Auf Augenhöhe mit Nofretete
Blick von der Büste der Königin Nofretete durch die Räume „Bibliothek der Antike“, „Knabe von Xanten“ und „Roms Provinzen“ in den Saal „Römische Götter“
Bildquelle: © Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Achim Kleuker
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Bildquelle: © Staatliche Museen zu Berlin, Foto: Achim Kleuker
„Keine Mumien“, sagt Dietrich Wildung, Honorarprofessor für Ägyptologie an der Freien Universität, „Sie werden in dieser Ausstellung keine Mumien finden.“ Der Raum im Untergeschoss des Neuen Museums ist zwar mit „Jenseits und Ewigkeit“ überschrieben und widmet sich dem Thema Sterben und Weiterleben; er zeigt zwar Sarkophage aus altägyptischer, griechischer und römischer Zeit. Doch das Wort Tod kommt nicht vor, das ist Wildung wichtig, es geht nicht ums Düstere und Traurige. Er deutet an die lichtdurchflutete Decke: „Alle Jenseitsvorstellungen, gleich welcher Kultur, streben zum Licht, das lässt sich von den Besuchern in diesem Raum wunderbar nachempfinden.“
20 Jahre lang war er Direktor des Ägyptischen Museums Berlin. Mit dem Umzug der Sammlung in das Neue Museum folgt ihm nun Friederike Seyfried. Doch für das Ausstellungskonzept der Ägyptischen Sammlung ist er verantwortlich. Die Neuinszenierung ist ein Wagnis, auch wenn Wildung sie im Alten Museum schon einmal testen konnte, als dort dreieinhalb Jahre lang das Ägyptische Museum zu Gast war.
Denn die Präsentation bricht mit der herkömmlichen wissenschaftlichen Systematik und dem üblichen Besucherblick: Die Objekte werden nicht chronologisch, sondern thematisch angeordnet, der Besucher tritt ihnen auf Augenhöhe entgegen. So finden sich im Pharao-Saal Büsten aus drei Jahrtausenden, also aus ganz unterschiedlichen Epochen. Der Laie könne „das immer gleich Bleibende als ägyptisch erkennen“ – und dabei feststellen, dass alle Büsten dennoch unterschiedlich aussähen. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ist Konzept.
Dem Wissenschaftler und Museumsmann Wildung geht es darum, neue Sichtweisen zu eröffnen und bestehende zu korrigieren: „Unser Blick auf Ägypten ist immer noch europäisch geprägt – Hieroglyphen, Fluch des Pharaos, das klingt für uns mystisch. Dabei ist das Licht des menschlichen Geistes nicht erst auf der Akropolis aufgegangen, sondern lange Zeit vorher am Nil.“
Die Ausstellung zeigt 4500 Objekte auf den 2600 Quadratmetern; den anderen Teil des Hauses nutzt das Museum für Vor- und Frühgeschichte; die „restlichen“ 95.000 Stücke – das Inventar der Papyrussammlung eingeschlossen – lagern im Archiv. Hier wird geforscht. „Wir bewahren das kulturelle Gedächtnis der Menschheit“, sagt Wildung und plädiert für die enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Museen, um Erkenntnisse aus der Forschung für Ausstellungen fruchtbar zu machen. Seine Seminare als Honorarprofessor hat Wildung wiederum regelmäßig im Museum und den Magazinen abgehalten. Schließlich könne den unmittelbaren Kontakt mit den Originalen kein Lehrbuch ersetzen. Von seinen Studenten wünscht er sich, dass sie ihre Studien öfter einmal ins Museum verlegten: „Ein dreidimensionales Kunstwerk, etwa eine Büste, ist als zweidimensionale Abbildung im Buch einfach nicht zu erfassen.“ Das Museum als Lernort zu konzipieren, es zu einem Ort zu machen, an dem die Besucher über die Originale mit vergangenen Welten in Verbindung treten können, liegt Wildung am Herzen. Die Ausstellung sei „eine Einladung, Ägypten als einen unverzichtbaren Teil der Kunst- und Kulturgeschichte zu verstehen und als eine Kultur des afrikanischen Kontinents“.
Als der gebürtige Allgäuer Anfang 1989 aus München nach Berlin kam und die Direktion des Ägyptischen Museums in Charlottenburg übernahm, hatte er sich neben der Leitung auf ausgiebige Forschungsarbeit im ruhigen Westberlin gefreut. Nur zehn Monate später fiel die Mauer, und für die seit dem Zweiten Weltkrieg willkürlich auf zwei Museen im West- und Ostteil der Stadt verteilten ägyptischen Schätze boten sich plötzlich ungeahnte Möglichkeiten. Seitdem habe er „wiedervereinigt und zusammengefügt“, sagt Wildung, „ich bin nicht unglücklich. Zu diesem Zeitpunkt nach Berlin gekommen zu sein, das war ein Geschenk des Himmels.“
Mit dem Umzug in das Neue Museum, dessen aufwändige Sanierung durch den britischen Architekten David Chipperfield erst im Herbst abgeschlossen wurde, ist das Museum an seinen Ursprungsort zurückgekehrt: 1850 waren die Ägyptischen Sammlungen in den von Friedrich August Stüler errichteten Bau auf der Museumsinsel eingezogen. Hier wurden die Stücke ausgestellt, die der Ägyptologe Karl Richard Lepsius von seiner Ägypten-Expedition zwischen 1842 und 1846 mitgebracht hatte.
Gerade ist Dietrich Wildung in den nördlichen Sudan aufgebrochen. Seit 15 Jahren ist er dort an Grabungen beteiligt, bei denen Teile einer bislang nicht erforschten antiken Stadt in der Steppe freigelegt werden. Nofretete weiß er im Neuen Museum zu Hause. Die Büste der ägyptischen Göttin steht im Mittelpunkt eines kleinen Kuppelsaals und blickt durch den Niobidensaal mit den ausgestellten Papyri zum griechischen Sonnengott Helios. Die Besucher mögen ihrem Blick folgen, wünscht sich Wildung: „Quer durch die Räume, Epochen und Kulturen.“
Von Christine Boldt