Springe direkt zu Inhalt

Interview mit Katja Liebal

Wie Affen Mimik und Gestik zur Kommunikation nutzen

01.07.2013

Mit unseren nächsten Verwandten auf Augenhöhe

Mit unseren nächsten Verwandten auf Augenhöhe
Bildquelle: Daniel Haun / Katja Liebal

Wer in der Wissenschaft mit Tieren arbeitet, kennt sich aus mit Kommunikationsproblemen. Ein Gespräch mit der Primatologin und Professorin für Evolutionäre Psychologie, Katja Liebal, über Affen, trügerische Nähe und starke Persönlichkeiten im Paviangehege.

 

fundiert: Frau Liebal, erinnern Sie sich noch an Ihre erste Beobachtungsstudie?

Liebal: Ja, ganz genau. Als Biologie-Studentin sollte ich einer Doktorandin bei der Datenaufnahme über das Sozialverhalten von Pavianen im Leipziger Zoo helfen. Ich fühlte mich zuerst völlig überfordert. Für mich sahen alle Tiere gleich aus. Dabei war meine Aufgabe doch, das Verhalten einzelner Tiere zu beobachten.

fundiert: Wie lernt man die Tiere als Individuum kennen?

Liebal: Der Zoo verfügt über ein Tätowierungssystem. Jedes Tier hat kleine Punkte an verschiedenen Stellen im Gesicht, anhand derer man es erkennen kann. Aber ich merkte, dass ich dieses System bald gar nicht mehr brauchte. Man fängt auf einmal an, die Tiere wiederzuerkennen: Einem fehlt ein Stück vom Ohr oder ein Stück Fell, ein anderes hat einen geknickten Schwanz. Ich war dann auf einmal selbst ganz entsetzt, wenn Zoobesucher nur die Pavianherde gesehen und nicht begriffen haben, dass das Kuno oder Gesine sind. Das geht mir auch heute noch so: Wenn ich mich mit einer neuen Art beschäftige, sehe ich am Anfang nur die Gruppe, und nach einer Weile ist es, als ob ein Schalter umgelegt würde und ich erkenne individuelle Eigenschaften.

fundiert: Was sind das für Eigenschaften?

Liebal: Ganz wichtig sind das Gesicht und der Gang. Man lernt, ob ein Tier gerne alleine oder lieber in der Gruppe ist und ob es mit mir als Beobachterin interagiert.

Das Schimpansen-Männchen Vale, 15, spielt besonders gern mit den Jungtieren aus seiner Gruppe

Das Schimpansen-Männchen Vale, 15, spielt besonders gern mit den Jungtieren aus seiner Gruppe
Bildquelle: Daniel Haun / Katja Liebal

Dieses Orang-Utan-Jungtier hat noch keinen Namen. Es ist etwa drei bis vier Jahre alt und trinkt besonders gerne Milch, die täglich zugefüttert wird.

Dieses Orang-Utan-Jungtier hat noch keinen Namen. Es ist etwa drei bis vier Jahre alt und trinkt besonders gerne Milch, die täglich zugefüttert wird.
Bildquelle: Daniel Haun / Katja Liebal

fundiert: Sie bauen zu den Tieren eine Beziehung auf ...

Liebal: Als beobachtende Person muss ich eine neutrale Rolle einnehmen. Aber das ist nicht immer möglich. Durch die individuellen Eigenschaften der Affen entwickeln sich natürlich auch Sympathien und Antipathien. Wichtig ist, das Verhalten der Tiere als Beobachterin nicht zu beeinflussen. Aber allein die Präsenz von Menschen vor dem Gehege verändert die Situation. Ich weiß noch genau, als ich das erste Mal Orang-Utans beobachtet habe. Ein Weibchen kam ganz nah heran und versuchte durch die Scheibe hindurch, mit mir zu interagieren. Ich war fasziniert von ihren Gesichtsausdrücken; ihre Mimik erschien mir unglaublich menschlich. Für einen Moment verschwamm die Grenze, zwischen dem, was mich als Mensch ausmacht und dem, was den Affen als Affen definiert. Es ist in der vergleichenden Verhaltensforschung sehr wichtig, Tiere nicht zu vermenschlichen und allzu schnell menschliche Eigenschaften auf sie zu übertragen. Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass das nicht immer ganz einfach ist.

fundiert: Sie interessieren sich besonders für die Kommunikation zwischen Primaten. Können Menschen die Mimik und Gestik von Affen nicht auch intuitiv verstehen?

Liebal: Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es Versuche, Affen Sprache beizubringen. Motiviert werden diese Projekte durch die Idee, dass man auf diesem Weg mit Affen direkt kommunizieren könnte, anstatt ihr Verhalten zu interpretieren. Aber dieses Ziel ist nur sehr begrenzt erreicht worden.

fundiert: Was können Affen denn „sagen“?

Liebal: Weil Affen keine Kontrolle über ihren Stimmapparat haben, können sie keine neuen Laute lernen. Jedoch können sie visuelle Sprachen, wie zum Beispiel Gebärdensprachen, in gewissem Umfang erlernen. Der Mensch setzt Sprache und auch viele seiner Gesten ein, um über etwas zu kommunizieren oder andere zu informieren – über das Wetter, was man gegessen oder wen man getroffen hat. Affen hingegen benutzen ihre erlernten Gebärden meist dazu, um ähnliche Dinge auszudrücken, die sie auch mit ihren eigenen Lauten und Gesten kommunizieren: Ich will spielen, ich will essen, ich will gelaust werden, ich will, dass du weggehst. Sie kommunizieren, um bestimmte Handlungen anderer sofort auszulösen und sie gehen dabei vor allem von ihren eigenen Interessen aus. Allerdings verstehen wir bislang auch nur einen Bruchteil von dem, was Affen kommunizieren.

Jungtier Max ist etwa sechs Jahre alt und wird nach Auskunft der Pfleger wohl einmal das ranghöchste Männchen der Gruppe. Max ist sehr aufmerksam, beteiligt sich schon rege am Gruppenleben und fällt auf – auch durch seine großen Ohren.

Jungtier Max ist etwa sechs Jahre alt und wird nach Auskunft der Pfleger wohl einmal das ranghöchste Männchen der Gruppe. Max ist sehr aufmerksam, beteiligt sich schon rege am Gruppenleben und fällt auf – auch durch seine großen Ohren.
Bildquelle: Daniel Haun / Katja Liebal

Das Weibchen Siswi, 20, mit – wahrscheinlich – ihrem Jungtier. Siswi ist oft in Camp Leakey im Nationalpark Tanjung Puting, sie liebt Seife - zum Waschen, aber auch zum Fressen.

Das Weibchen Siswi, 20, mit – wahrscheinlich – ihrem Jungtier. Siswi ist oft in Camp Leakey im Nationalpark Tanjung Puting, sie liebt Seife - zum Waschen, aber auch zum Fressen.
Bildquelle: Daniel Haun / Katja Liebal

fundiert: Warum ist es so schwierig, Affen zu verstehen?

Liebal: Solche Projekte haben oft den Nachteil, dass sie sehr vom Sprachgebrauch und -verständnis des Menschen ausgehen. Ich versuche manchmal, mich in einen Affen hineinzuversetzen und mir vorzustellen, wie es wäre, in seiner Position mit einem Menschen zu kommunizieren und dessen Absichten zu verstehen. Vielleicht hätte ich als Affe keine Ahnung, was so ein Mensch von mir will, weil ich meine Kommunikation für ganz andere Zwecke einsetze. Ich habe das Gefühl, wir Menschen und Affen „reden“ noch ein wenig aneinander vorbei.

fundiert: Wie gelingt einem das als Forscher – sich in einen Affen zu versetzen?

Liebal: Insgesamt muss man sehr vorsichtig sein um menschliche Konzepte und Emotionen nicht auf die Affen zu übertragen. Bei Orang-Utans ist es beispielsweise eine ganz normale Verhaltensweise, dass Männchen Weibchen „vergewaltigen“. Aus menschlicher Perspektive verabscheuungswürdig und furchtbar. Wenn ich als Wissenschaftlerin eine solche Interaktion beobachte, muss ich, auch wenn es mir schwer fällt, meine Abscheu gegenüber dem Männchen kritisch betrachten und akzeptieren, dass ich Orang-Utan-Verhalten nicht mit menschlichen Maßstäben messen darf.

fundiert: Trotzdem sind Sie manchen Tieren nah und entwickeln über Jahre eine Art Bindung. Liebal: Ja. Ein Orang-Utan-Weibchen im Züricher Zoo etwa kommt auch noch nach zehn Jahren sofort an die Glasscheibe, wenn es sie mich sieht. Umgekehrt: Im Leipziger Zoo habe ich eine Studie gemacht, bei der ich Affen das Futter weggenommen habe. Wenn ich jetzt dorthin komme, wirft eines der getesteten Tiere immer noch mit allem nach mir, was es finden kann. Man sollte es sich nicht mit Affen verscherzen. Das merken sie sich

fundiert: Waren Sie auch schon mal in Gefahr?

Liebal: Ja, mein Fehler in diesem Fall war, dass ich mit der Zeit nachlässig wurde. Ich habe in einer Primatenstation in den USA gearbeitet. Einmal habe ich am Gitter des Geheges mit einem Schimpansenjungtier gespielt. Für einen kleinen Moment bin ich zu nah ans Gitter herangekommen. Die Mutter des Jungtiers hat das gesehen und ist herangesprungen. Sie hat meine Uniform gepackt und meine Hand durch das Gitter gezogen, um mir die Finger abzubeißen. Meine Rettung war die Geistesgegenwart meines Kollegen, der mir geholfen hat, meine Hand aus der Umklammerung der Schimpansin zu lösen. fundiert: Affen glauben also auch, uns Menschen zu durchschauen. Liebal: Genau. Und diese Mutter hatte wohl sehr schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht.

fundiert: Betreiben Affen also auch Beobachtungsstudien beim Menschen?

Liebal: Einige von ihnen interessieren sich auf jeden Fall sehr für menschliches Verhalten. Im Leipziger Zoo gibt es ein Orang-Utan-Weibchen, das sein Gesicht andie Scheibe presst und die Zoobesucher beobachtet. Trotz der vielen Besucher jeden Tag sind wir Menschen für sie anscheinend immer noch spannend.

Das Interview führte Nina Diezemann.  

Spenden für Chimfunshi

Der Arbeitsbereich Evolutionäre Psychologie möchte das Potential der Auffangstation Chimfunshi als wichtiges Bildungs- und Forschungszentrum fördern, damit Wissenschaftler und Studierende eine große Anzahl von Schimpansen in ihrem fast natürlichen Lebensraum beobachten und erforschen können. Dafür ist das Projekt neben den eingeworbenen Drittmitteln auch auf Spenden angewiesen, die für die Teilfinanzierung der Reisekosten der Wissenschaftler sowie der Studierenden verwendet werden.

Spendenkonto für das Projekt

„Forschen und Studieren in Chimfunshi (Sambia)“

Empfänger: Freie Universität Berlin

Bank: Berliner Bank AG

Kontonummer: 0512158700

Verwendungszweck: Fond 0412847101

 

Die Wissenschaftlerin

Prof. Dr. Katja Liebal

Prof. Dr. Katja Liebal
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Prof. Dr. Katja Liebal

Katja Liebal studierte Biologie in Leipzig, schrieb dort 2001 am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie (Abteilung für Vergleichende und Entwicklungspsychologie) ihre Diplomarbeit, und promovierte 2005 auch dort. Im gleichen Jahr wechselte Katja Liebal nach Großbritannien an die University of Portsmouth, um am dortigen Fachbereich Psychologie zu lehren. Seit 2009 beschäftigt sie sich an der Freien Universität/Exzellenzcluster „Languages of Emotion“ unter anderem mit der Frage, wie sich die Kommunikation von Menschenaffen von der des Menschen unterscheidet.

E-Mail: katja.liebal@fu-berlin.de