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Übers Knie gerechnet

Wie die Mathematik laufen lernt

Das Knie im Dreiecksnetz <br/> Abb.: AG Kornhuber

Das Knie im Dreiecksnetz Abb.: AG Kornhuber

Das Knie im Dreiecksnetz

Das Knie im Dreiecksnetz

Schritt für Schritt: Die an der Freien Universität angesiedelte Arbeitsgruppe Scientific Computing entwickelt Rechenmethoden, um die Funktionsweise eines Knies zu simulieren. Das virtuelle Knie soll Chirurgen die Arbeit erleichtern.

Gehen ist eine komplexe Angelegenheit. Zumindest, wenn man sich dem Bewegungsablauf aus mathematischer Sicht nähert. „Allein die Bewegung in einem Gelenk realistisch zu simulieren, ist eine große Herausforderung“, sagt Prof. Ralf Kornhuber, Leiter der Arbeitsgruppe für Numerische Mathematik am mathematischen Institut. Kornhuber und seine Mitarbeiter entwickeln Rechenmethoden, um die Kräfte, die beim Gehen im Kniegelenk auftreten, im Computer zu simulieren. Da bei kooperiert das Forscherteam mit dem Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie (CMS) der Berliner Universitätsmedizin Charité und der ebenfalls an der Freien Universität angesiedelten Arbeitsgruppe Scientific Computing.

Das virtuelle Knie

Das virtuelle Knie soll Chirurgen künftig bei der Operationsplanung helfen. Im CMS werden die Knie-Prothesen mit Drucksensoren ausgestattet, um die Belastung von Kniegelenken beim Gehen zu erforschen. Um zusätzliche Daten zu gewinnen, macht man Ganganalysen bei Schafen. „Die gängigen Methoden reichen aber nur für ein Strichmännchen-Modell“, sagt Kornhuber. Eine Simulation lässt sich zwar verhältnismäßig leicht errechnen, die Wirklichkeit ist jedoch weitaus komplexer: Berücksichtigt man die unebenen Kontaktflächen zwischen den Knochen, die Elastizität der Knorpel und die Spannungsverteilung in Sehnen und Muskeln wird es schnell zur Herkules-Aufgabe, ein Kniegelenk in Zahlen zu fassen.

Verfeinerung des Modells

„Wir müssen deshalb Schritt für Schritt vorgehen“, erklärt Kornhuber. Vorerst arbeiten die Mathematiker an einem hoch aufgelösten Modell, das die Kräfteverteilung an den Kontaktflächen des Oberschenkel- Knochens und des Schienbeins wiedergeben soll. Dabei verwenden sie im Magnetresonanztomographen (MRT) erstellte Aufnahmen von Kniegelenken, aus denen sie ein erstes Modell der Knochen erstellen. Um die Kontaktbereiche möglichst einfach und schnell beschreiben zu können, teilen sie die kontinuierliche Knochenoberfläche in eine endliche Anzahl kleinerer Dreiecke auf, ein Ansatz, der als Finite-Element-Methode bezeichnet wird. Mit ihr nähern sich die Mathematiker der Realität und begrenzen gleichzeitig die Datenmenge auf ein handhabbares Ausmaß.

In wiederholten Rechenschritten wird das Modell immer feiner aufgelöst und korrigiert. Das dauert lang und nimmt eine Menge Rechenleistung in Anspruch. Doch hier kommt die Expertise der Numeriker ins Spiel. „Wir legen unter den Punkten des Rasters eine Hierarchie fest und organisieren die Berechnung nach einem ähnlichen Prinzip, wie es auch in einer Fabrik vorzufinden wäre“, veranschaulicht Kornhuber den Algorithmus. Nach dem Grundsatz „teile und herrsche“ gibt der „Chef“ in diesem System eine Parole aus, die Vorarbeiter der Abteilungen geben die Information an die einzelnen Mitarbeiter weiter. „In unserem virtuellen Knie sind die Chefs die hohen hierarchischen Punkte im Raster, die Mitarbeiter die feinen Gitterpunkte“, vergleicht Kornhuber. Am Ende benötigt man durch diesen Algorithmus anstelle hunderter Rechenschritte nurmehr fünf.

Knorpel, Sehnen und Muskeln modellieren

Doch mit dieser Simulation ist nur der erste Schritt in Richtung eines dreidimensionalen Kniemodells getan. Die nächste Herausforderung wird es sein, Knorpel, Sehnen und Muskeln zu modellieren. Jedes dieser Probleme verlangt von den Forschern die Entwicklung neuer mathematischer Werkzeuge. Zum Schluss soll dann alles zu einem detailgetreuen Modell des menschlichen Kniegelenks zusammengeführt werden, das die Gehbewegung nachahmt. Fast so komplex wie im richtigen Leben.

von Leo Karby