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Im Tal der Kultbauten

Ein Fund im peruanischen Sechín Bajo verändert die Zeitrechnung Altamerikas

Kultbauten

Kultbauten

Bei der Grabungskampagne 2005 kam es zu einer aufregenden Entdeckung: 123 Graffiti-Motive waren auf einer Länge von 40 m in die Südwest-Wand eingeritzt worden.

Bei der Grabungskampagne 2005 kam es zu einer aufregenden Entdeckung: 123 Graffiti-Motive waren auf einer Länge von 40 m in die Südwest-Wand eingeritzt worden.

Das Casma-Tal ist das Tal der Kultbauten: In keinem anderen Tal Perus stehen so viele und so gewaltige Gebäudekomplexe so dicht beieinander wie hier – die ältesten davon wurden vor mehr als 4000 Jahren errichtet. Sie markieren den Übergang von eher ungeschichteten Agrargesellschaften zur Herausbildung zentraler Herrschaft mit Monumentalbauten – zuerst an der Küste, dann im Hochland. Eines dieser gewaltigen Monumente ist der Fundplatz Sechín Bajo, dessen Untersuchung neue Erkenntnisse über diese Anlagen liefern soll.

Hier wurden bereits mehr als hundert Graffiti entdeckt. Wir befinden uns in einer subtropischen Wüstenlandschaft an der peruanischen Pazifikküste: Hier, etwa 370 km nördlich von Lima, liegt das Untersuchungsgebiet. Was man fand, ist eine Sensation. Denn der Fund ist 400 Jahre älter als Caral, die älteste Stadt Amerikas, die auf 2500 v.Chr. datiert wird, und er schiebt den Beginn der genannten gesellschaftlichen Veränderungen nun nach vorn.

Anfänge

Die ältesten menschlichen Besiedlungsspuren in der Region sind mehr als 12000 Jahre alt. Sie finden sich in den Felsüberhängen der Schwarzen Kordilliere; wenig später wird der Küstengürtel besiedelt. Im 3. Jahrtausend v. Chr. entstehen die ersten festen Siedlungen auf der Basis von Meeresressourcen und mit dem Anbau von Bohnen, Pfefferschoten, Kartoffeln und Mais. Gegen Ende des Jahrtausends kommt es in den Tälern zu tiefgreifenden Veränderungen des Siedlungsgefüges. In den unteren Talabschnitten entstehen größere Siedlungskammern, in deren Zentrum monumentale Baukomplexe errichtet werden, die nur teilweise von kleineren Siedlungsstrukturen umgeben sind. Nach der traditionellen Interpretation spiegelt sich darin ein grundlegender Wandel in der Subsistenz wider: von der Küstenfischerei hin zur Landwirtschaft – auf der Basis künstlicher Bewässerung. Der Fundplatz Sechín Bajo liegt am nördlichen Talrand, unmittelbar am Übergang der landwirtschaftlich genutzten Zone zur Wüste. Er umfasst ein Gebiet von 30 Hektar mit Bauten unterschiedlichen Alters, die von einer Umfassungsmauer umgeben sind. Der Hauptbau ist von einer klaren Achsensymmetrie geprägt.

Ein Ort für Auserwählte

Die architektonische Teilung des Hauptbaus zwischen dem zweiten und dritten Hof spricht für unterschiedliche Nutzungskonzepte. Während die Höfe 1 und 2 und der große vorgelagerte Platz offen und einsehbar sind und daher einen eher öffentlichen Charakter aufweisen, belegen die immer intimer werdenden Höfe 3 und 4, der nicht einsehbare Treppenaufgang und weitere Zugangsbeschränkungen in den Durchgängen dieser Höfe eine eingeschränkte Nutzung, die offensichtlich nur einer ausgewählten Gruppe vorbehalten war. Der Hauptbau ist arm an Funden, wie es bei verlassenen Kultanlagen häufig der Fall ist. Bei den wenigen Objekten aus der Nutzungszeit der Anlage handelt es sich um Streufunde wie einzelne Perlen oder Fragmente von Tonfiguren. Von besonderer Bedeutung sind Keramikfragmente aus Feuerstellen, die sich auf den umliegenden Sockelfundamenten befanden. Sie gehören zu Rundbodengefäßen ohne Hals, die zu den frühesten bisher bekannten keramischen Formen der Region gehören.

Mit Fisch zur Ekstase

Die Feuerstellen, in denen die zerscherbten Gefäße gefunden wurden, waren nicht häufig genutzt worden und weitere Abfälle fanden sich nicht. Das deutet darauf hin, dass hier Rituale vorbereitet wurden. Auch die Verzierung eines Gefäßes mit einem stilisierten Fisch könnte ein entsprechender Hinweis sein. Von der Nordküste Perus sind Fische bekannt, deren Verzehrhalluzinogene Wirkung erzeugt. Die Verwendung derartiger Wirkstoffe und damit verbundene ekstatische Praktiken sind für diese Zeit in Peru an vielen Orten gesichert.

Die Sensation

Die Freilegung eines so genannten „vertieften runden Platzes“ vor dem Annexgebäude stellte sich als Sensation heraus. Diese Plätze sind frühe Kultbauten, und in der nächsten Kampagne werden wir den Platz weitergehend untersuchen.schon jetzt haben die Arbeiten in Sechín Bajo wichtige Erkenntnisse geliefert. Durch die Entdeckung eines Vorgängerbaus aus Lehmziegeln kann die Entstehung derartiger Großbauten in der Region sicherlich weiter in das 3. Jahrtausend v. Chr. datiert werden und ist somit älter als Caral, die älteste Stadt Amerikas. Die Untersuchung der beiden „vertieften runden Plätze“ von Sechín Bajo mit ihren unterschiedlichen Zeitstellungen wird wichtige Aufschlüsse zu Funktion und Baugeschichte dieses Kultanlagentyps liefern.

Peter R. Fuchs, Landesdenkmalamt, Lateinamerika-Institut (LAI),
Renate Patzschke, LAI,
Cladia Schmitz, LAI, German Yenque, Pacasmayo


Das DFG-Projekt Sechín Bajo

Seit 2003 wird das Forschungsvorhaben Sechín Bajo von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. In diesem Projekt untersuchen wir die Entstehungsbedingungen der monumentalen Baukomplexe im Tal und versuchen, die Funktion der Anlage zu klären sowie die Baugeschichte offenzulegen. Weitere Ziele sind die Definition von Bauphasen, ein exaktes topografisches Aufmaß und die Datierung. Durch geophysikalische Prospektionen wollen wir vor allem die Geländemorphologie vor Baubeginn und eine mögliche Vorgängerbebauung erkunden. Von den restauratorischen Untersuchungen erwarten wir Aufschlüsse über die antiken Handwerks- und Verarbeitungstechniken und die Erarbeitung erster Sicherungs- und Erhaltungsmaßnahmen. Außer den Archäologen des LAI sind Kartografen der Universität Essen, das Institut für Geodäsie der TU, das Büro für Geophysik Lorenz, Berlin, und die Firma Restaurierung am Oberbaum, Berlin am Projekt beteiligt.

Die Forschung und die internationalen Beziehungen

„Für die Peruaner ist es enorm wichtig, ihre Vergangenheit selbst zu erforschen“, sagt Jürgen Golte, Ethnologe und Professor für Altamerikanistik am LAI. „Deshalb haben wir unsere Funde in Sechín Bajo auch mit äußerster Vorsicht präsentiert.“ Ohnehin arbeitet man eng mit der peruanischen Archäologin Ruth Shady Solís zusammen, die das Grabungsprojekt in Caral, der ältesten Stadt Amerikas, leitet. „Und wir etablieren unsere Kontakte so, wie es in Lateinamerika üblich ist“, fügt Golte hinzu, nämlich auf der persönlichen Ebene, dann erst auf der institutionellen. Die LAI-Forscher publizieren ihre Ergebnisse auf Spanisch, so dass sie ohne Weiteres in den Unterricht des Landes eingefügt werden können. „So entsteht eine Wissenschaft, die auf die Realität der Länder eingeht“, sagt Golte.
„Als Partner in der Zusammenarbeit haben wir einen Vorteil – zum Beispiel gegenüber den nordamerikanischen Kollegen, die in der Regel nicht auf Spanisch publizieren und die nichtenglische Forschungsergebnisse auch nur selten zur Kenntnis nehmen.“ Auch dies mag dazu geführt haben, dass es im peruanischen Grabungsgebiet um Caral ein Beben gab, das die gesamte einschlägige Forschergemeide nachhaltig erschütterte. Sehr zum Unwillen der Peruaner hatte ein nordamerikanisches Archäologenteam mit viel Geld eine Parallelstruktur aufgebaut und Ergebnisse ohne Verweise auf bereits Bestehendes veröffentlicht. „In der internationalen Szene werden sie inzwischen geschnitten“, weiß Golte. „Aber es ist schade, dass deutsche Medien, die über die älteste Stadt Amerikas berichten, ziemlich unüberlegt zu den nordamerikanischen Quellen greifen.“