„Ich will, ich kann“
Er scheiterte bei der Aufnahmeprüfung der Schauspielschule und das Vorsprechen bei der bekanntesten Kabarett-Truppe – aber er gab nie auf: Dieter Hallervorden, 74, Alumnus der Freien Universität, über die Kunst, sich nicht kleinkriegen zu lassen.
WIR: Herr Hallervorden, während der Regierungszeit von Helmut Schmidt waren Sie für den Humor zuständig...
Dieter Hallervorden: Wenn Sie jetzt mit „Palimm, palimm“ anfangen, ist das Gespräch womöglich schnell beendet.
WIR: Immerhin waren Millionen Zuschauer in den 70er Jahren begeistert, wenn Sie Kurt Schmidtchen und Rotraud Schindler in den Wahnsinn trieben, damals als Didi in der Show „Nonstop Nonsens“.
Hallervorden: Ich habe die Rolle nie bereut, aber es war eben genau das: eine Rolle. Zum letzten Mal habe ich sie am 17. März 1990 in Basel gespielt, vor über zwanzig Jahren! Es ist nur bis zu einem gewissen Grad erträglich, wenn Ihnen jahrelang bei jedem Gastspiel jeder eine Flasche Pommes schenkt, jeder Bankfilialleiter, jeder Kreistagsabgeordnete, jeder Schrebergartenvereinsvorsitzende. Jeder dachte, er sei als Erster und Einziger auf diese total ausgefallene Idee gekommen.
WIR: Keine Angst, wir wollten nicht über Didi sprechen, sondern über Politik: Sie schrieben damals Gags für die Wahlkampfreden von Helmut Schmidt. Wie kam es dazu?
Hallervorden: Das würde ich nicht überbewerten; ich war keinesfalls der Ghostwriter von Helmut Schmidt. Aber 1968 spielten wir in meinem Kabarett „Die Wühlmäuse“ ein Programm mit dem Titel „Der brave Demokrat Schmidt“. Der damalige Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt ließ nicht lange auf sich warten, wahrscheinlich weil er mutmaßte, als Besucher etwas über sich zu erfahren, was er noch nicht wusste. In dem Programm ging es aber eher allgemein um die Spielregeln der Demokratie, der brave Demokrat hätte ebenso gut Schulze, Meier oder Müller heißen können.
WIR: Aber dem Minister Schmidt haben Ihre Texte gefallen?
Hallervorden: Scheint so. Mich erreichte über sein Sekretariat die Bitte, für eine seiner Wahlkampfreden ein paar Pointen beizusteuern.
WIR: Können Sie sich noch an eine erinnern?
Hallervorden: Es ist das Los von Redenschreibern und Auftragsautoren, dass sie sich nicht mit ihren Federn schmücken dürfen – Berufsethos. Selbst wenn ich mich erinnerte, würde ich keine Pointe verraten. Aber ich saß damals in der Halle, zusammen mit 6.000 anderen, als Helmut Schmidt die Rede vortrug. Er verwendete alle Pointen, und sie kamen an. Bewundernswert, wie professionell er sie einstreute – als wären sie ihm gerade eingefallen. Für Helmut Schmidt habe ich gerne geschrieben. Er ist ein Politiker mit Rückgrat und klarem Verstand.
WIR: Von der jetzigen Regierung sprechen Sie weit weniger begeistert, obwohl Sie sich Schwarz-Gelb gewünscht haben und als Anhänger der FDP gelten. In der Talkshow „Hart aber fair“ haben Sie vor allem Guido Westerwelle kritisiert, als einen Außenminister, der von sich selbst geradezu überwältigt scheint. Was macht Sie so unzufrieden?
Hallervorden: Ich habe auch gesagt, dass ich diese Koalition für alternativlos halte und dass die ausufernde Kritik an Frau Merkel überzogen ist. Von allen Konstellationen im Fünf-Parteien-System ist mir Schwarz-Gelb die liebste. Und: Frau Merkel weiß sehr genau, dass absolute Mehrheiten für eine einzige Partei ausgeschlossen sind und Wahlen nur in der Mitte gewonnen werden, heute noch mehr als früher. Deshalb verhält sie sich richtig, wenn sie dem Druck aus der konservativen Ecke der Union nicht nachgibt.
WIR: Aber mit Westerwelle sind Sie unzufrieden?
Hallervorden: Herr Westerwelle hat immer gefordert, Schulden abzubauen und gleichzeitig die Steuern zu senken. Das erinnert mich an jemanden, der abnehmen will und gleichzeitig weitermampft. Manchmal liegt das Ziel vor einem, wenn man sich umdreht. Das scheint auch der Außenminister gerade zu merken. Eigentlich könnte ich dankbar sein: Nie war die Politik so grüßzügig mit Pointen wie diese Regierung.
WIR: Einst haben Sie in Zeitungsanzeigen und Fernseh-Spots für die FDP geworben. Das würde Ihnen heute nicht mehr passieren?
Hallervorden: Die FDP, das waren früher große Leute wie Genscher und Scheel. Heute ist das al-les auf nur eine Person zusammengeschnurrt. Wenn ich mir die Politik in Deutschland anschaue, sehe ich derzeit keine Möglichkeit, meine Sympathie irgendjemandem zu schenken.
WIR: Warum?
Hallervorden: Weil die allermeisten einfach nicht authentisch sind. Ihre Reden sind komplett vorformuliert, ihre tiefste Überzeugung müssen sie ablesen. Ein paar Ausnahmen gibt es allerdings: Bundestagspräsident Norbert Lammert sagt, was er denkt, und das auch noch druckreif, wenn er frei spricht. Und Peer Steinbrück kann komplexe Dinge so erklären, dass sogar ich sie verstehe.
WIR: Was stört Sie bei den anderen?
Hallervorden: Mit dem, was schief läuft, könnte man Bücher füllen. Aber das sollen andere machen. Was mir aber auffällt, ist die Verengung auf drei Themen: Wachstum, Wachstum und Wachstum. Wenn es Stillstand gibt, wird das zum Nullwachstum verklärt. Und Rückgang heißt auf einmal Minus-Wachstum. Das kann ich nicht ernst nehmen, das klingt wie negative Erektion.
WIR: Sie selbst haben sich nie auf nur ein Thema festlegen lassen, sind Schauspieler, Kabarettist, Intendant – von „Didi bis Drama“ hat mal eine Tageszeitung geschrieben. Können nur Allrounder erfolgreich sein, egal ob in der Politik oder in der Kunst?
Hallervorden: Ach, das ist mir ein bisschen hochgegriffen. Sicherlich wird niemand das Publikum auf Dauer überzeugen können, der nur eine Pointe beherrscht oder eine Pose – weder in der Politik noch auf der Bühne. Andererseits scheitert derjenige, der alles gleichermaßen beherrschen will. Man braucht ein Repertoire, aus dem man schöpfen kann, und man muss sich weiterentwickeln wollen.
WIR: Sie standen selbst ein paar Mal vor dem Scheitern, haben aber nie aufgegeben. Als Sie am renommierten Max-Reinhard-Seminar nicht aufgenommen wurden, haben Sie kurzerhand eine private Schauspielschule besucht. Vom verpatzten Vorsprechen beim Kabarett „Die Stachelschweine“ haben Sie sich nicht abschrecken lassen, sondern „Die Wühlmäuse“ gegründet – Ihr eigenes Kabarett, das bis heute Erfolge feiert. Woher kommt das Durchhaltevermögen?
Hallervorden: Vom Aufgeben halte ich nicht viel, das ist sicher richtig; vom Psychologisieren allerdings auch nicht. Ich weiß nicht, wo es herkommt, aber ich habe mich einfach nie an einem Wettlauf beteiligt, um Letzter zu werden. Ich will – und ich kann. Das war immer mein Motto, also: Immer einmal mehr aufstehen als hinfallen!
WIR: Sie haben mal gesagt, dass Ihre Jugend in der DDR Sie stark geprägt hat.
Hallervorden: Auf jeden Fall hatte ich damals schon einen Dickkopf. Als Josef Wissarionowitsch Stalin glücklicherweise den Löffel abgab, hat die SED-Führung einen leeren Sarg aufstellen lassen, bedeckt mit dem Banner der großen, ruhmreichen Sowjetunion. Alle Schüler mussten daran vorbeidefilieren und die Mütze ziehen – was ich nicht tun wollte. Ein Lehrer bedeutete mir: Bedeckter Kopf bei Passieren des Sarges, das ist gleich: mangelndes Klassenbewusstsein. Gleich: Abitur Ade! Ich behielt die dämliche Mütze trotzdem auf. Im Nachhinein schulde ich einem Mitschüler Dank dafür, dass er mir die Voraussetzung fürs Studium verschaffte: Er schlug mir unauffällig die Mütze vom Kopf.
WIR: Sie studierten zunächst an der Humboldt Universität, gingen dann aber 1958 nach WestBerlin, um an der Freien Universität Romanistik zu studieren. Sie hatten die Schnauze voll von der DDR?
Hallervorden: Ich bin nicht freiwillig gegangen, die Stasi hat mich gehetzt – was auch mit meiner doch sehr zurückhaltenden Unterstützung des Sozialismus als Student zu tun hatte.
WIR: Wie sah das aus?
Hallervorden: Als Romanistik-Student in der DDR wurde ich, sobald meine FranzösischKenntnisse geringfügig über der Marke „spärlich“ lagen, als Dolmetscher eingesetzt. Einmal musste ich für ein Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs übersetzen. Natürlich war – nicht nur aus reiner Gastfreundschaft – auch ein SED-Bonze dabei. Beim Übersetzen passierte es denn schon mal, dass ich – entgegen der Vorgaben – den Franzosen darauf hinwies, dass die niedrigen Fleischpreise nur für das geringe Kontingent galten, auf das man für Lebensmittelkarten Anrecht hatte.
WIR: Wie sind Sie aufgeflogen?
Hallervorden: Bei einem internationalen Diskussionsforum auf Usedom ging ich zu weit. Da war ich inzwischen geübt, meine persönlichen Kommentare in Übersetzungen einfließen zu lassen. Allerdings waren in den Blumenarrangements, die die Tische schmückten, Mikrofone versteckt. So flog ich auf – und bin dann hastewaskannste von der Insel. In meiner Studentenbude in Niederschönhausen habe ich dann eilig mein Köfferchen gepackt und bin per S-Bahn nach WestBerlin gefahren. Meine Vermieterin schrieb mir, dass kurz nach meinem Auszug zwei Herren da gewesen seien, die mich zu einem Spaziergang hätten abholen wollen. Beide schienen ein wenig verärgert, mich verpasst zu haben.
WIR: An der Freien Universität konnten Sie erstmal durchatmen?
Hallervorden: Ja, es war eine sehr glückliche Zeit, nach Jahren der Bevormundung und Drangsalierung. Für mich war schon und gerade als junger Mensch meine persönliche Freiheit das höchste Gut. Ein ganz praktischer Vorteil war, dass ich nicht mehr am Zwangsunterricht in Russisch und Dialektischem Materialismus teilnehmen musste.
WIR: An der Freien Universität begann auch Ihre Theaterlaufbahn.
Hallervorden: Ich lernte die Theatergruppe „La Compagnie des Inconnus“ kennen. Ich spielte im Theatersaal der Universität, im französischen Theater „L’Aiglon“, die Hauptrolle in „Les Fourberies de Scapin“. Ich spielte den „Eingebildeten Kranken“ und viele andere Rollen. Das war die Zeit, in der in mir der Wunsch reifte, aus dem Hobby einen Beruf zu machen. Leicht übertrieben kann man sagen: Ohne die Freie Universität würde ich heute vermutlich irgendwo als RomanistikDozent jungen Menschen erklären, dass sich das lateinische a in offener Silbe zu é wandelte.
WIR: Stattdessen ist es eine Karriere auf der Bühne geworden, im Fernsehen und auch im Kino. Neben den „Wühlmäusen“ leiten Sie seit Herbst 2009 auch das Schlosspark Theater in Steglitz. Zur Eröffnung sagten Sie: „Hier soll mein Geld begraben werden.“ Wie viel haben Sie denn schon verbuddelt?
Hallervorden: Mehr als eine Million Euro habe ich investiert. Es wird zwar mindestens zehn Jahre dauern, bevor ich ans Zurückverdienen denken kann, aber ich bereue keine Sekunde, mich dort engagiert zu haben. Wenn ich nicht selbst spiele, erlebe ich im Foyer die Dankbarkeit des Publikums dafür, dass das Haus wieder bespielt wird und dass es diese Qualität bietet. Und da ich die große Begabung habe, Lob und Anerkennung in unbegrenztem Maß ertragen zu können, bin ich eigentlich ganz zufrieden.
WIR: Sie sind 74 Jahre alt und leiten zwei Theater, stehen selbst auf der Bühne, treten im Fernsehen auf, gerade laufen Dreharbeiten mit Ihnen. Sie kümmern sich um Nachwuchs für Kabarettund Comedy-Bühnen. Reicht es Ihnen nicht irgendwann?
Hallervorden: Ach, zwischendurch erhole ich mich ganz gut auf einer Insel vor der bretonischen Küste. Außerdem liebe ich das, was ich tue. Und mir war schon immer ein gutes Ergebnis wichtiger als die dafür aufzuwendende Zeit.