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Das Ende der Tierversuche

Wie Wissenschaftler der Freien Universität dabei helfen, Tierversuche überflüssig zu machen – und warum menschliche Hautmodelle mittlerweile sogar besser sind.

26.06.2013

Das Ende der Tierversuche? Wissenschaftler der Freien Universität Berlin arbeiten daran.

Das Ende der Tierversuche? Wissenschaftler der Freien Universität Berlin arbeiten daran.
Bildquelle: istock_sidsnapper

„Ohne Tierversuche geht es nicht.“ Das war lange Zeit ein Mantra, in der Medizin, der Chemie- und der Kosmetikindustrie. Doch die Zeiten ändern sich. Mittlerweile gehören Tierversuche für Kosmetik in Europa der Vergangenheit an. Möglich wurde das durch Wissenschaftler, die seit Jahren intensiv nach Alternativen zu Tierversuchen suchen. Bald soll es möglich sein, auch komplexere Tiermodelle zu ersetzen.

Wer sich für mögliche Alternativen zu Tierversuchen interessiert, der kommt wahrscheinlich nicht als erstes auf die Idee, an einer Universität mit einer großen medizinischen Fakultät nachzufragen. Schließlich ist es gerade die medizinische Forschung, die immer noch sehr auf Tierversuche angewiesen ist. Trotzdem war die Freie Universität eine der ersten, an denen sich Wissenschaftler auf die Suche nach Möglichkeiten machten, um Tierversuche in der Forschung zu ersetzen. Die Wurzeln dieses Engagements reichen zurück in die 90er Jahre. Monika Schäfer-Korting hatte 1994 den Ruf an die Freie Universität Berlin als Pharmakologie- Professorin des Fachbereichs Pharmazie angenommen. Heute kann sich die Erste Vizepräsidentin der Freie Universität noch gut an ihre Motivation erinnern, sich mit Alternativen für Tiermodelle auseinanderzusetzen. „Ich habe in einigen Forschungsprojekten selbst Tierversuche gemacht, aber es hat mich immer gestört.

Außerdem wollte ich möglichst nahe am Zielort testen. Deswegen habe ich mich damals entschieden, ein Forschungsfeld aufzubauen, das sich mit Alternativen zu Tierversuchen beschäftigt.“ Zu diesem Zeitpunkt eine ziemlich ungewöhnliche Entscheidung. Auch wenn das Thema Tierversuche gesellschaftlich relevant war und die Gemüter erhitzte: Fördermittel für solche Forschungsvorhaben gab es zu Beginn kaum. Die Idee wäre vielleicht im Sande verlaufen, hätte nicht zur selben Zeit das Thema Tierversuche auch in der Politik mehr Bedeutung gewonnen. In den 90er Jahren regte das Bundesgesundheitsministerium deshalb auch die Schaffung einer neuen Bundesbehörde an, die sich Tierversuchsalternativen widmen sollte. Diese Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) fördert die Forschung zu Tierversuchsalternativen in Deutschland seither jährlich mit bis zu einer halben Million Euro. Für das Team um Monika Schäfer-Korting und ihr Vorhaben ein Glücksfall.

EU macht Druck zur Verringerung von Tierversuchen

Interessant in dieser ersten Zeit waren vor allem Tierversuchsalternativen im Bereich der Hauttoxikologie. Das hatte wissenschaftliche, aber auch politische Gründe, wie Horst Spielmann sagt. Er hatte sich Anfang der 80er Jahren an der Freien Universität in Pharmakologie und Toxikologie habilitiert und leitete später die ZEBET bis 2007. „Tierschützer und die Bevölkerung insgesamt waren immer besonders kritisch gegenüber Tierversuchen, die im Rahmen der Kosmetika-Entwicklung stattfanden“, sagt Spielmann. Die Europäische Union sah das ähnlich. Seit 1986 gibt es eine EU-Richtlinie zum Schutz der Versuchstiere, die 1990 in deutsches Recht umgesetzt und im Jahr 2010 noch einmal verschärft wurde. Sie folgt dem schon Ende der 50er Jahre in Großbritannien formulierten 3R-Prinzip: Replace, Reduce, Refine. Drei Schlagworte, um den mehrstufigen Ansatz zu verdeutlichen: Tierversuche sollen entweder ersetzt (replace) oder aber, wo das nicht geht, minimiert (reduce) beziehungsweise im Sinne des Tierschutzes optimiert werden (refine).

Als Maßstab für den Erfolg ihrer Richtlinie nahm die EU die Zahl der Tierversuche in Europa. Ziel war es damals, sie bis zum Jahr 2000 in etwa zu halbieren. Damals waren die Kosmetika-Industrie und teilweise auch die chemische Industrie noch für einen Großteil der Tierversuche verantwortlich. „Dabei handelte es sich im Wesentlichen um durch die Behörden vorgeschriebene Versuche, mit denen die Unbedenklichkeit der eingesetzten Substanzen getestet wurde, unter anderem im Bereich der Hauttoxikologie“, so Spielmann. Das wichtigste Modell dafür – und fast ein Symbol für die Debatte – ist das Kaninchen. Genauer gesagt: war das Kaninchen. Denn seit März 2013 sind Tierversuche für die Kosmetika-Herstellung in Europa verboten.

Ein Erfolg, an dem auch die Forscher der Freien Universität ihren Anteil hatten: Sie hatten damals mit Grundlagenforschung die Fundamente für kommerziell produzierte Hautmodelle gelegt, die heute von den großen Kosmetikkonzernen sogar selbst hergestellt werden. Die Basis dafür sind menschliche Hautzellen. Sie werden mit speziellen Methoden angezüchtet und bilden bei Kontakt mit Luft eine Hornschicht aus, die der Oberfläche der menschlichen Haut ähnelt. Was so simpel klingt, war das Ergebnis jahrelanger Forschung: „Das so umzusetzen, dass die resultierenden Hautmodelle den Anforderungen entsprechen und von konstanter Qualität sind, war nicht einfach“, erläutert Schäfer- Korting. „Das Prinzip aber ist geblieben, seit die Wissenschaft die Grundlagen dazu gelegt hat.“

Hautmodelle: Nicht genauso gut wie die von Kaninchen, sondern besser

Mittlerweile sind die Hautmodelle, die heute in der Toxikologie der Kosmetikbranche eingesetzt werden, nicht nur ähnlich gut wie ein Kaninchen-Modell. Sie sind sogar besser. „Das ist einer der Punkte, der mich an Tierversuchen immer gestört hat“, sagt Schäfer-Korting. „Es geht nicht nur um reinen Tierschutz. Es geht auch darum, dass viele Tiermodelle wissenschaftlich problematisch sind, weil sie die Realität des Menschen nur unzureichend widerspiegeln.“

Kaninchen wurden - leider - zu Symboltieren der Tierforschung.

Kaninchen wurden - leider - zu Symboltieren der Tierforschung.
Bildquelle: photocase_kemai

Wie groß die Unterschiede zwischen Mensch und Tier doch sind, zeigt sich vor allem im Bereich der Immunologie. Hier gibt es häufig Probleme bei der Übertragbarkeit von Versuchsergebnissen vom Tiermodell auf den Menschen. Traurige Berühmtheit hat in diesem Zusammenhang ein Spin-off-Unternehmen der Universität Würzburg erlangt. Das Unternehmen hatte einen immunologischen Wirkstoff bei sechs Testpersonen erproben lassen, der sowohl an Kleintieren als auch an Primaten unbedenklich war. Alle sechs Probanden erkrankten schwer – eine Katastrophe. Und ein Argu-ment, dass die Suche nach alternativen Modellen letztlich vor allem dem Menschen nutzt. Schließlich könnte ein Modell, dass die menschliche Immunologie exakter wiedergibt als Tiere, solche Fälle in Zukunft verhindern. Bis dahin bleibt jedoch noch viel zu tun – trotz deutlicher Fortschritte. So gelang es zum Beispiel, die immunologische Sensibilisierung der Haut in einem mehrstufigen Modell abzubilden, das Tierversuche auch für Allergietests überflüssig macht.

Dennoch sind und bleiben diese Modelle noch sehr beschränkt. „Wenn wir Tierversuchsalternativen für komplexere Fragestellungen suchen, müssen wir in der Lage sein, komplizierte metabolische Prozesse bis hin zu kompletten Organen zu simulieren“, betont Schäfer-Korting. Erst wenn das gelingt, können auch in der Arzneimittelforschung und der Grundlagenforschung Tierversuche in größerem Umfang durch Alternativen ersetzt werden. Dass das wünschenswert ist, belegen die Zahlen. Nachdem die Zahl der Tierversuche in Europa bis zum Jahr 2000 vor allem dank der neuen Hautmodelle deutlich gesunken war, steigt sie seither wieder an. Zwei Millionen Tierversuche werden derzeit in Deutschland pro Jahr durchgeführt, etwa 350.000 davon allein in Berlin. Diese Zahl ist höher als Anfang der 90er Jahre. Der Grund sind die zahlreichen transgenen Maus- und Rattenmodelle der molekulargenetischen Forschung und der Arzneimittelforschung.

Nächster Schritt: Human-on-a-Chip

Soll dieser Trend umgekehrt werden, sind zunächst wieder die Grundlagenforscher gefragt: „Wenn wir ganze Organe oder Erkrankungen simulieren wollen, müssen wir so genau wie möglich wissen, was in den jeweiligen Geweben oder Systemen passiert“, sagt Schäfer-Korting. Weil das Interesse an solchen komplexeren Tierversuchsalternativen groß ist, fristet die Forschung dazu auch schon lange kein Nischendasein mehr. Im Gegenteil: „Für junge Wissenschaftler ist das ein hoch interessantes Betätigungsfeld. Und es ist vergleichsweise einfach, für Forschung zu Tierversuchsalternativen Fördermittel einzuwerben.“ Im Wesentlichen konzentrieren sich die Bemühungen derzeit auf zwei Felder. Da ist zum einen die Bioinformatik, die zunehmend in der Lage ist, komplexe Signalketten in silico zu modellieren. Damit einher gehen moderne biotechnologische Methoden, die darauf abzielen, bestimmte Gewebe oder Organe „nachzubauen“, oft mit Hilfe von gewebsspezifischen Stammzellen. Solche „Human-on-a-Chip“-Modelle galten lange als kaum erreichbare Vision.

Mittlerweile werden für dieses Gebiet jedoch zunehmend Fördermittel in relevantem Umfang zur Verfügung gestellt, sodass es in den nächsten Jahren durchaus zu dem einen oder anderenDurchbruch kommen könnte. „Auch hier geht es letztlich darum, nicht nur alternative, sondern bessere Modelle zu entwickeln, die die Verhältnisse beim Menschen realitätsnäher abbilden als Versuchstiere“, betont Spielmann. Federführend sind derzeit die USA, die im vergangenen Jahr ein Förderprogramm für die Humanon- a-Chip-Forschung im Umfang von 75 Millionen USDollar initiiert haben. Begründet wurde das Programm nicht mit dem Tierschutz – sondern wissenschaftlichen Erkenntnissen. Bei der Suche nach neuen Arzneimitteln seien Tierversuche nicht erfolgreich genug. Ein Umdenken, dass nicht nur Kaninchen freuen dürfte.

Prof. Dr. Monika Schäfer-Korting

Prof. Dr. Monika Schäfer-Korting
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Prof. Dr. Horst Spielmann

Prof. Dr. Horst Spielmann
Bildquelle: privat

Prof. Dr. Monika Schäfer-Korting

Nach ihrer Habilitation wurde Professor Dr. Monika Schäfer-Korting auf die neue Pharmakologie-Professur im Fachbereich Pharmazie der Freien Universität berufen. Bis 2008 war sie Sprecherin der DFG-Forschergruppe „Innovative Arzneistoffe und Trägersysteme“. Sie koordinierte außerdem ein BMBF-Verbundprojekt, das sich mit dem Einsatz biotechnologisch hergestellter Hautmodelle beschäftigt. In einem zweiten BMBF-Verbund erforscht sie die Biotransformation von Arzneistoffen in der Haut. Monika Schäfer-Korting ist Erste Vizepräsidentin der Freien Universität.

E-Mail: msk@zedat.fu-berlin.de   

Prof. Dr. Horst Spielmann

Er ist der Experte für Tierversuchsalternativen: Professor Dr. Horst Spielmann. Der Arzt leitete unter anderem die Abteilung Chemikalienbewertung des Max von Pettenkofer-Instituts oder die „Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch“. Für sein Engagement, unter anderem als Koordinator einer Reihe von EU-Projekten wurde er 2009 als „Official Patron of Animal Welfare in the Life Sciences“ ausgezeichnet. Seit 2012 ist er Landestierschutzbeauftragter des Landes Berlin.

E-Mail: horst.spielmann@fu-berlin.de