Auf den Hund gekommen
Die andere Seite der Tierliebe
Man stelle sich vor: Animiert von Vorbildern französischer Feinschmeckerlokale ruft der bekannte Berliner "Gourmet-Tempel" R. seine Kundschaft öffentlich zum gemeinsamen Mahl und verkündet als Menü: Dackelfleischsuppe mit Reis und feinen Gemüsen, gekochte Chow-Chowzunge, die der blauen Farbe wegen besonders geschätzt wird, Ragout vom Silberpudel ... Diesem Szenario wären sicher bald massierte Polizeikräfte als lebensverlängernde Maßnahme für die Freunde der Esskultur hinzuzufügen.
Es folgte ein viel beachteter Prozess, angestrengt vom Deutschen Tierschutzbund gegen Meister R. Dessen Prozesskosten wurden vom Verein der Berliner Hundegegner getragen. Seit 1986 (BGBl. 1, S. 398) ist die Schlachtung von Hunden zum Genuss von Menschen verboten. Trotz dieser eindeutigen Rechtslage gelang es einer prominenten Anwaltskanzlei, den Angeklagten mit der Aussage zu retten, R. habe die Hunde bereits geschlachtet gekauft, und verboten sei schließlich nur das Schlachten. Der Freispruch für R., dem Freisprüche für Mäster und Schlachter folgten, führte zu Straßenkämpfen zwischen Hundeliebhabern und Hundegegnern. Die Polizei vermochte diese kaum zu schlichten, weil sie gegen den massenhaften Einsatz von Kampfhunden durch die Hundefreunde zunächst kein Mittel fand.
Im Prozess war die kinderlose Witwe Amalie Z. als Nebenklägerin aufgetreten. Sie ließ auf seelische Grausamkeit plädieren, da die Vorstellung des Schlachtvorganges eine nie gekannte innere Erschütterung hervorgerufen hatte. Während der Protestversammlung vor dem Restaurant R. hatte diese Erschütterung zu schwerster innerlicher Verkrampfung geführt. Diese führte zu einem Spasmus der Armmuskulatur der kräftig gebauten Witwe, wodurch wiederum der – buchstäblich – auf Händen getragene Silberpudel "Putzi" in der liebevollen Umarmung erstickte.
Die Verteidigung erfuhr jedoch vom völlig verfetteten, herzkranken und rundum erbärmlichen Zustand des ausschließlich auf einem Quadratmeter des Sofas der Witwe Z. gehaltenen und fast zu Tode geliebten Putzi. Die Hauptverhandlung wurde für den Tierschutz zum Desaster, konnten die "Kynophagen" doch mit Hilfe der Leidenskriterien des Tierschutzgesetzes nachweisen, dass das Mästen, Schlachten und Essen der Hunde in jeder Beziehung tiergerechter, schonender und leidensfreier als das Lieben von Hunden erfolgte. Als gerichtsentscheidend stellte sich dabei die vergleichende Autopsie der Opfer der kulinarischen Lust mit dem Opfer des verwitweten Liebesdranges durch Prof. B. am Institut für Veterinärpathologie der FU Berlin heraus. Die Aussage des als wissenschaftlich brillant gerühmten Mannes erbrachte eindeutige Ergebnisse und entlastete Mäster wie Schlächter, da sowohl die Haltungsbedingungen als auch die Todesarten der Objekte der karnivoren Lust im Vergleich zum Liebesobjekt unvergleichbar günstiger gewesen waren.
Fiktion und Realität
... ein Stück aus dem Tollhaus? Gewiss! In der spezifischen Zusammensetzung ist diese Fiktion das Szenario eines modernen "Narrenschiffs". Einzelne Versatzstücke daraus sind jedoch banale gesellschaftliche – und für Tierärzte – berufliche Realitäten: Zwei Drittel aller Heimtiere stehen in Mastkondition, Tierliebe muss als Entschuldigung für deren grenzenlosen Missbrauch herhalten, Tiere dienen als unersetzliche Kompensation von Einsamkeit, die gesellschaftliche Dimensionen erreicht hat. Es gibt Konflikte zwischen Tierhaltern und Menschen ohne Tiere und eine Tiermedizin, deren gesellschaftliche Aufgabenzuweisung – Tierschutz versus Lebensmittelhygiene – den inneren Konflikt ins System einbaut.
Menschen aßen Hunde! Sie taten dies seit Urzeiten, wie verwertungstypische Befunde der Paläoanatomen an Hundeknochen von der Jungsteinzeit bis ins Mittelalter zeigen. Auch Texte aus dem griechischen und römischen Altertum sowie des Mittelalters und der frühen Neuzeit beweisen es. Und Menschen essen Hunde. Sie tun dies zu Hunderttausenden. Und wer behauptet, sie täten es nicht, sieht entweder nur seinen eigenen kleinen Kulturkreis oder spricht den Bewohnern eines großen Teils Chinas und Südostasiens das Menschsein ab. Dass dies tatsächlich nicht selten geschieht, belegt u.a. die Argumentation vom Hundeverzehr als "Kulturschande", die als eine Art Übersprunghandlung für verdeckten Rassismus gelten kann.
Als nach 1945 der offene Rassismus negativ sanktioniert wurde, blieben dem rassistischen Argumentationsmodell nur noch "kulturrassistische" Redeweisen.
Tierschutz von rechts und links
Die Funktion des Tierschutzes war zu dieser Zeit, aus dem "Wir sind wieder wer!" ein "Wir sind auch moralisch wieder wer!" zu machen. Diese sich als "unpolitisch" gerierende Phase des Tierschutzes war eine interessante Etappe der Tierschutzbewegung vom äußerst rechten Flügel des politischen Spektrums im 19. Jahrhundert über seine enge Assoziation an und Verwertung durch die Nationalsozialisten auf dem Weg zum äußerst linken Flügel der Studentenbewegung nach 1968. Ein wichtiger Umschaltpunkt war ein Gerichtsurteil von 1976, in dem der Fernsehtierschützer Bernhard Grzimek durchsetzte, industrielle Hühner- und Eierproduktion als "KZ-Haltung" bezeichnen zu dürfen: Die Gleichsetzung von Geflügelhaltung mit dem industriemäßigen Mord an Millionen Juden wurde sanktioniert. Grzimek, der solche Haltungsformen im "Reichsnährstand" noch selbst mit initiiert hatte, unterstützt durch den Appell an antifaschistische Impulse der Studentenbewegung den Drift des Tierschutzes von rechts nach links.
Auch in Deutschland gab es bis nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kultur des Hundeverzehrs und der medizinischen Verwertung des Hundefetts. Im Jahrhundert der industriellen Revolution breitete sich der Hundeverzehr auf fast alle deutschen Länder aus, mit Schwerpunkten in Schlesien und Sachsen. Die Verbrauchsspitzen im 20. Jahrhundert lagen in den Hungerjahren des Ersten Weltkrieges (1916-18), der Inflationszeit (1922-24) und erneut in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 50er-Jahren begannen Kampagnen gegen Hundeverzehr und Hundeschlachtung zur Fettgewinnung.
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Vom Nutztier zum Liebhabertier
Auch wenn bis 1986 keine Änderung der Gesetzeslage erfolgte, hatte die Diskussion schnell eine tiefsitzende Tabuisierung erzeugt, die den Hundeverzehr zum Randgruppenphänomen machte. Keine Kampagne kann jedoch als Begründung für die Frage herhalten, warum in unserem Kulturkreis das Essen von Hunden so schnell tabuisiert werden konnte und heute so fest verankert ist. Dies kann nur das Phänomen einer tiefgreifenden Veränderung in der Mensch-Tier-Beziehung in den letzten 200 Jahren erklären, die einige Tierarten vom Nutztier (Jagd-, Zieh-, Wachhunde, Lieferant von Fleisch und medizinischen Rohstoffen) in ausschließliche Liebhabertiere verwandelte. Die traditionellen Verwertungsformen wie Mästen, Schlachten, Essen oder Tierversuch stehen ab einer gewissen Stufe sozialer Sicherheit in Konkurrenz zur psychischen Verwertung und werden als moralisch bedenklich abgetan. Dabei ist die Liste der Liebes-generierten Tierschutzprobleme von der Qualzucht über Haltungsprobleme bis zum Übermästungsalltag keineswegs geringer als bei den nicht psychischen Verwertungen. Doch die Gruppe, die die seelische Verwertung des Tieres als Sozialpartner betreibt und in "Nicht-Verwertung" – euphemistisch "Liebe" genannt – uminterpretiert, deklariert dies als moralisch höher stehenden Tierbezug. Und das unveränderlich paternalistisch, mit dem Pathos des selbstlos für andere ("Wehrlose") Kämpfenden und dem Vorteil, dass diese anderen – anders als unterdrückte Menschen – niemals ihre eigene Stimme erheben, selbst Rechte einfordern oder sich Einmischungen von Gutmenschen verbitten werden.
Die anthropomorphen Beziehungsstrukturen zwischen Mensch und Tier bieten Kompensation bei innermenschlicher Beziehungsunfähigkeit. Beziehungen mit Exemplaren der eigenen Spezies erfordern schließlich Kompromisse. Der gute treue Hund macht nur Sinn als Antipode des bösen untreuen Menschen, und so können Tierliebe und Menschenhass zwei Seiten derselben Medaille sein. Wenn die Liebe dann endet, sind die Tierheime die Orte der Aufbewahrung und (oft klammheimlichen) Vernichtung massenhaft ausgesetzten "Überschusses": nicht gelungene Beziehungen, nach Verwertung des Kindchenschemas nutzlos gewordene ausgewachsene Tiere.
Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist Anlass zunehmender gesellschaftlicher Konflikte. Ohne ethische, sozialwissenschaftliche und historische Denkweisen wird ein Verständnis dieser komplexen Beziehung nicht möglich sein.
Von Martin Fritz Brumme