Studium Generationes
Ingrid Zundel, 75, und Marcelina Bugaj, 27, schildern, was sie während ihres Studiums an der Freien Universität Berlin erlebten
13.12.2013
Die Gerontologin Dr. Ingrid Zundel studierte Soziologie, Psychologie und Gerontologie an der Freien Universität und promovierte mit 75 Jahren mit einer Arbeit zu Zeittauschbörsen.
Bildquelle: Manfred Witt / VISUM
Die eine, Ingrid Zundel, promovierte mit 75 an der Freien Universität. Die andere, Marcelina Bugaj, beendet dort mit 27 gerade ihr Masterstudium. Wie sie ihre Zeit an der Universität erlebten, erzählen sie hier in fundiert.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Der Unterschied zwischen dem Studium in den sechziger Jahren gegenüber dem heutigen Studium an der Freien Universität ist enorm. Damals wurde der Rektor mit „ehrwürdige Magnifizenz“, der Dekan mit „ehrwürdige Spectabilität“ tituliert, und das Studium war sehr verschult. Von meinem ersten Studium habe ich vor allem die Vorlesungen in Statistik heute noch in schlechter Erinnerung. Die fanden im Audimax statt. Weil der Professor nuschelte und nichts erklärte, glotzte man hilflos auf die Leinwand, wo er seine Folien vorführte. Es war mir schleierhaft, wie man da etwas lernen sollte. So was wie Tutorien gab es auch nicht.
1963 heiratete ich, einen Kommilitonen der Soziologie. Nach zwei Jahren sagte ich zu ihm: „Mach Du unser Studium fertig, ich gehe in meinen Beruf zurück, für Dich ist es wichtiger“. So waren wir Frauen einmal … Wir quälten uns nämlich sehr mit dem Geldverdienen neben dem Studium, denn ich hatte schon eine kleine Tochter aus erster Ehe. Nach der Aufgabe meines Studiums blieb ich weiter an der Freien Universität, und zwar als Sachbearbeiterin. Zusammen mit meinem Mann waren wir in den späten 60er Jahren politisch sehr aktiv, und als mit den70ern eine neue Zeit an der Freien Universität begann, sah ich für mich eine Chance, eine interessantere Arbeit zu bekommen. Die bekam ich dann auch und war 20 Jahre meiner Berufstätigkeit als Referentin und Geschäftsführerin in der Hochschulplanung tätig.
Erst in meinem letzten Berufsjahr – die Kinder waren aus dem Haus und mein Mann verstorben – habe ich wieder ernsthaft über ein Studium nachgedacht. Ich war es mir selbst schuldig, noch einen Studienabschluss zu machen. Und so begann ich dann mit 60, im Wintersemester 1990, mit dem Studium der Psychologie und Gerontologie. Dort hatte ich dann auch wieder mit der Statistik zu tun und wollte es diesmal wirklich verstehen. Also arbeitete ich ein ganzes Semester lang fast sechs Stunden täglich mit einer Kommilitonin. So motiviert war ich in der Jugend nicht. Damals hätte ich vielleicht hingeschmissen.
Erstaunlicherweise fand ich mich oft in Arbeitsgruppen mit Studenten aus der ehemaligen DDR wieder. Warum? Obwohl sie über 30 Jahre jünger waren, waren wir ähnlich sozialisiert. Wenn es passte, besuchten wir gerne Seminare morgens um acht Uhr, die ansonsten leer waren … 1995 machte ich dann ein Einser-Diplom und plante meine Doktorarbeit.
Meine Motivation? Ich wollte versuchen, diese große Herausforderung im Alter von 75 Jahren auch noch zu bestehen. Außerdem wollte ich das Thema der Tauschsysteme aufgreifen und in die Köpfe der Menschen bringen. Denn ich bin überzeugt, dass dieses Konzept für „Zeitreiche und Geldarme“ eine große Hilfe sein kann. Deshalb habe ich meine Arbeit meinen beiden Enkeltöchtern gewidmet, die damals drei und fünf Jahre alt waren in der Befürchtung, dass sie vielleicht keine durchgehende Berufsbiografie haben werden wie wir heutigen Alten sie hatten. Denn wir sind die letzte Generation, der es finanziell durchschnittlich im Alter noch so gut geht.
2004 wurde die Arbeit „Kommunitarismus in einer alternden Gesellschaft – neue Lebensentwürfe Älterer in Tauschsystemen“ von der Freien Universität angenommen. Meine etwas eigenwillige Bearbeitung bescherte mir „cum laude“, womit ich sehr zufrieden war. Lebenslanges Lernen war und ist ein Thema, das mich auch lebenslang beschäftigt hat. Ich habe dazu viele Vorträge gehalten. Sie sollten meine Mitmenschen auf unterschiedliche Aktivitäten im Alter hinweisen, damit sie den Jahren Leben hinzufügen und nicht nur dem Leben Jahre. Denn das Alter umfasst mehr Zeit als Jugend und Ausbildung zusammen. Diese Zeit sollte nicht vergeudet werden – dafür ist sie einfach zu kostbar.
Marcelina Bugaj beendet gerade ihr Masterstudium am Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität. Ihren Bachelor hatte die 27-Jährige an der TU in Dresden gemacht.
Bildquelle: Verena Blindow
Studieren oder nicht – diese Frage hat sich mir so nie gestellt. In meiner Familie sind die meisten Akademiker, viele haben sogar promoviert. Irgendwie war für mich immer klar, dass ich studieren werde. Welches Fach es werden sollte dagegen nicht – ich konnte mir zwei Richtungen vorstellen: entweder Romanistik oder Publizistik. Ich hatte mich für beides beworben und hätte auch für beides einen Platz bekommen. Dann habe ich mich aber letztlich für die Romanistik entschieden.
Ich hatte in Berlin auch ein bilinguales Gymnasium besucht und dort früh Spanisch gelernt. Schon in der Schule hatte ich deshalb auch Freunde, die Spanisch als Muttersprache sprechen. Für den Bachelor ging ich dann an die TU in Dresden. Das Bachelorstudium war anspruchsvoll und auch recht verschult. Der Druck war deshalb schon spürbar: Pro Klausur gab es nur einen Freischuss – zweimal durch eine Prüfung zu fallen, das geht nicht. Ein Langzeitstudent kann man unter solchen Bedingungen schon mal nicht werden. Damit habe ich aber kein Problem gehabt, sondern fand das für mich ganz gut. Allerdings hat man den Schwund im Studium schon gemerkt: Angefangen hatten wir mit mehreren hundert Studierenden. In meinem Jahrgang waren wir dann so um die 50, die den Abschluss gemacht haben.
Dass ich mich im Master dann auf Lateinamerikastudien spezialisiert habe, diesen Rat hat mir ein Professor in Dresden gegeben. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar. Nach Berlin an die Freie Universität zu gehen war irgendwie logisch – an dieser Uni hatte ich ohnehin immer studieren wollen. Dass die Universität vielleicht etwas größer ist als andere fand ich nie problematisch. Wenn man aus Berlin kommt, hat man zu Größe aber vielleicht sowieso schon ein etwas anderes Verhältnis. Das Lateinamerika-Institut ist außerdem überschaubar. Die Professoren sind immer erreichbar, die Türen stehen offen – ein sehr offenes Klima, von dem man als Studierender sehr profitiert. Auch in den Kursen habe ich das so erlebt: Jede Frage ist erlaubt, Diskussionen erwünscht, künstliche Barrieren gibt es nicht. So kann man natürlich auch viel lernen. Der Masterstudiengang ist mit meinem Bachelor deshalb auch kaum zu vergleichen. Der Kurs ist bunt durchmischt – es gibt Studierende aus ganz verschiedenen Ländern und Unis, manche haben auch schon gearbeitet. Das Alter reicht von Mitte 20 bis etwa 30. Aber es spielt eigentlich auch keine große Rolle.
Wie die meisten anderen meiner Mitstudenten in unserem Programm habe ich auch ein Semester im Ausland studiert. Ich wollte gerne nach Kolumbien. Gerade als ich mir das überlegt hatte, wurde ein Direktaustausch zwischen der Freien Universität Berlin und der Pontificia Universidad Javeriana in Bogotá eingerichtet. Ich konnte mein Auslandssemester also sogar mit einem Stipendium organisieren.
In Kolumbien zu studieren war sehr spannend. In einem Kurs mit lauter Muttersprachlern zu sitzen, die gleichen Klausuren zu schreiben und zu bestehen – das hat mich schon auch stolz gemacht. Was für mich ein großer Vorteil meines Studiums ist: Ich konnte verschiedene Universitäten kennenlernen. Zum einen sind es natürlich ganz unterschiedliche akademische Betriebe. Aber auch die Studierenden sehen sich anders – etwa ihre politische Rolle in der Gesellschaft. Das konnte ich vor allem 2009 in Spanien an der Universität in Valencia erleben. Dort wurde sehr viel demonstriert. In Deutschland habe ich das etwas anders erlebt. Gerade sitze ich an meiner Masterarbeit, einen Titel kann und möchte ich aber noch nicht verraten. Gerne möchte ich zu transidenten Menschen aus Südamerika in Berlin forschen. Dass ich mir diese Forschungszeit so selbstbestimmt nehmen und einteilen kann, ist gerade jetzt, gegen Ende meines Masters, ein großer Vorteil. Ich habe keinen Druck von außen, nur meinen eigenen. Ich kann mir gut vorstellen, auch zu promovieren. Aber bevor ich da genauer in die Planung einsteige, möchte ich erstmal meinen Master schaffen.