Sprachen, Katzen, Statuen
Interview mit Prof. Dr Winfried Menninghaus
Winfried Menninghaus
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Univ.-Prof. Dr. Winfried Menninghaus
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Winfried Menninghaus ist Professor für Literaturwissenschaft am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität und Sprecher des Clusters „Languages of Emotion“.
WIR: Hat die Forschung neuerdings Zeit für Gefühle?
Winfried Menninghaus: Seit etwa 15 Jahren gibt es einen regelrechten Boom der Forschung zu Emotionen. Diese Forschung ist stark von den Neuro-Kognitionswissenschaften dominiert. Die geisteswissenschaftliche Tradition der Emotionsforschung wird dabei kaum berücksichtigt, oder sie wird mit einer kleinen Nebenrolle bedacht, die oft an das sprichwörtliche Feigenblatt erinnert.
WIR: Da wollen Sie Abhilfe schaffen?
Menninghaus: Ja, der Cluster „Languages of Emotion“ widmet sich Fragestellungen, die zu einem erheblichen Teil eine lange geistes- und sozialwissenschaftliche Tradition haben. Er bündelt die breite Kompetenz, die dazu an der Freien Universität vorhanden ist, und sucht von hier aus die Zusammenarbeit mit den Kollegen in Psychologie, kognitiven Neurowissenschaften und Biologie. Umgekehrt gibt es auch Projekte aus den Sciences, die von der Einbeziehung geisteswissenschaftlicher Expertise profitieren können.
WIR: Erklären Sie uns den Titel des Clusters?
Menninghaus: Die meistdiskutierten Emotionsmodelle der neueren Psychologie und Neurowissenschaft vernachlässigen die Rolle der Sprache. Spezifische Beziehungen von Affekten und symbolischen Zeichenmedien sind daher weitgehend unerforscht geblieben. Umgekehrt sagen die Sprachmodelle der modernen Linguistik wenig oder gar nichts über emotionale Prozesse. Ziel des Clusters ist es eben dies zu verändern: nämlich die vielfältigen Interdependenzen von Sprache und Affekt zu untersuchen. Die Modellierung unserer Affekte ist in hohem Maß an den Gebrauch von Zeichen gebunden – in Sprache, Religion, politischen und sozialen Ideologien, Künsten, alltagsästhetischen Moden. Die ‚Codes’ der persönlichen Interaktion sind wichtige Faktoren und Archive dieser Affektpraktiken. Solche Praktiken machen zwar die Mehrzahl affektiver Erlebnissse und Handlungen in kulturellen Lebenswelten aus. Sie waren aber noch nicht zentraler Gegenstand interdisziplinärer Forschung.
WIR: Wie „stark“ sind diese Zeichen wirklich – was „machen“ sie mit uns ... ?
Menninghaus: Wir haben uns daran gewöhnt, auf Zeichen und Bilder genau so zu reagieren, als seien es wirkliche Objekte. Wer das Foto eines Kätzchens sieht, empfindet beinahe unweigerlich Gefühle sanfter, beschützender Zuneigung. Es ist wichtig zu sehen, wie hochgradig unwahrscheinlich ein solches Verhalten gegenüber einem ‚bloßen‘ Bild ist. Katzen selber interessieren sich für ein solches Bild überhaupt nicht, auch nicht für die filmische Repräsentation eines knurrenden Hundes. Sie sind ‚Realisten‘. Wir Menschen dagegen durchbrechen in unserer affektiven Verarbeitung die Unterscheidung von ‚Realität‘ und Zeichen.
WIR: Pygmalion also und kein Ende?
Menninghaus: Ja, die berühmte ätiologische Erzählung von der Kunst liefert ein Muster für unsere Desiderate. Dem sagenhaften zyprischen König Pygmalion sagen mehrere antike Quellen sexuelle Handlungen an kultischen Aphrodite- Bildern nach. Analog beschreibt Ovids Pygmalion- Geschichte, wie ein Bildhauer eine von ihm gemachte Statue beschenkt, streichelt, liebkosend anredet und am Ende in vollem Sinn als Sexualobjekt behandelt. Aber es gibt einen Unterschied zwischen beiden Quellen: Das abweichende Verhalten, das in den wenigen überlieferten Quellen über den mythischen König dem Lachen preisgegeben wird, erscheint bei Ovid als Inbegriff des künstlerischen Eros.
WIR: Das heißt für die Forschung im Cluster?
Menninghaus: Der Cluster geht von der Annahme aus, dass es große Bereiche menschlicher Affektivität gibt, die nur verstanden werden können, wenn man sie mit den besonderen Leistungen des menschlichen Symbolisierungsvermögens zusammendenkt. Wir reagieren affektiv nicht allein auf das, was unsere Zeichensysteme darstellen, sondern auch auf deren materielle Eigenwerte: ein reiner Ton, ein Farbwert, eine Linie, eine abstrakte Raumform – sie alle sind in der Lage, Affekte auszulösen. Und zu den Besonderheiten des menschlichen Zeichengebrauchs gehört auch das Ausgreifen in Bereiche des lediglich Möglichen, ja des Unmöglichen, des Fiktiven und Imaginären einschließlich des Absurden und Wahnhaften. Tierische Gebärden beziehen sich immer auf etwas Gegenwärtiges und Konkretes. Sie können nur ausnahmsweise abwesende und vollends keine empirisch inexistenten Objekte bezeichnen. Die menschliche Sprache dagegen macht das Nicht-mehr-, Noch-nicht- oder Überhaupt-nicht-Seiende adressierbar und erweitert unsere kognitive ebenso wie imaginative Reichweite buchstäblich maßlos.
WIR: Was sind die Schwerpunkte der Clusterarbeit?
Menninghaus: Vor allem Phänomene, die als Formen des Zusammenspiels von Affekt, Imagination und Symbolisierungsvermögen beschrieben werden können. Nur Menschen scheinen emotional affizierbar zu sein durch Darstellungen von Leiden oder Glückserfahrungen nicht allein abwesender oder vergangener, sondern auch rein fiktiver Personen und Fantasiewesen. Und nur Menschen entwickeln enge und höchst aufwändige emotionale Beziehungen zu Wesen wie Göttern oder Dämonen, zu Werten und Erzählungen, die in sich abgeschlossenen Fantasiewelten angehören. Die enge Verbindung von Symbolgebrauch, Affekttransfer, ästhetischen Praktiken, psychischen Dispositionen und Konstruktion personaler wie sozialer Identitäten ist also der Gegenstand des Clusters. Dieser Gegenstand fällt zwar heute durch das Raster der einzelnen Disziplinen, er war aber in seiner vollen Komplexität bereits der Gegenstand jener transdisziplinären Diskurse, die Rhetorik, Poetik und Ästhetik hießen. Rhetorik, Poetik und Ästhetik sind im Grunde in ihrer überlieferten Form Teil der Anthropologie und Psychologie. Aus diesem Umstand ergibt sich die interdisziplinäre Grundidee des Clusters: Die Fragestellung steht genuin in der Tradition der Humanities, ihre Bearbeitung soll aber zugleich theoretische Modelle und Methoden der heutigen Psychologie, Neurokognitionswissenschaften und Sozialwissenschaften einbeziehen.
Interview: Susanne Weiss