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„Ich wollte das unbedingt machen“

Der Chemiker Sebastian Hasenstab-Riedel legt mit seiner Forschung die Grundlagen für Stromspeicher von morgen. Überraschende Wendepunkte hat er in seiner Karriere schon oft erlebt.

08.10.2014

Die Karriere von Sebastian Hasenstab-Riedel begann in der bayerischen Provinz, jetzt tüftelt er am Stromspeicher der Zukunft

Die Karriere von Sebastian Hasenstab-Riedel begann in der bayerischen Provinz, jetzt tüftelt er am Stromspeicher der Zukunft
Bildquelle: Michael Fahrig

Aus der bayrischen Provinz über Helsinki und Kanada nach Berlin und von der Hauptschule auf den Professorenstuhl: Die Karriere von Sebastian Hasenstab-Riedel, neuberufener Professor der Anorganischen Chemie an der Freien Universität, ist  alles andere als gewöhnlich. Sein größter persönlicher Wendepunkt: die als Schüler für unerreichbar gehaltene und letztlich  sogar ausgezeichnete Promotion. Nun tüftelt er als Professor in Dahlem an Molekülen, die als Stromspeicher eines Tages für die Energiewende zentral sein könnten.

Wenn Sebastian Hasenstab-Riedel die geometrischen Strukturen chemischer Moleküle erklärt, bläst er bunte Luftballons auf und knotet sie geschickt zusammen – bis zu sieben Stück. „Das Prinzip eines Tetraeders oder Oktaeders kann so jeder verstehen“, sagt er. Bei seinen Studierenden gelingt es ihm auf diese Weise, selbst die schwierigsten Dinge einfach aussehen zu lassen. Bisweilen klingt es auch so, als seien sein Weg zur Professur und die Schlüsselmomente in seiner Karriere ein Kinderspiel gewesen. Denn immer wieder fallen Begriffe wie Zufall und Glück. „Wahrscheinlich war ich meistens zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt er.

Dieser richtige Ort ist für ihn seit dem vergangenen Wintersemester Berlin-Dahlem: Damals wurde Sebastian Hasenstab- Riedel, frisch habilitiert, zum Professor für Anorganische Chemie an die Freie Universität berufen, als Nachfolger von Professor Konrad Seppelt. Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Akademiker- Karriere, die ihresgleichen sucht. Geboren 1975 und aufgewachsen in Bayern, hat der frühere Hauptschüler in seinem Leben mehr als einen Wendepunkt erlebt. „Bis zu meiner Promotionsprüfung habe ich mir nie vorstellen können, dass ich einmal Hochschullehrer sein würde“, sagt Hasenstab-Riedel. Für Naturwissenschaften interessierte er sich zwar schon als Jugendlicher: „Damals beschränkte sich mein Ehrgeiz leider ausschließlich auf das absolut Notwendige“, bekennt der 38-Jährige.

Den Ansporn zum Lernen fand er erst, als er nach dem Abschluss der Hauptschule erkennen musste, dass ihm damit die angestrebte Ausbildung zum Chemielaboranten verwehrt bleiben würde. „Ich wollte das aber unbedingt machen und ging als 15-Jähriger nach Hessen, um dort die Berufsfachschule für chemische Technik zu besuchen.“ Da es nicht ausreichend gleichgesinnte Schüler gab, kam der Ausbildungszweig nicht zustande. Anstatt zu kapitulieren, ging Hasenstab-Riedel einen Kompromiss ein: „Ich habe dann eben den elektrotechnischen Zweig belegt, was mir im Nachhinein betrachtet bis heute sehr nützlich ist.“

Während der Langen Nacht der Wissenschaften 2014 brachte Sebastian den begeisterten Besuchern die Chemie näher

Während der Langen Nacht der Wissenschaften 2014 brachte Sebastian den begeisterten Besuchern die Chemie näher
Bildquelle: Michael Fahrig

Mit der Mittleren Reife in der Tasche wurde Hasenstab- Riedel Auszubildender am Brennelementewerk in Hanau. „Es faszinierte mich, mit Stoffen wie Uran oder Plutonium arbeiten zu können.“ Eine Faszination, die in den frühen neunziger Jahren nur wenige teilten. Für die Herstellung von Brennelementen kam in Hessen bald schon das politische Aus – was auch das Aus für Hasenstab-Riedels Ausbildungsstätte bedeutete. Seine Lehre konnte er dennoch erfolgreich abschließen, bei der ehemaligen Degussa in Hanau.

Ein Grund zum Zurücklehnen war das nicht: Die Neugier, chemische Zusammenhänge noch besser zu verstehen, habe ihn angetrieben, auch die Fachoberschule für chemische Technik zu besuchen und mit der Fachhochschulreife abzuschließen. Dass ihm das später die Tür zur akademischen Welt öffnen würde, war allenfalls am Horizont zu erahnen. Der Chemiker erinnert sich, wie die Gesamthochschule Siegen damals mit dem Spruch „Von der Fachoberschule bis zum Doktor“ warb.

Angesprochen fühlte er sich zunächst nicht: „Dass ich es so weit bringen würde, hätte ich mir zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht träumen lassen“, erzählt er. Trotzdem sollte er wenig später genau dort sein Grundstudium aufnehmen. In Chemie, und mit einer Haltung, die Karriere- Coaches vielleicht als geschicktes Erwartungs- Management beschreiben würden: „Mit meiner Fachhochschulreife habe ich an der Uni erst einmal tiefgestapelt. Ich wollte mir das anschauen und hatte großen Respekt vor der neuen Herausforderung.“ In Deutsch, Englisch und Mathematik habe er einiges an Stoff aufzuholen gehabt. Anders gestaltete sich das im Laboralltag und in Fächern wie Analytische Chemie: „Dabei kamen mir meine Erfahrungen aus der Ausbildung zugute, das gab mir Rückenwind.“

Seine Hauptschulvergangenheit sei unter Kommilitonen zu keiner Zeit ein Thema gewesen, „vielleicht wäre das heute anders.“ Es waren eher bürokratische Hürden, die es zu überwinden galt: Nach dem Vordiplom wollte Sebastian Hasenstab-Riedel Hochschule und Bundesland wechseln, zurück nach Bayern, wo seine Frau auf Lehramt studierte. „Bis zur Immatrikulation war es eine Odyssee, ich wurde wegen meiner fachgebundenen Hochschulreife zunächst abgewiesen“, erzählt er. Aber Beharrlichkeit und Geduld zahlten sich schließlich aus: „Ich machte an der Uni Würzburg die prägende Bekanntschaft meines späteren Doktorvaters, der gerade kurz zuvor dorthin berufen worden war.“ Bei ihm belegte Hasenstab-Riedel erstmals Kurse in Quantenchemie: „Das war für mich etwas komplett Neues. Nicht im Labor stehen und kochen, sondern am Computer Moleküle simulieren und testen, ob Reaktionen ablaufen.“

Was passiert, wenn Cola und Bier synthetisiert werden? Der Chemiker Sebastian Hasenstab-Riedel zeigte das Ergebnis einem großen Publikum

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Bildquelle: Michael Fahrig

Es war die Zeit der ersten, noch mehrere zehntausend Euro teuren Computer: „Welche neuen Möglichkeiten und welche Arbeitsersparnis man durch die Simulationen plötzlich hatte, war gravierend.“ Dafür gehörten für den Chemiker nun das Basteln mit Hardware wie Prozessoren und Speichern zum Alltag. In Würzburg blieb er auch als Doktorand. Er lernte, theoretische und experimentelle Arbeit miteinander zu verknüpfen: „Die Vorhersage an sich ist zwar eine schöne Sache. Viel besser ist es aber, wenn man sich die zuvor am Computer simulierte chemische Verbindung später auch in einer Flasche auf den Tisch stellen kann.“

Damals waren beide Disziplinen auch räumlich relativ nah beieinander: Gemeinsam loteten Grundlagenforscher und Experten für das Experimentelle die Grenzen bei hohen Oxidationsstufen von Stoffen aus: „Wir wollten dem Zentralatom möglichst viele Elektronen entziehen“, erläutert der Chemiker. Seine eigene Aufgabe war damals theoretisch geprägt: Doch in jener Zeit sei für ihn immer mehr das Ziel in den Mittelpunkt gerückt, diese neuen Moleküle selbst zu erzeugen, anstatt sie nur zu beschreiben. Hierfür brauchte es das richtige Handwerkszeug.

Hasenstab- Riedel erwarb es nach seiner Promotion zunächst an der Universität Helsinki, wo er sich die Methode der so genannten Matrixisolations-Spektroskopie aneignete. Sie ermöglicht es, instabile Moleküle nahe am absoluten Nullpunkt bei circa minus 268 Grad Celsius zu stabilisieren und näher zu untersuchen. Als Postdoktorand an der McMaster University in Kanada profitierte er von der dortigen Expertise in Präparativer Fluorchemie. Eine Materie, deren Reiz Hasenstab-Riedel Außenstehenden bisweilen erklären muss: „Das Element Fluor stellt uns immer wieder vor neue Herausforderungen. In Reinform muss man es bändigen, denn es ist so aggressiv, dass es mit fast allen chemischen Elementen reagiert.“

Viele bürokratische Hürden musste Sebastian Hasenstab-Riedel während seines wissenschaftlichen Werdegangs überwinden

Viele bürokratische Hürden musste Sebastian Hasenstab-Riedel während seines wissenschaftlichen Werdegangs überwinden
Bildquelle: Michael Fahrig

Sein Können im Umgang mit dem Stoff noch weiter zu vertiefen, nahm er sich für die Habilitation vor. Doch eine Stelle in dieser Fachrichtung zu finden, war nicht einfach. „In Deutschland gab es eine riesige Lücke zwischen alten und jungen Vertretern dieser Disziplin, ein großes Nachwuchsproblem“, erklärt Hasenstab-Riedel. Er selbst hatte Glück und konnte sich bei einem heutigen Kollegen an der Universität Freiburg habilitieren.

So war der Chemiker zum Beispiel daran beteiligt, als 2007, zum ersten Mal seit 20 Jahren, eine neue Oxidationsstufe für ein Element gefunden wurde – für Quecksilber – und 2009 für Iridium. Wofür man das braucht? Hasenstab-Riedel antwortet mit Nachdruck, die Frage ist er aus dem Freundeskreis gewohnt. Konkrete Anwendungsmöglichkeiten gebe es für die Iridium-Verbindung noch nicht, da sie nur bei Tieftemperatur stabil ist. Es gehe ihm vielmehr darum, die chemische Bindung an sich zu verstehen und Lücken im Periodensystem – noch gänzlich unerforschte Moleküle – zu entdecken. Das Wissen zu ergänzen, das seit Jahrzehnten gelehrt wird, ist demnach noch immer möglich.

„Da hatten wir zuletzt häufiger den richtigen Riecher“, sagt der Professor. Im Herbst 2014 konnte er mit kanadischen Kollegen in einer Online-Publikation des Fachblatts „Nature“ sogar eine bislang unbekannte Oxidationsstufe zeigen: Die neue Verbindung bekommt die Stufe IX im Periodensystem zugewiesen. Um die Zukunft der Fluorchemie muss er sich keine Gedanken mehr machen: In Berlin haben die Humboldt- Universität und die Freie Universität 2009 gemeinsam das Graduiertenkolleg „Fluor als Schlüsselelement“ eingerichtet. Noch in diesem Herbst wird die Freie Universität zudem ein neues Fluor-Labor einrichten, in dem sich ganz neue Möglichkeiten bieten, mit dem Stoff zu arbeiten. Eine Investition in die Grundlagenforschung, die in den vergangenen Jahren immer wieder für spannende Erkenntnisse gesorgt hat. Allein deshalb, weil Wissenschaftler oft kreativ sein müssen, um den Schwierigkeiten beim Experimentieren mit Fluor zu entgehen.

Ersatzweise mit anderen Halogenen – etwa Brom – zu arbeiten, sei oft ungleich einfacher: „Durch Zufall ist es uns 2011 gelungen, das erste höhere Polybromid-Mono- Anion herzustellen und strukturell zu charakterisieren.“ Diese neuartige Verbindung habe überraschende Eigenschaften gezeigt, sagt er. So sei sie beispielsweise extrem leitfähig. Anders als im Fall von Iridium bieten sich für eine solche Verbindung viele Chancen in der Praxis: Man erhofft sich etwa, es eines Tages in bestimmten Solarzellen und in großen Energiespeichern für Sonnen- und Windenergie einsetzen zu können. Eine Entdeckung, die Hasenstab-Riedel für wichtig hält. Aber sicher nicht für den einen entscheidenden persönlichen Wendepunkt. „Jedes erreichte Etappenziel hat mich ermutigt, noch einen Schritt weiter zu gehen.“

Bei der Frage nach dem wichtigsten persönlichen Wendepunkt fällt ihm eher seine Promotion ein. „Ohne das ‚summa‘ vor dem ‚cum laude‘ hätte ich alles Weitere nicht gemacht “, sagt er. Wenn Hasenstab-Riedel nun selbst vor Studierenden oder Publikum steht, gilt es, den Funken überspringen zu lassen: Bei der Langen Nacht der Wissenschaften etwa zeigt er in Experimentalvorlesungen, was mit Chemie alles möglich ist. In die Lehre sei er seit der Doktorandenzeit nach und nach hineingewachsen, erzählt er. Auch bei seiner Bewerbung um den Professorenposten an der Freien Universität ist er mit seinem Vortrag offenbar in guter Erinnerung geblieben: Unter Umständen als der Wissenschaftler, der nicht davor zurückschreckt, die komplexen Dinge mithilfe einfacher Mittel zu erklären. Das können auch schon mal Luftballons sein.

 

Kontakt: Freie Universität Berlin Institut für Chemie und Biochemie, Anorganische Chemie E-Mail: s.riedel@fu-berlin.de