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(K)ein Rattenfänger von Berlin

Veterinärmediziner der Freien Universität untersuchen Berliner Ratten auf multiresistente Keime

01.07.2013

Besorgniserregend für Forscher wie Sebastian Günther: Rund 16 Prozent der Berliner Ratten sind von multiresistenten Darmkeimen befallen.

Besorgniserregend für Forscher wie Sebastian Günther: Rund 16 Prozent der Berliner Ratten sind von multiresistenten Darmkeimen befallen.
Bildquelle: Fotolia/Heiko Kiera

„Ratten-Alarm – Berliner Seuchenforscher warnt“, titelte ein Berliner Boulevardblatt vor zwei Jahren in großen Lettern. Der Inhalt des Textes ähnelte einem Umwelt-Thriller: Millionen Berliner Stadtratten strotzten nur so vor krankmachenden Viren und Bakterien, die potenziell auf den Menschen überspringen könnten. Eine Pandemie drohe über die Stadt und ihre ahnungslosen Bürger hereinzubrechen. Sebastian Günther, der am Institut für Mikrobiologie und Tierseuchen der Freien Universität Berliner Ratten untersucht, hält solche Panikmache für falsch. Der Wissenschaftler hofft auf mehr Sachlichkeit – und auf Förderung seiner Arbeit.

 

Alarm schlagen und Ängste schüren will Sebastian Günther nicht. „Es ist ein heikles Thema“, sagt er. Seit ein befreundeter Schädlingsbekämpfer ihm im Jahr 2010 die ersten Proben von Rattenkot aus dem Berliner Untergrund mitbrachte, ist er vorsichtig geworden im Umgang mit Journalisten, die hinter seiner Arbeit eine große Story wittern. Aber Fakt ist, dass Sebastian Günther und seine Kollegen in Berliner Ratten immer wieder multiresistente Darmkeime finden.

Da die Keime genetisch verwandt sind mit Bakterienstämmen des Menschen, gehen die Forscher davon aus, dass sich die Tiere in der Kanalisation anstecken, etwa durch Krankenhausabwasser. Die Ratten tragen die Keime im Darm, ohne selbst zu erkranken – wie auch etwa fünf Prozent der gesunden europäischen Bevölkerung. Wie der Ansteckungsweg genau abläuft und ob die Situation in anderen deutschen Großstädten ähnlich ist, darüber gebe es kaum verlässliche Daten. Die letzten Untersuchungen über die Rattenpopulation in Deutschland seien etwa 20 Jahre alt.

250 Rattenproben – alles „nebenbei“

Rund 250 Rattenproben hat Sebastian Günther in den vergangenen drei Jahren untersucht. Beschafft hat er sie durch private Kontakte zu Schädlingsbekämpfern und durch eine Kooperation mit den Berliner Wasserbetrieben – das alles „nebenbei“, wie er sagt. Denn eigentlich forscht Günther zu multiresistenten Keimen bei Haustieren wie Hund und Katze. Das Interesse an den Ratten lässt ihn trotzdem nicht los, seit diesem ersten Fund im Jahr 2010.

In einer Rattenkotprobe aus dem Stadtteil Prenzlauer Berg findet er einen Erreger, der in der Humanmedizin „ein Riesenproblem darstellt“: O25:H4ST131. Der Erreger mit dem kryptischen Namen wurde erst kurz vor der Berliner Ratte erstmals überhaupt bei einem Wildtier entdeckt. „Es handelt sich dabei um einen Stamm, der nicht nur multiresistent ist, sondern auch viele Erkrankungen wie Wundinfektionen verursacht“, erklärt Sebastian Günther, „eine ungute Kombination“. Nicht alle Bakterien vom Typ Escherichia coli, die Günther findet, sind derart außergewöhnlich wie O25:H4ST131.

Sie alle verfügen jedoch über ein bestimmtes Enzym, das sie resistent macht. Die sogenannte Extended Spectrum Betalactamase (ESBL) kann eine wichtige Gruppe Antibiotika, zu denen etwa Penicilline gehören, unschädlich machen. Bakterien, die dieses ESBL bilden können, sind derzeit weltweit auf dem Vormarsch. „Die ESBL-Gene liegen auf mobilen genetischen Elementen, auf denen sich mittlerweile bereits Resistenzgene für andere Antibiotikaklassen befinden“, erklärt Günther. Durch die Beweglichkeit dieser genetischen Informationen können viele Bakterienarten ESBL tragen, neben E. coli etwa Klebsiella oder Serratia. „Wir testen die Ratten auf resistente E.-coli-Bakterien, weil sie häufig Erkrankungen hervorrufen, fäkale Verunreinigungen anzeigen und weil bekannt ist, dass sie in der Umwelt überleben können.“

16 Prozent der Berliner Ratten sind befallen

Besorgniserregend findet Sebastian Günther allerdings die Menge der infizierten Ratten: Dank einer neuen Untersuchungsmethode konnte er dies in seiner jüngsten Fachpublikation erstmals prozentual beschreiben. Demnach sind 16 Prozent der Berliner Ratten von multiresistenten Darmkeimen befallen, eine ähnlich hohe Quote wie bei Krankenhauspatienten und deren Bezugspersonen, erläutert Günther. „Bei Tieren, die wir in der Kanalisation gefangen haben, war sogar mehr als ein Drittel mit multiresistenten Keimen infiziert.“ Mittlerweile arbeitet der Forscher nicht mehr nur mit Rattenkotproben: Er lässt sich von Schädlingsbekämpfern tote Tiere mitbringen. Zuletzt wertete er 56 Proben aus – zu wenig, das weiß auch Sebastian Günther. „Wir hätten gerne viel mehr“, sagt er, „aber es ist schwierig, an die Tiere zu kommen.“ Vergiftete Tiere ziehen sich zum Sterben zurück, und Rattenfallen werden schon nach dem ersten Fang wirkungslos: Ratten sind intelligente Tiere.

Ratten bringen den Erreger aus dem Kanalsystem in die menschliche Sphäre, eine Übertragung von der Ratte auf den Menschen ist bislang nicht nachgewiesen.

Ratten bringen den Erreger aus dem Kanalsystem in die menschliche Sphäre, eine Übertragung von der Ratte auf den Menschen ist bislang nicht nachgewiesen.
Bildquelle: istockphoto/gremlin

Auch die Fundorte lässt Günther dokumentieren. Sie können den Wissenschaftlern Aufschluss darüber geben, wie sich die Keime verbreiten. „Wir konnten bei einer Ratte aus der Kanalisation einen Stamm zeigen, der kurze Zeit später auch bei einer Ratte aus einer Wohnung vorlag“, erzählt Sebastian Günther. „Die Ratten bringen den Erreger aus dem Kanalsystem also wieder in die menschliche Sphäre.“

Eine Übertragung von der Ratte auf den Menschen ist bislang nicht nachgewiesen. Allerdings liege in Familien mit Haustieren oftmals bei beiden Spezies derselbe ESBL-Typ vor. „Die Keime werden wahrscheinlich hin und her übertragen“, sagt Günther. So würden bei ähnlichen MRSA-Infekti-onen etwa generell Halter und Tier behandelt. „Warum sollte eine Übertragung von Rattenkot, der überall herumliegt, nicht möglich sein?“, fragt Günther. Die Möglichkeit einer Übertragung vom Tier auf den Menschen sieht er bei den Keimen auf jeden Fall gegeben.

Einer gewissen Beunruhigung kann sich Günther angesichts der weiten Verbreitung multiresistenter Keime deshalb auch nicht erwehren. Im vergangenen Jahr etwa besorgte ihm ein befreundeter Hobby-Ornithologe Proben aus der Mongolei. Selbst bei den Vögeln aus dieser dünn besiedelten Gegend, fernab von Menschen und intensiver Tierzucht, fanden sich ESBL-Keime. Wahrscheinlich haben sich die Tiere in Korea angesteckt, wo sie überwintern, sagt Günther. „Ich sehe es als eine Art Umweltverschmutzung. Sie nimmt zu mit dem Antibiotikaverbrauch und den resistenten Keimen in Kliniken, in der Veterinärmedizin und der Tierhaltung.“

Überholt ist also die Annahme von früher, dass Resistenzen konzentriert dort auftauchen, wo viele Antibiotika verabreicht werden, zum Beispiel in Kliniken. „Es gibt dort einen antibiotischen Druck, der nur resistente Bakterien überleben lässt“, sagt Günther. „Heute ist es den Erregern aber anscheinend egal, ob dieser Druck besteht. Sie halten die Resistenz aufrecht, obwohl es die Bakterien eigentlich Kraft kostet.“ Wie und wozu die Keime diesen Kraftaufwand betreiben, das ist nur eine der Fragen, an deren Beantwortung Sebastian Günther in Zukunft arbeiten will. Dass es bisher keine groß angelegten Studien zu dem Thema gibt, kann er selbst nicht richtig erklären. In der Forschung spielten die Wildtiere nur eine Nebenrolle. „Solche Arbeiten werden hierzulande völlig unzureichend gefördert“, sagt er. Dass es höchste Zeit ist, diesen Tieren mehr Aufmerksamkeit zu schenken, daran lassen seine Ergebnisse keinen Zweifel.

Der Wissenschaftler

Dr. Sebastian Günther

Dr. Sebastian Günther
Bildquelle: Gisela Gross

Dr. Sebastian Günther

Sebastian Günther studierte Pharmazie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Danach war er Doktorand am Jenaer Leibnitz Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e. V. – Hans-Knöll-Institut und zeitgleich Dozent beim Thüringer Bildungsverein in Erfurt. Nach einem Jahr als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Teltower GKSS Forschungszentrum, Abteilung Zellbiologie, wechselte er im Sommer 2006 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Institut für Mikrobiologie und Tierseuchen der Freien Universität.

E-Mail: Sebastian.Guenther@fu-berlin.de