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Todsicher schlank

Forscher der Freien Universität haben in Präparaten zum Fettabbau lebensgefährliche Substanzen nachgewiesen

07.05.2014

Schlank um jeden Preis: Weil sie ihren Körper auf Norm-Maß bringen möchten, greifen viele Menschen zu Medikamenten.

Schlank um jeden Preis: Weil sie ihren Körper auf Norm-Maß bringen möchten, greifen viele Menschen zu Medikamenten.
Bildquelle: Lev Dolgachov/iStockphoto

In seinem letzten Facebook-Post ließ Sarmad Alladin keinen Zweifel – er war stolz auf seinen Körper. Und er trug seinen Spitznamen „Mr. Muscle“ nicht umsonst. Auf einem Schnappschuss präsentiert der 18-Jährige, der in England studierte, seinen angespannten Bizeps. Wenige Stunden nach diesem Eintrag war er tot. Schuld an seinem Tod ist nach Expertenmeinung eine Diätpille namens „DNP Burn“. Gekauft hatte er das Mittel vermutlich im Internet.

Seine Familie und Freunde konnten sich kaum vorstellen, dass der Hobbysportler das bei Bodybuildern beliebte, aber lebensgefährliche Präparat tatsächlich eingenommen haben soll. Sarmad Alladin blieb 2013 nicht das einzige Opfer in England. Zwei weitere Studierende starben, nachdem sie ähnlich gefährliche Schlankheitspillen eingenommen hatten.

Trotz aller Warnungen ist es bisher nicht gelungen, den Handel mit umstrittenen Schlankheitspillen zu unterbinden. Auch in Deutschland kann man derartige Präparate problemlos im Internet bestellen.

Maria Kristina Parr, Professorin für pharmazeutische Chemie am Institut für Pharmazie der Freien Universität Berlin, hat das mit ihrem Team in den vergangenen Jahren getan, zu Forschungszwecken: „In Zusammenarbeit mit dem Zollkriminalamt in Köln und der Deutschen Sporthochschule Köln haben wir versucht nachzuvollziehen: Wie kommt man in Deutschland an solche Schlankheitspräparate? Und: Was enthalten sie genau?“

Stimulanzien, Appetitzügler, Schlankheitsmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Designerdrogen, Doping – Maria Kristina Parr und ihre Mitarbeiter haben mit Stoffen aus diesem Teilbereich der Pharmazie häufiger zu tun. Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich vor allem mit der Analytik von Arzneimitteln oder biologischen Proben.

Mithilfe verschiedener Techniken können die Forscher nachvollziehen, wie der Körper etwa bestimmte Arzneimittel abbaut. Oder eben Wirkstoffe, die sich zum Doping eignen. So arbeitet ihre Forschungsgruppe beispielsweise mit finanzieller Förderung der Welt-Antidoping- Agentur an einem Test, der nachweisen soll, ob ein Sportler mit dem Muskelaufbaumittel Clenbuterol gedopt hat.

Viele Substanzen, die bei der Antidoping-Agentur auf dem Index stehen, sind jedoch nicht nur für Hochleistungssportler relevant. Für Stoffe etwa aus der Kategorie „Stimulanzien“ interessieren sich auch Bodybuilder – und Menschen, die abnehmen wollen.

Stimulanzien wie Amphetamine oder das in Hustensäften enthaltene Ephedrin versetzen den Körper in erhöhte Alarmbereitschaft. Sie funktionierten ähnlich wie die körpereigenen Hormone Adrenalin und Noradrenalin, erklärt Maria Kristina Parr. Also die Hormone, die den menschlichen Körper seit Urzeiten in Momenten höchster Gefahr in Rekordzeit von Entspannung auf „Kampf- oder Fluchtbereitschaft“ umschalten lassen.

Der Atem beschleunigt sich, jede Müdigkeit ist wie weggeblasen, das Herz schlägt schneller, und der Körper aktiviert jede Menge Energie. „Vor allem das schnelle Bereitstellen von Energie durch die Mobilisierung von Fettreserven ist der Grund, warum klassische Stimulanzien auch immer wieder als Mittel zum Abnehmen eingesetzt werden“, sagt die Wissenschaftlerin.

In einigen Präparaten, die die Forscher im Internet bestellten, fanden sie den Stoff Methylhexanamin. Die Substanz, die noch vor einiger Zeit in abschwellend wirkenden Nasensprays enthalten war, steht aufgrund ihrer stimulierenden Wirkung ebenfalls auf der Verbotsliste der Antidoping- Agentur.

Präparate, die Methylhexanamin enthalten, lassen den Blutdruck ansteigen, sorgen für Atemnot und stehen im Verdacht, Hirnblutungen und Leberschäden auszulösen. Aufgrund von Todesfällen nach der Einnahme wurde in Deutschland die Zulassung für Arzneimittel, die Methylhexanamin enthalten, aufgehoben.

Noch gefährlicher ist der zweite Wirkstoff, den die Wissenschaftler bei ihrer Analyse fanden – 2,4-Dinitrophenol, kurz DNP. „DNP hat ein komplett anderes Wirkprinzip“, sagt Parr. DNP greift an einem bestimmten Teil des Energiestoffwechsels an, der sogenannten Atmungskette. Dort wird der Brennstoff für die Muskelzellen hergestellt, das Adenosintriphosphat (ATP). Dazu greift der Körper unter anderem auf seine Fettreserven zurück. DNP stört diesen Prozess – es entsteht kein ATP mehr, sondern nur noch Wärme.

Atemnot und Hirnblutungen als Nebenwirkungen

„Der Körper verbrennt also seine Energiereserven wie ein schlecht funktionierender Ofen: Anstatt den Raum zu beheizen, geht die Wärme durch den Schornstein“, sagt die Wissenschaftlerin.

Die schnelle Fettverbrennung hat mindestens zwei gefährliche Nebeneffekte. Zum einen erhält der Körper keine Energie mehr. Zum anderen steigt die Körpertemperatur bedenklich an. „Dieser Temperaturanstieg ist vergleichbar mit einem extremen Fieber und kann lebensbedrohend sein“, sagt die Wissenschaftlerin. DNP könne zu Atemnot, Multiorganversagen, sogar zum Tod führen.

DNP ist kein neuer Wirkstoff und seine Risiken und Nebenwirkungen sind schon seit gut hundert Jahren bekannt. Die Substanz wurde damals vor allem in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Zusammen mit Trinitrotoluol, oder TNT, wurde es für Artilleriegranaten verwendet.

Arbeiter, die in den Fabriken mit DNP in Kontakt kamen, klagten nicht nur über Schwindel, sondern berichteten auch über extremen Gewichtsverlust. In den USA wurde DNP deshalb in den 1930er-Jahren in einem Präparat zur Gewichtsreduktion eingesetzt. Doch bereits 1938 verboten die Behörden DNP dort wieder. „Schon damals hatte man erkannt, dass der Wirkstoff kaum kontrolliert eingesetzt werden kann und die Nebenwirkungen einfach zu gravierend sind“, sagt Parr.

Heute werden Präparate, die DNP enthalten, im Internet vertrieben und oft unter unterschiedlichen Namen verkauft: „Yellow Fat Burner“ oder „DNP Burn“ sind nur zwei davon. Eine Auflistung der Substanzen oder ein entsprechender Warnhinweis fehlten dagegen bei allen Produkten, die die Wissenschaftler für ihre Stichprobe bestellten.

„Es war erschreckend, wie einfach es ist, diese Mittel über das Internet zu kaufen“, sagt Maria Kristina Parr. Und noch etwas habe die Analyse klar gezeigt: „Die Zusammensetzung und Qualität der Präparate aus dem Internet schwankt sehr – die Situation bei solchen Diät- und Schlankheitspräparaten ist also vergleichbar mit der auf dem Drogenschwarzmarkt.“

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