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Für kurze Wege und saubere Luft

Wissenschaftler erforschen am Beispiel Hanois Lösungen für den Verkehrskollaps

07.05.2014

Verkehrskollaps zur Stoßzeit: Tausende Einwohner Hanois fahren durch die Straßen. Eine von deutschen und vietnamesischenWissenschaftlern entwickelte App soll Abhilfe schaffen.

Verkehrskollaps zur Stoßzeit: Tausende Einwohner Hanois fahren durch die Straßen. Eine von deutschen und vietnamesischen Wissenschaftlern entwickelte App soll Abhilfe schaffen.
Bildquelle: guenterguni-iStockphoto

Es liegt eine unangenehme, kühle Feuchtigkeit in der Luft an diesem wolkigen Abend in Hanoi: Die Dämmerung bricht an, die Menschen wollen nach Hause. Sie haben ihren Mundschutz umgebunden und Helme in knallig bunten Farben aufgesetzt.

Zu Tausenden knattern ihre Motorroller an den Läden der Altstadt und den Straßenküchen auf den Gehwegen vorbei. Sie stehen dicht an dicht, selten bahnt sich ein Fahrrad den Weg zwischen den Maschinen hindurch, Autos haben hier keine Chance. Es ist Rushhour in Vietnams Hauptstadt – zu Fuß kommt man jetzt oft schneller vorwärts als auf zwei Rädern.

„Verkehrsstaus kosten die Volkswirtschaft eine Menge Geld, sie schaden der Umwelt und der Gesundheit der Menschen“, sagt Hans-Peter Thamm vom Geographischen Institut der Freien Universität Berlin. Damit solche Staus in Zukunft in Hanoi vermieden werden können, entwickelt der promovierte Geowissenschaftler in dem Projekt REMON (Real Time Monitoring of Urban Transport – Solutions for Traffic Management and Urban Development in Hanoi) gemeinsam mit Partnern aus Vietnam und Deutschland ein GPS-gestütztes Verkehrsinformationssystem, das Motorräder und Autos der vietnamesischen Hauptstadt bald schneller von A nach B leiten.

Die Projektkoordination ist unter der Leitung des Diplom-Geografen Matias Ruiz Lorbacher bei der INA GmbH angesiedelt, einer gemeinnützigen Einrichtung an der Freien Universität Berlin mit dem Titel „Internationale Akademie für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie“.

„Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden wir im REMON-Projekt mit unseren Partnern in Deutschland und Vietnam Lösungen erarbeiten, wie der Kohlendioxid- Ausstoß in aufstrebenden Wirtschaftsräumen verringert werden kann“, sagt Thamm.

Die Idee, mit der die Forscher die nervenaufreibenden Staus in den Griff bekommen wollen, ist dabei so einfach wie genial: „Wir möchten den Verkehrsteilnehmern in Hanoi eine App für ihr Smartphone zur Verfügung stellen, die Daten über die Verkehrslage sammelt und so dem Fahrer einen Überblick über die aktuelle Verkehrssituation gibt“, erläutert der Wissenschaftler.

Das kleine Programm, entwickelt von der Berliner Software-Schmiede LUAX in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), soll noch in diesem Monat einsatzbereit sein. Mehrere Zehntausend Nutzer sollen dann einen umfassenden Praxistest ermöglichen. „Allerdings haben wir nur diesen einen Versuch“, sagt Thamm. „Handynutzer verzeihen keine Fehler und löschen das Programm schnell wieder, wenn es nicht zuverlässig funktioniert.“

Die wichtigsten Partner vor Ort – neben den offiziellen Stellen wie dem Stadtplanungsamt – sind dabei die Taxiunternehmen der vietnamesischen Hauptstadt. Sie haben ein eigenes Interesse an aktuellen Verkehrsinformationen, weil sie so ihre Flotte von Taxis effizienter einsetzen können.

Die Mitarbeiter von REMON erhielten auf diese Weise auch Rohdaten, die helfen könnten, die bestehende Infrastruktur der Stadt effektiver nutzbar zu machen, sagt Thamm: „Wir sehen nach Auswertung und Kartierung der Daten schnell, wo schlecht geschaltete Ampeln oder Baustellen den Verkehrsfluss in der Stadt behindern.“

Wohin und auf welchem Weg sind die Menschen unterwegs? Wie verändert sich die Stadt durch den wirtschaftlichen Aufschwung? Und wo lassen sich Ansätze finden, um Wege kurz zu halten? Auf diese und andere Fragen suchen die Wissenschaftler Antworten.

Ein weiterer Partner des Projekts, das Architekturbüro AS&P, Albert Speer und Partner GmbH, soll mittelfristig städtebauliche Musterplanungen erstellen, in denen lange Wege und motorisierter Verkehr weitgehend vermieden werden. „Hanoi wächst momentan etwa um 200 000 bis 300 000 Einwohner pro Jahr – und es entstehen extrem viele Neubauten“, sagt Thamm. „Das verfügbare Kartenmaterial ist deshalb oft zu ungenau.“

Aus diesem Grund werden hoch aufgelöste Satellitenbilder verwendet und ein Stadtwachstumsmodell entwickelt, um die Siedlungsdynamik zu beschreiben. „Als Mitteleuropäer macht man sich keine Vorstellung, wie schnell in Vietnam ganze Stadtviertel aus dem Boden gestampft werden.“

Das Projekt wird noch bis 2015 mit insgesamt rund 2,3 Millionen Euro vom Bund gefördert. Der Anteil der Förderung für die Arbeit der Wissenschaftler an der Freien Universität beträgt rund 390 000 Euro.

Ein finanzieller Einsatz, der sich lohnt, davon ist Thamm überzeugt: „Wir wollen dazu beitragen, dass in den Schwellenländern lebenswerte Städte entstehen und nicht jeder Fehler wiederholt wird, der bei den Stadtplanungen in den Industriezentren der westlichen Welt im vergangenen Jahrhundert begangen wurde.“ Damit der Verkehr auch in Hanoi zur Rushhour fließt und die Menschen auf ihren Mundschutz verzichten können.

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