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Diagnose Klimafieber

Klimagase beeinflussen die Temperatur auf unserer Erde. Forscher überlegen nun, wie wir Energie effizienter einsetzen und Kohle und Gas ersetzen können

17.04.2012

Diagnose Klimafieber: Klimagase beeinflussen die Temperatur auf unserer Erde. Forscher überlegen nun, wie wir Energie effizienter einsetzen und Kohle und Gas ersetzen können.

Diagnose Klimafieber: Klimagase beeinflussen die Temperatur auf unserer Erde. Forscher überlegen nun, wie wir Energie effizienter einsetzen und Kohle und Gas ersetzen können.
Bildquelle: photocase/jlokij www.photocase.de/foto/106525-stock-photo-himmel-wiese-gras-luft-kraft-feld

Grönlands Eis könnte in den kommenden Jahrhunderten völlig abschmelzen. Die Regierung des Pazifikstaates Kiribati plant deshalb schon jetzt den Ernstfall: Steigt der Meeresspiegel weiter, soll die gesamte Bevölkerung nach Fidschi umgesiedelt werden. Dass die Temperaturen langfristig steigen, darüber herrscht Einigkeit. Wie hoch der Anteil des Menschen an dieser Entwicklung ist, darüber scheiden sich die Geister. Auch Wissenschaftler der Freien Universität erforschen die Zukunft unseres Klimas: Wie lassen sich die klimaschädlichen Energieträger aus Kohle, Öl und Erdgas ersetzen? Wie stark wird sich das Klima wandeln? Und können wir das Ruder ohne die Kernenergie noch herumreißen?

Das Jahr ist noch jung, als für Richard Arens die Zeit gekommen ist, Geschichte zu schreiben: Es ist um die Mittagszeit des 2. Januar 2008, der Ölpreis nähert sich der 100-Dollar-Marke. Richard Arens‘ Arbeitsplatz ist ein Auslaufmodell: Die meisten seiner Kollegen arbeiten längst nur noch vor dem Computer. 25.000 Dollar zahlt er im Monat, um auf dem Parkett der New Yorker Rohstoffbörse als Händler das große Geld zu bewegen. Bevor er das Parkett womöglich ganz verlässt, möchte Arens noch einen großen Coup landen.

Um 12.10 Uhr New Yorker Zeit ordert der Händler 1.000 Barrel Rohöl – also 158.987 Liter. Er ist bereit, dafür 100.000 Dollar zu zahlen. Und Arens bekommt den Zuschlag: 100 Dollar pro Ölfass zahlt er – so viel wie noch kein Mensch zuvor auf dem globalen Markt.

Produkte aus Öl sind allgegenwärtig

Der Rohstoff treibt die Weltwirtschaft an: Erdöl-Derivate brennen in Automotoren, Flugzeugturbinen und Kraftwerken. Das „Schwarze Gold“ wird zu Kunststoffen verarbeitet, wir tragen es als Kleidung auf der Haut, wir schlucken Produkte aus Öl als Medizin und schmieren sie uns als Kosmetik auf die Haut. Wir waschen damit unsere schmutzigen Hemden, trinken daraus unser Wasser und verpacken darin unser tägliches Brot.

Der Verbrauch steigt und steigt. Und mit ihm steigt der Ausstoß von Kohlendioxid, das entsteht, wenn wir Heizöl verfeuern oder in Müllverbrennungsanlagen unsere alte Kleidung aus Polyamid entsorgen. Mit fatalen Folgen für das Klima: In der Atmosphäre nämlich wirkt das unsichtbare Gas wie ein Glasfenster. Die Strahlung der Sonne lässt es nahezu ungehindert in Richtung Erdoberfläche passieren, doch die Wärme, die die Erde ins Weltall abgibt, reflektiert das Kohlendioxid. So wirkt das Gas als Isolationsschicht.

Regen und Dürre zerstören die Ernte

Der wahre Preis fürs Öl ist höher als 100 Dollar pro Barrel, sagen Umweltschützer und Ökonomen: Denn die Folgekosten des ungehemmten Ölverbrauchs im vergangenen Jahrhundert werden künftige Generationen tragen: Wenn immer heftigere Unwetter den Deichen an den Küsten zusetzen, wenn auch in Mitteleuropa monsunartige Regenperioden im Sommer die Flüsse über die Ufer treten lassen und Dürreperioden die Ernten zerstören. Längst suchen Wirtschaft und Politik, Ingenieure und Umweltverbände, Verbraucher und Wissenschaftler nach klimaschonenden Alternativen zu Kohle und Gas, Benzin und Öl.

Bis erneuerbare Quellen den Hunger nach Energie stillen, werden jedoch auch nach optimistischsten Prognosen noch Jahrzehnte vergehen. Die Menschheit wird also noch einige Dekaden abhängig sein von Öl, Gas und Kohle als Energieträger – aber wie kann man die fossilen Energien effizienter nutzen? Und was ist der Preis?

Behrooz Abdolvand, Politologe am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, ist Experte für die Energiepolitik der Staaten im Mittleren Osten. Er hat die enormen Preisschwankungen auf den Energiemärkten untersucht und ist sich sicher: Allein durch die Mechanismen von Angebot und Nachfrage lassen sich die Turbulenzen der vergangenen Jahre nicht erklären.

Der Ölpreis steigt und steigt

„Zum einen ist nach dem Zusammenbruch der New Economy im Jahr 2000 enorm viel Kapital in die Rohstoff-Märkte geflossen; Spekulanten haben am Preisanstieg des Öls kräftig verdient. Zum anderen hat die USNotenbank die Märkte im vergangenen Jahrzehnt mit derart viel Geld überschwemmt, dass der US-Dollar prinzipiell völlig entwertet ist“, sagt Abdolvand. „Solange der internationale Ölhandel weiter in Dollar abgerechnet wird und die US-Notenbank die Geldschleusen offen hält, wird der Öl-Preis in Dollar gerechnet wohl weiter ansteigen.“ Richard Arens‘ 100-Dollar-Order war also nur eine Etappe einer gewaltigen Hausse: War Öl seit den 1980er Jahren stabil für 20 bis 30 Dollar je Barrel zu haben, stieg der Preis im neuen Jahrtausend schnell an. 2004 durchbrach er die 50-Dollar-Marke, 2007 kostete Öl mehr als 70 Dollar – bis der Preis schließlich am 3. Juli 2008 bei einem Schlusskurs von 147,27 US-Dollar pro Barrel notierte.

Der Energieverbrauch wird weltweit in den kommenden 30 Jahren weiter steigen. „Wahrscheinlich um bis zu 50 Prozent“, sagt Abdolvand. Der Politikwissenschaftler rechnet damit, dass ein Großteil dieses Anstiegs mit fossilen Brennstoffen gedeckt wird: „Kurz und mittelfristig werden damit die Staaten des Mittleren Ostens für die globale Energieversorgung von größter Bedeutung bleiben.“ Und deren Wirtschaft abhängig vom Öl.

Was das für das Klima der Erde bedeutet, untersucht Ulrich Cubasch, Professor am Institut für Meteorologie an der Freien Universität. Werden Kohle, Gas und Öl verbrannt, entsteht Kohlenstoffdioxid. In der Luft hat es einen Anteil von etwa 0,04 Prozent. Gemeinsam mit anderen Gasen in der Atmosphäre – Lachgas (N20) etwa oder Methan – schützen sie wie ein unsichtbarer Mantel die Erde vor der Kälte des Weltalls. Ohne diesen natürlichen Treibhauseffekt wäre es auf der Erde etwa 30 Grad kälter.

Erderwärmung: zum Teil vom Menschen verursacht

„Seit der Industrialisierung verbrennt der Mensch aber so viele fossile Energieträger, dass immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt. Dadurch nimmt der Treibhauseffekt zu“, sagt Ulrich Cubasch. Insgesamt sei der Kohlendioxid-Anteil in der Luft seit 1800 von durchschnittlich 0,028 Prozent auf 0,0386 Prozent im Jahr 2009 angestiegen. Und jährlich nimmt er um 0,0002 Prozentpunkte zu. Das klingt wenig, doch über die Jahrzehnte hinweg lassen sich die Effekte dieser kleinen Veränderung heute schon messen.

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass ein Teil der Erderwärmung, die wir in den vergangenen Jahrzehnten beobachten, vom Menschen verursacht wurde – auch wenn einige daran noch immer zweifeln. Der ehemalige RWE-Manager Fritz Vahrenholt etwa, der behauptet, der Einfluss von Kohlendioxid auf das Klima sei nur halb so groß wie bisher angenommen – die Sonne sei der wahre Motor des Klimawandels.

Dunkle Flecken auf der Sonne

In der Tat unterliegt der Stern, der das Leben auf unserer Erde ermöglicht, einem Elf-Jahres-Zyklus: In diesem Zeitraum verändern sich Zahl und Größe der Sonnenflecken. Das sind dunkle Stellen auf der sichtbaren Oberfläche der Sonne, die kühler sind und deshalb weniger Energie abstrahlen. Je mehr Sonnenflecken sichtbar sind, desto größer ist die Aktivität der Sonne, desto mehr Strahlung wird insgesamt ins Weltall abgegeben.

„In der ganz hohen Atmosphäre, in 50 Kilometern Höhe, kann man tatsächlich eine Veränderung messen“, sagt Cubasch: „Allerdings muss man sehr genau messen, um etwas zu finden.“ Wie sensibel die Instrumente sein müssen, erklärt der Meteorologe in abstrakten Zahlen: Die Strahlung der Sonne trifft im Schnitt mit 1.365 Watt pro Quadratmeter auf die Erdatmosphäre. Wenn die Sonne weniger stark strahlt, beträgt die Abweichung etwa ein Watt pro Quadratmeter – weniger als ein Promille also. „Damit lässt sich der Temperaturanstieg der letzten Jahrzehnte nicht erklären.“

Wird es auf der Erde 6 bis 10 Grad wärmer?

Für Cubasch und die deutliche Mehrheit der Klimaforscher steht deshalb fest: Es sind hauptsächlich die Treibhausgase, die der Mensch verursacht, welche die Wärme-Strömungen in der Atmosphäre beeinflussen und damit das Klima. „Will man eine Fünfzig-fünfzig-Chance haben, dass dieser menschliche Einfluss auf das Weltklima bei unter zwei Grad Celsius bleibt, müssen wir den Kohlendioxidausstoß stoppen, bevor insgesamt eine Billion Tonnen Kohlenstoff verbrannt worden ist“, sagt Cubasch. Eine abstrakte Zahl, die der Meteorologe schnell einordnen kann: „Fast die Hälfte dieser Menge hat die Menschheit seit der Industriellen Revolution schon verbraucht, der Rest wird in der Mitte dieses Jahrhunderts aufgebraucht sein – wenn die gegenwärtigen Wachstumsraten der CO2-Emissionen anhalten.“

Seit Jahren rechnen die Meteorologen und Klimaforscher mit leistungsfähigen Computern Klima-Modelle hoch. Was passiert, wenn der Kohlendioxid-Ausstoß weiter ansteigt wie bisher? Wird es dann sechs oder sogar zehn Grad wärmer? Und was bedeutet das für den Meeresspiegel?

„Die ältesten Prognosen des Weltklimarates sind mittlerweile 20 Jahre alt“, sagt Cubasch, der an vielen Vorhersagen des Gremiumss mitgewirkt hat: „Wenn wir uns die Szenarien von damals anschauen, liegen wir momentan eigentlich ganz gut innerhalb der Projektionen.“ Allerdings ist der Kohlendioxidausstoß so stark gewachsen wie im pessimistischsten Szenarium. Wir merken allerdings die Effekte nicht sofort, denn das System hat einen gewaltigen Puffer, sagt der Meteorologe: „Die Atmosphäre reagiert schnell auf Veränderungen, das heißt nach wenigen Jahren. Aber die Ozeane haben bislang einen großen Teil der Erwärmung und des vom Menschen verursachten Kohlendioxids geschluckt.“

Auf diese Speicherfunktion werden wir uns allerdings nicht ewig verlassen können. Irgendwann sind die Weltmeere gesättigt – und wenn es zu warm wird, könnte das Treibhausgas den Weg zurück in die Atmosphäre finden: „Kaltes Wasser kann mehr Kohlendioxid speichern als warmes. Wenn die Durchschnittstemperatur auf der Erde steigt, werden die Ozeane das Kohlendioxid, das sie in den vergangenen Jahren geschluckt haben, zum Teil wieder abgeben.“ Und das könnte die Erderwärmung noch einmal beschleunigen.

Mit fatalen Folgen für den Meeresspiegel: Er wird nach Ansicht vieler Klimaforscher ohnehin wahrscheinlich stetig für die nächsten Jahrtausende ansteigen. Nicht etwa nur, weil die Gletscher und Eisschilde in Grönland und der Antarktis schmelzen; sondern im Wesentlichen, weil wärmeres Wasser mehr Volumen hat. Horrorszenarien wie „Köln am Meer“ oder ein untergegangenes New York hält Cubasch zwar in den nächsten 100 Jahren für unwahrscheinlich, aber: „Es wird mehr Extremereignisse geben in unseren Klimazonen: Heftige Sommergewitter, starke Orkanböen und weniger Schnee im Winter.“

Wasserspeicher in Brandenburg

Der Deichbau wird teurer, in Brandenburg wird man Wasserspeicher für die Dürreperioden im Sommer aufbauen müssen, während die Winter wahrscheinlich feuchter werden. „Wie stark diese Veränderungen ausfallen, hängt davon ab, um wie viel Grad die Durchschnittstemperatur steigt“, sagt der Forscher. Gelingt es, den Anstieg auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen – darauf sind die Berechnungen und Maßnahmen des Weltklimarates ausgerichtet – bleiben die Änderungen innerhalb des Normalen. „Wenn wir dieses Ziel verfehlen, werden wir Maßnahmen ergreifen müssen und das Risiko, dass extreme Wetterereignisse auftauchen, steigt um ein Vielfaches.“

Im schlimmsten Fall könnten Grönlands Gletscher abschmelzen und der Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigen. Könnten. Denn insgesamt ist der Klimawandel eine Art Risikomanagement. „Je länger wir weitermachen wie bisher und je schwächer unsere Anstrengungen sind, desto höher ist das Risiko schlimmer Folgen“, sagt Cubasch.

Die Akzeptanz der Atomkraft schwindet

Damit die Menschheit eine Chance hat, die Folgen der Erderwärmung zu beherrschen, sind also alternative Energiequellen gefragt. Lange schien die Atomenergie ein gangbarer Ausweg, und auch Deutschland setzte auf den vermeintlich sauberen Strom aus der unsichtbaren Strahlung. Doch spätestens nach der Katastrophe von Tschernobyl setzte hierzulande ein Umdenken in weiten Teilen der Bevölkerung ein. Und seit im März 2011 in Fukushima, fast 25 Jahre nach dem Reaktorunglück in den ukrainischen Wäldern, ein Erdbeben und eine Tsunamiwelle in einem Hochindustrieland die Grenzen der Beherrschbarkeit von Atomstrom offenkundig gemacht haben, schwindet nun auch weltweit die Akzeptanz der Kernkraftwerke. Atomenergie wird allenfalls eine Übergangslösung bleiben.

„Zunächst einmal wird der Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland die Rolle von fossilen Brennstoffen stärken“, sagt der Politologe Abdolvand: „Und auch in Japan beobachten wir momentan eine leidenschaftliche Debatte um die Zukunft der Atomenergie.“ Insbesondere Erdgas dürfte als klimafreundlichster fossiler Energieträger in Zukunft vermehrt für die Stromerzeugung genutzt werden. Schon heute macht Erdgas etwa ein Fünftel der Energiemixes in Deutschland aus und steht damit hinter Erdöl (ein Drittel) und Kohle (ebenfalls gut ein Fünftel) auf Platz drei der Energieerzeuger.

Erdgas durch Biogase aus Müll ersetzen

Doch langfristig kann Erdgas das Problem der Energiegewinnung nicht lösen, denn auch bei der Verbrennung des Gases entsteht Kohlendioxid – außerdem sind die Ressourcen begrenzt. Deshalb sollte der Rohstoff intelligent eingesetzt werden. So argumentiert Professor Martin Jänicke, Gründungsdirektor des Forschungszentrums für Umweltpolitik der Freien Universität: „Wir werden Gaskraftwerke brauchen, um die Verbrauchsspitzen abzudecken. Nur sie können die benötigte Energie schnell und ohne lange Vorlaufzeit erzeugen.“ Mittelfristig, so der Wissenschaftler, müsse das Erdgas durch Biogase ersetzt werden, die beispielsweise aus Müll und Ernteabfällen erzeugt werden könnten.

Innovation kommt aus regionalen Projekten

Die Zeit der fossilen Rohstoffe als Energielieferant sieht er dagegen schwinden: „Erdöl ist zum Verbrennen viel zu schade.“ Und das nicht nur aus Sicht der Umwelt: „Kohlenstoff, der als Verbundfaser im Flugzeugbau eingesetzt wird, ist wertvoller als unveredelte Kohle, die im Heizkraftwerk verbrennt.“ Ökonomie als Argument für Ökologie. Und auch aus Erdöl kann die chemische Industrie also viel mehr Wert schöpfen als die großen Energieerzeuger.

Deren Zukunft sieht, glaubt man Jänicke, ebenfalls nicht mehr allzu rosig aus: „Zumindest in Deutschland haben die vier großen Energieversorger viel zu lange auf die Energieträger des 20. Jahrhunderts gesetzt. Regionale Verbünde sind mittlerweile viel innovativer.“

Zum Beispiel die 100-Prozent-erneuerbare-Energie-Regionen. Das Projekt, durchgeführt vom Institut für dezentrale Energietechnologien und gefördert vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, soll Regionen und Kommunen, die ihre Energieversorgung langfristig vollständig auf erneuerbare Energien umstellen wollen, bei ihrem Vorhaben helfen. Derzeit sind dem Projekt bereits über hundert Landkreise, Gemeinden und Regionalverbünde in Deutschland angeschlossen. „Kleine Städte und Dörfer bauen sich so mit autarken und lokalen Netzen eine Infrastruktur auf, die zukunftsweisend ist und die sie unabhängig macht von den Energieriesen“, sagt Jänicke.

Tatsächlich können die erneuerbaren Energien einer Studie des Bundesumweltministeriums aus dem Jahr 2008 zufolge in Deutschland einen Anteil von 30 Prozent an der Stromversorgung erreichen. Die Energiekapazität der Atommeiler kann dadurch vollständig ersetzt werden. Bis 2050 – das zeigen Studien der Umweltschutz-Organisation Greenpeace und des Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung – können die erneuerbaren Energien die Hälfte des weltweiten Bedarfs abdecken.

Passivhäuser müssen weniger beheizt werden

Allerdings nur, wenn wir effizienter mit der zur Verfügung stehenden Energie umgehen. Zum Beispiel im Wohnungsbau: Fast ein Drittel der Energie, die in Deutschland aktuell jährlich verbraucht wird, brauchen wir, um Räume zu heizen. Dabei gibt es längst Passivhäuser, die aufgrund ihrer guten Wärmedämmung und dank Wärmepumpen weder Heizung noch Kühlung im klassischen Sinne benötigen. Der Passivhausstandard werde sich bis 2020 in der Europäischen Union als Norm durchsetzen, davon ist Jänicke überzeugt: „Spätestens 2050 wird annähernd klimaneutrales Wohnen für weite Teile der Bevölkerung auch in Altbauwohnungen selbstverständlich sein.“

Wohlstand und Wachstum für alle

Wie das neue Energiesystem dann allerdings weltweit aussehen wird, ist heute noch völlig unklar. Die Menschen in wirtschaftlich aufstrebenden Ländern mit starkem Bevölkerungswachstum wie China, Brasilien oder Indien beharren auf ihrem Recht auf Wohlstand. Warum, so fragen sie, soll ihnen verwehrt bleiben, was den Industrieländern in den vergangenen 50 Jahren vergönnt war: Wachstum, Wirtschaftswunder und Wohlstand für alle, das erhoffen sich Milliarden von Menschen in den sogenannten Schwellenländern.

Erneuerbare Energien für alle erschwinglich machen

Professorin Miranda Schreurs, Leiterin des Forschungszentrums für Umweltpolitik der Freien Universität und seit 2008 Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen des Bundesumweltministeriums, ficht das nicht an: „Deutschland hat momentan die große Chance, allen Skeptikern zu zeigen, dass man aus der Kernenergie aussteigen kann, ohne sie durch fossile Energieträger zu ersetzen, und dass man dabei dennoch wirtschaftlich erfolgreich sein kann.“ Sie sieht diese Entwicklung als den wichtigsten Beitrag Deutschlands zur Lösung der Klimaproblematik: „Wenn wir die Vorreiterrolle übernehmen und die erneuerbaren Energien ausbauen, verbessert sich die Technologie und wird auch für ärmere Länder erschwinglich.“ Eine große Verantwortung für das Land – und die ganze Welt schaut zu: „Wenn Deutschland die Energiewende nicht schafft, ist das für die Zukunft der erneuerbaren Energien eine Katastrophe.“

Auch auf Japan setzt die gebürtige US-Amerikanerin große Hoffnungen: Von den 54 Atomreaktoren des Landes seien momentan nur zwei am Netz. „Für Japan ist das ein viel größeres Experiment als für die Deutschen, die nach Fukushima gerade einmal acht Meiler vom Netz genommen haben. Japan bezieht immerhin ein Drittel seines Energiebedarfs aus der Atomkraft.“ Trotzdem läuft auch nach Fukushima die japanische Wirtschaft weiter.

Das Land war schon vor der Katastrophe aufgrund seiner Rohstoffarmut ein Meister der Energieeffizienz. „Jetzt hat man es beispielsweise in Tokio geschafft, noch einmal 15 Prozent des Strombedarfs einzusparen, indem man Neonreklame nachts ausschaltet, in den Häusern Energie spart und die Industrie intelligenter organisiert wird“, sagt Schreurs.

So könnte Japan gestärkt aus der Krise hervorgehen, weil es technologisch eine Innovationsbewegung in Gang setzt. Geothermie und Windenergie könnten schon bald einen großen Teil des japanischen Energiebedarfs decken. „Zwei der wichtigsten Industrienationen bewegen sich“, sagt Schreurs: „Deutschland könnte den erneuerbaren Energien weltweit zum Durchbruch verhelfen, Japan in der Frage der Energieeffizienz Vorbild werden.“

Die Sanierung des Tropenhauses des Botanischen Gartens der Freien Universität senkte dessen Energieverbrauch um die Hälfte.

Die Sanierung des Tropenhauses des Botanischen Gartens der Freien Universität senkte dessen Energieverbrauch um die Hälfte.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Treibhausgase langfristig reduzieren

Und was kann die Politik auf internationaler Ebene tun? Wie geht es weiter, nachdem im Dezember 2011 auf der UNO-Klimakonferenz in Durban wieder keine verbindliche Einigung gefunden werden konnte und Kanada anschließend aus dem Kyoto-Protokoll zur Verringerung klimaschädlicher Treibhausgase ausgetreten ist und nachdem Japan die 1997 beschlossenen Zielvorgaben nicht über 2012 hinaus verlängern will? „Wahrscheinlich müssen wir uns vom ganz großen internationalen Wurf verabschieden“, sagt Miranda Scheurs. Aber sie glaubt an andere Lösungsstrategien, um den Ausstoß von Treibhausgasen langfristig zu reduzieren. So könnten sich die Metropolen der Welt auf kommunaler Ebene zusammenschließen und Ziele vereinbaren – immerhin entstehen 80 Prozent der durch menschliches Handeln verursachten Treibhausgase in den Städten.

Der klimatische Fingerabdruck des Schnitzels

„Vor ihrer Haustür, in ihrer Lebenswelt, können Menschen die Politik viel besser verstehen. Da geht es dann nicht um abstrakte Zahlen, sondern um öffentlichen Nahverkehr, Solaranlagen und Wärmetauscher“, sagt die Politologin. So konnte man den Energieverbrauch des Botanischen Gartens der Freien Universität nach der Sanierung um 50 Prozent senken. Die Stadt reserviert Parkflächen für die Fahrzeugflotten großer Carsharing-Unternehmen, Kliniken und Universitätsgebäude werden saniert, um deren Energieeffizienz zu erhöhen. „Durch kluge Politik in den Kommunen und Regionen lässt sich viel bewegen“, ist sich Schreurs sicher.

Und sie sieht auch in anderen Politikfeldern Handlungsbedarf: eine bessere Agrarpolitik mit stärkerer Biodiversität und mehr Naturflächen etwa. Immerhin entstünden mehr als zehn Prozent aller Treibhausgase in der Landwirtschaft – für die außerdem weltweit Wälder abgeholzt würden, was den Schaden für das Klima noch vergrößere: „Es geht um die Frage, was wir konsumieren und ob wir uns dessen bewusst sind“, sagt Schreurs. Viele Menschen wissen nicht, welchen klimatischen Fußabdruck sie hinterlassen, wenn sie sich ein Schnitzel in die Pfanne hauen, wenn sie ein neues T-Shirt kaufen oder übers Wochenende nach Barcelona fliegen. „Hier muss stärker aufgeklärt und ein neues Bewusstsein geschaffen werden.“

Das Klimaproblem in der Griff bekommen

Dazu gehört es auch, auf neue Probleme hinzuweisen. So konnte zwar in den 80er- und 90er Jahren die für die Ozonschicht so schädlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) durch internationale Verträge aus Kühlschränken, Spraydosen und Schaumstoffen verbannt werden, aber ersetzt wurden sie zum Teil durch Stoffe, die für die Atmosphäre nicht weniger gefährlich sind: In vielen Spraydosen und Kühlanlagen werden statt des FCKWs jetzt andere Kohlenwasserstoffverbindungen verwendet. Sie schonen zwar die Ozonschicht, sind aber wesentlich schädlicher für das Klima als Kohlendioxid, weil ihre Moleküle die Wärmestrahlung der Erde noch besser reflektieren. Außerdem ist ihre Verweilzeit mit bis zu 250 Jahren erheblich länger. „Man spricht deshalb vom Treibhauspotenzial eines Stoffes. Verglichen mit Kohlendioxid sind diese Stoffe bezogen auf einen Zeitraum von 100 Jahren bis zu 15.000 Mal schädlicher für das Klima“, erklärt Schreurs. „Vielleicht gelingt es der internationalen Gemeinschaft ja – gut 20 Jahre nach dem Verbot von FCKW – erneut, eine gemeinsame Vereinbarung für diese schädlichen Gase zu finden.“

Auf lange Sicht jedenfalls, davon ist sie überzeugt, wird die Menschheit es schaffen, das Klimaproblem zu lösen. Die Ziele sind ambitioniert: Die Industrienationen müssen bis 2050 den CO2-Ausstoß um 80 Prozent senken. „Eigentlich sprechen wir hier von einer Revolution“, sagt Schreurs. „Aber wer in der Umweltpolitik arbeitet, muss optimistisch bleiben.“