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Vergnügen bei Hofe und in Hinterhöfen

Wissenschaftler am Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaft untersuchen, wie in Berlin um 1900 gefeiert wurde

16.12.2010

Die Revue „Die Nacht von Berlin" wurde 1911 im Metropol-Theater aufgeführt. Heute beherbergt der Bau in der Behrenstraße die Komische Oper.

Die Revue „Die Nacht von Berlin" wurde 1911 im Metropol-Theater aufgeführt. Heute beherbergt der Bau in der Behrenstraße die Komische Oper.
Bildquelle: Rembrandt, Berlin /Institut für Theaterwissenschaft, Freie Universität, Theaterhistorische Sammlung Walter Unruh.

Kino, Tanz oder Theater – die Kulturmetropole Berlin, wie wir sie heute kennen, nahm vor rund 100 Jahren ihren Anfang: Mit der Industrialisierung strömten Bevölkerung und Besucher in die Stadt auf der Suche nach Arbeit – und dem Vergnügen. Wie und wo in Berlin um 1900 gefeiert wurde und was die Menschen in London oder New York amüsierte, das untersucht eine Forschergruppe am Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaft der Freien Universität.

„Metropole und Vergnügungskultur. Berlin im transnationalen Vergleich, 1880 – 1930“ heißt das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt am Arbeitsbereich Neuere Geschichte und Zeitgeschichte unter Leitung von Professor Paul Nolte und Dr. Daniel Morat. Anhand von alten Zeitungsartikeln, Postkarten, Manuskripten, Bühnenplänen oder Memoiren bedeutender Mimen rekonstruieren die Wissenschaftler die damalige Vergnügungswelt und beleuchten deren gesellschaftliche und politische Bedeutung.

Neben höfischem Theater, Oper und Operette entwickelten sich in jener Zeit Musicals und Revuen, Straßenkünstler belebten die Hinterhöfe der Arbeiterviertel, eine Vielzahl von Hotels, Restaurants und Cafés versprach abendliches Amüsement. Mit der Bevölkerung wuchsen das Publikum und der Anspruch auf Teilhabe am öffentlichen Leben; die moderne Massengesellschaft entstand.

Vor diesem Hintergrund untersucht die Forschergruppe, wie das Leben in der Großstadt und das kulturelle Angebot einander bedingten; wie sich der Kulturbetrieb von kleinen Familienunternehmen zu großen Unterhaltungskonzernen entwickelte und welches Konfliktpotenzial das kulturelle Leben in sich barg: Neue Ideen lösten häufig heftige Debatten aus und wurden als „Schmutz und Schund“ beschimpft.

Projektleiter und Historiker Daniel Morat  forscht zur „Auditiven Kultur der Großstadt“, zur Musik im öffentlichen Raum der Metropole. Mit drei Dissertationen setzt sein Team neue Akzente: Tobias Becker, ebenfalls Geschichtswissenschaftler, untersucht an populären, kommerziellen Theatern im Berlin und London der Epoche, wie sich wirtschaftliche und soziale Hintergründe auf Bühnenproduktionen auswirkten.

In die Welt der Vergnügungsparks um 1900 mit ihren Fahrgeschäften, Feuerwerken, Tanzturnieren oder auch Boxkämpfen taucht die Historikerin Johanna Niedbalski durch ihre Forschung ein und findet unter anderem heraus, was davon heute noch in Berlin zu sehen ist. Die Theaterwissenschaftlerin Anna Littmann widmet sich dem Vergnügen bei Hofe und  rekonstruiert beispielsweise mithilfe alter Spielpläne, wie sich die Politik und die ästhetischen Vorlieben der Regenten auf den Kulturbetrieb der Metropolen ausgewirkt haben.

Berlin steht im Mittelpunkt der Forschung – Vergleiche werden zu London und New York gezogen. In diesen drei Städten setzte damals ein regelrechter Vergnügungsboom ein. Und: Konkurrenz zwischen den Metropolen belebte das Geschäft, quer über Ärmelkanal und Atlantik wurden Ideen und Repertoires ausgetauscht – viele sind bis heute für das Publikum attraktiv. So auch die Operette „Im Weißen Rößl“: im November 1930 in Berlin uraufgeführt, wurde sie kurz darauf am Broadway gefeiert, während die Nazis sie in Deutschland verboten. Gerade wurde das „Weiße Rößl“ in der Komischen Oper Berlin wieder gefeiert.

Weitere Informationen

Dr. Daniel Morat, Friedrich-Meinecke-Institut
E-Mail: daniel.morat@fu-berlin.de
Telefon:+49 (0)30 / 83852764