstelle Kommunikation und Marketing der Freien Universität Berlin, E-Mail: presse@fu-berlin.de

Schlagwörter