Fotokunst mit der Smartphone-Kamera
Auszeichnung internationaler Kunstschaffender beim Fotografie-Wettbewerb „Re:Touch. Expanded Surfaces in Smartphone Photography“ an der Freien Universität Berlin
Nr. 068/2023 vom 31.03.2023
Screenshots von WhatsApp-Konversationen, Glitching oder KI-generierte Bilder – beim Fotowettbewerb „Re:Touch. Expanded Surfaces in Smartphone Photography“ hat die Freie Universität Berlin am 30. März 2023 drei herausragende Fotoserien ausgezeichnet. In über 270 Einreichungen beschäftigten sich Kunstschaffende aus der ganzen Welt kritisch mit digitaler Smartphone-Fotografie. Dabei ging es auch um Fragen zur digitalen Bildverarbeitung und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft und (virtuelle) Realitäten. Eine Fachjury kürte die drei besten Einreichungen und hob noch fünf Projekte als „Special Mentions“ hervor. Unterstützt wurde der Fotowettbewerb von der Organisation „Kulturprojekte Berlin“. Weitere Informationen zu den prämierten Fotos und Künstler*innen sind auf der Website re-touch-photocontest.com zu finden.
Der Fotografie-Wettbewerb Re:Touch findet in Kooperation zwischen dem Seminar für Kultur- und Medienmanmagement, metaLAB (at) FU Berlin, und der Fördergesellschaft „Kulturprojekte Berlin“ statt. Anlass war das Biennale-Festival für fotografische Bilder EMOP Berlin – European Month of Photography. Beim Wettbewerb konnten Fotokünstler*innen bis zu fünf Fotos als Reihe einreichen. Dotiert war der erste Platz mit 1.500 Euro, der zweite mit 700 Euro und der dritte Platz mit 300 Euro.
Die ausgezeichneten Projekte
Erster Platz: "Character Coding" von Gabriella Achadinha
Die Arbeit "Character Coding" von Gabriella Achadinha überzeugte die Jury durch ihre präzise und formalästhetische Auseinandersetzung mit der aktuellen Nutzung von Smartphone-Fotografie im Kontext des Internets und von Social Media. Innerhalb eines einzigen langen Bildstreifens arrangierte die Künstlerin diverses Bildmaterial zu einer Collage, die sich scrollend betrachten lässt. Screenshots von Smartphone-Sperrbildschirmen oder WhatsApp-Konversationen werden mit Text und digitalen Zeichnungen überlagert. Grob ausgeschnittene Fundstücke aus dem Netz werden persönlichen Fotos gegenübergestellt, mit Fragmenten von Werbeanzeigen kombiniert und von Schlagzeilen und Google-Sucheinträgen unterbrochen. Die Arbeit bedient sich der Jury zufolge verschiedener Methoden des Zitierens, Kopierens und Wiederholens, die symptomatisch für die digitale Kultur des Teilens seien, sowohl im künstlerischen als auch im popkulturellen Räumen. Thematisch setze sich "Character Coding" mit weiblichen Stereotypen, toxischer Maskulinität und der Belästigung von als weiblich gelesenen Personen in Online-Räumen auseinander. Damit referiere die Arbeit auch sogenannte Internetphänomene wie Hate Speech und Hasskommentare, den aktuellen Stand des Netzfeminismus und den männlichen Blick im Allgemeinen, heißt es in der Beurteilung der Fachjury.
Zweiter Platz: "Sedimentary Clouds" von Maryam Ghasemi
Maryam Ghasemis Serie "Sedimentary Clouds" beeindruckte die Jury durch den simplen und effektiven Einsatz von Glitching und dessen generatives Potenzial. Ihre Arbeiten zeigen zusammengesetzte Collagen von fragmentierten Innenräumen. Sie befassen sich laut der Künstlerin mit dem Zustand, Teil der iranischen Diaspora zu sein. „Indem Maryam Ghasemi diese auf den ersten Blick unscheinbaren und fragmentierten Innenräume durch Screenshots von Videoanrufen zusammenstellt, betont sie die Alltäglichkeit der Vertreibung und deren nun vergangenen Ausnahmestatus“, vermerkt die Jury. Vertreibung sei eine zunehmend allgegenwärtige Erfahrung, angestoßen durch Umweltkatastrophen, politische Instabilität, durch wirtschaftliche Unsicherheit, Kriege, durch globale Pandemien und die Folgen der Klimakrise. So werde die "Krise" zur Norm, ebenso wie die Vertreibung. „Maryam Ghasemis Arbeiten haben dem eine visuelle Sprache gegeben und die Poetik der Polarität – die gleichzeitige Anwesenheit und Abwesenheit durch Online-Verbindungen – monumentalisiert, ohne dabei in pathetische Selbstexotisierung oder Auto-Orientalismus zu verfallen“, urteilt die Jury.
Dritter Platz: "The Wooden Beaver Archive" von Michael Borowski
Die Serie "The Wooden Beaver Archive" des US-Künstlers Michael Borowski überzeugte die Jury als ungewöhnlicher, subtiler und formal eigenständiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit bildgebenden KI-Programmen. Borowski generierte mithilfe der KI-Software ‘Prompts’ Bilder von Badehäusern, Saunen und Spas, die in den USA im späten 19. Jahrhundert errichtet wurden. Diese Einrichtungen boten damals auch die Möglichkeit, (nicht akzeptiertes) homoerotisches oder queeres Begehren auszuleben. Die vom KI-Programm generierten Bilder zeigen Menschen oft fragmentiert oder verzerrt. „Diese Bildfehler haben aber eine eigene ästhetische Qualität, durch welche es so aussieht, als würden sich mehrere Menschen umarmen, umschlingen oder buchstäblich ineinander verflechten“, beschreibt die Jury die Ästhetik des Werks. Von diesen digitalen Bildern fertigte Borowski Negative an, die anschließend die Grundlage für Salzabzüge wurden. Dieses fotografische Verfahren stammt aus der Frühzeit der Fotografie. Es war zu jener Zeit populär, zu der auch die Badehäuser boomten. „Borowski hat damit historische Bilder nachgestellt, die es in dieser Form nicht gibt, er schafft hiermit ein fiktives Archiv“, resümiert die Jury. Mit dem Salzdruck habe er ein Verfahren gewählt, das auch zu Verzerrungen der Motive führen könne und auf diese Weise die Wirkung der KI historisiert.
Special Mentions
- "My Head is Too Heavy" von Amy Giese
- "2019-2022" von Deep Pool
- "Flowers in a Field of Terror" von Faylita Hicks
- "Invisible Ink" von Pat Blocher
- "Rooted Resurgence" von Vanessa A. Opoku
Seminar für Kultur- und Medienmanagement
Das Seminar Kultur- und Medienmanagement bietet eine systematische Verbindung von kunst- und kulturwissenschaftlicher Forschung mit deren konkreter anwendungsbezogener Umsetzung in diversen Berufsfeldern von Kunst, Kultur und Medien. Angestrebt wird ein wechselseitiger Forschungs- und Wissenstransfer zwischen diesem universitären Studiengang und verschiedenen Formaten der internationalen Kunst- und Kulturpraxis. Teil des Seminars ist eine internationale Forschungsinitiative – metaLAB (at) FU. Sie dient als ein transdisziplinäres Labor und als eine experimentelle Plattform zur Erkundung neuer digitaler und kreativer Wissenspraktiken im wissenschaftlichen, kulturellen und sozialen Raum.
Kulturprojekte Berlin
Der Fotowettbewerb wird von Kulturprojekte Berlin unterstützt, einer landeseigenen Gesellschaft, mit dem Ziel, die Berliner Kultur zu stärken und zu vernetzen. Seit rund 15 Jahren kooperieren sie mit nahezu allen Berliner Museen, Bühnen und Gedenkstätten. Dazu kommt die Zusammenarbeit mit diversen Vereinen, der freien Szene, Politik und Bildungseinrichtungen, wie in diesem Falle die Begleitung des Re:Touch-Fotowettbewerbs im Kontext eines Mentorings des Master-Programms Kultur- und Medienmanagement mit Fokus auf das Projekt EMOP Berlin.
Weitere Informationen
Kontakt
- Jannike Sosnitza und Moritz Sommer, Pressereferent*innen von Re:Touch, E-Mail: info@re-touch-photocontest.com
- Prof. Dr. Annette Jael Lehmann, Freie Universität Berlin,Institut für Theaterwissenschaft, Telefon: +49 (30) 838 503 29, E-Mail: a.j.lehmann@fu-berlin.de