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kurz-fundiert

Wendepunkte in Stichpunkten

08.10.2014

Der Wendepunkte gibt es viele - sei es das Navigationsgerät im Auto, der Wendehals oder der Wandlung vom Saulus zum Paulus

Der Wendepunkte gibt es viele - sei es das Navigationsgerät im Auto, der Wendehals oder der Wandlung vom Saulus zum Paulus
Bildquelle: iStockphoto/chuwy

Es ist eine Kunst, die Autoren graue Haare beschert – ob in der Literatur oder im Journalismus: Leser zum Schluss mit einer überraschenden Wende zu verabschieden. Die folgenden Zeilen sind genau diesem Versuch gewidmet.

Richtungsweisende Debatten

Was einen Wendepunkt ausmacht, und wo er genau zu lokalisieren ist, dazu fallen die Antworten selten kurz und knackig aus. Während Historiker sich bei den Wendepunkten des 20. Jahrhunderts eventuell auf Jahreszahlen wie 1917 (Russische Revolution), 1945 (Kriegsende), 1962 (Kuba-Krise) oder 1989 (Mauerfall) einigen könnten, würde trotzdem sicher zu jeder Zahl länger diskutiert. Etwa darüber, wer wann und warum genau dieses Ereignis als „Wendepunkt“ bezeichnet. Wenn dazu auch noch die kulturwissenschaftlichen Debatten um Interpretative, Iconic, Performative, Reflexive, Spatial, Literary, Postcolonial oder Translational Turn kommen – dann kann der Wendepunkt vor lauter Wenden schon mal schwer zu finden sein. Wie wunderbar klar erscheint da der mathematische Wendepunkt. Ein solcher Punkt W auf der Kurve f(x) heißt dann Wendepunkt, wenn f dort stetig ist und sich das Krümmungsverhalten ändert – also etwa eine Links- in eine Rechtskurve übergeht, oder anders herum. So in etwa. Ein schwacher Trost für all jene, denen in der elften Klasse notwendige und hinreichende Kriterien nie ganz geheuer waren: Ganz ohne (Kurven-)Diskussion lässt sich auch hier kein Wendepunkt festmachen.

Ohne Wende kein Hit

Da-da-da-di-dah! – So klingt die Deutsche Telekom in der Werbung. Musikalisch gesehen eine Mini-Melodie mit Hit-Potenzial. Denn auch hier geht es um überraschende Wendepunkte. Oder besser: Die Vier-Akkord- Formel, die in der Harmonielehre als „Turn-Around“ bezeichnet wird. Damit wird in der Musik verhindert, dass es harmonisch gesehen fad wird, wenn sich eine Akkordfolge ständig wiederholt. Am Übergang zwischen zwei identischen Akkordfolgen sorgt dann eine sogenannte Kadenzschleife dafür, dass die Wende zurück zum Anfang der Akkordfolge gelingt – und zwar ohne Langeweile. Die Werbemelodie der Telekom ist ein sehr vereinfachter Turn-Around, es gibt ihn aber auch im Jazz oder in der Popmusik, etwa in Beatles-Songs oder Hits der US-Sängerin Pink. Schon der Komponist Johann Pachelbel verarbeitete eine Art Turn-Around in seinen Stücken, allerdings im 17. Jahrhundert und damit lange bevor Jazz oder Pop erfunden waren. Sein „Kanon und Gigue in D-Dur“ gilt bis heute als Paradebeispiel für solche harmonischen Wendemanöver. Und wurde – natürlich – Pachelbels größter Hit.

Schräge Vögel

Der Wendehals genießt keinen guten Ruf. Steht er doch vor allem für den politischen Opportunismus. Dabei kann der Jynx torquila aus der Familie der Spechte eigentlich nichts dafür. Wendehälse würden vielleicht eher Mitleid verdienen, denn im Gegensatz zu ihren Verwandten können sie einiges nicht, was Spechte normalerweise beherrschen. Zum Beispiel sind sie schlechte Kletterer. Ihr Schädel ist der anstrengenden Klopferei auf Baumstämme nicht gewachsen, weshalb sie sich auch keine Höhlen bauen können. Seinen Namen verdankt er seiner Fähigkeit, bei Gefahr den Kopf abzuwenden und ihn mal nach rechts, mal nach links zu drehen. Dabei gibt er Zischlaute von sich. Dieses Verhalten, das auch Schlangenmimikry genannt wird, soll Feinde verjagen. Statt Opportunismus also eher der Mut der Verzweiflung. Dass er ausgerechnet 1988 zum Vogel des Jahres erklärt wurde, ist deshalb schon fast eine kleine Gemeinheit. Damals wurde der Wendehals zum „geflügelten“ Wort für DDR-Bürger, die angesichts des nahenden Zusammenbruchs der DDR ihre bisherige Gesinnung kurzerhand überdachten. Die Tatsache, dass sich der Sänger Werner Böhm, bekannt durch den Karnevals- Hit „Polonäse Blankenese“, schon etwas früher in Gottlieb Wendehals umbenannte, fällt da schon fast gar nicht mehr ins Gewicht. Der Wendehals, er ist und bleibt wohl der Pechvogel der deutschen Geschichte.

Vom Saulus zum Paulus: Seine radikale Lebensänderung wurde auch als „Damaskuserlebnis“ bekannt.

Vom Saulus zum Paulus: Seine radikale Lebensänderung wurde auch als „Damaskuserlebnis“ bekannt.
Bildquelle: Wikipedia

Umkehr lohnt sich

In der Wirtschaft gilt sie als Königsdisziplin des Managements – die große Trendwende, der Turn-Around. Denn natürlich ist es nicht einfach, noch einmal die Kurve zu kriegen, wenn ein Unternehmen erst tief in der Krise steckt. Ein Gespür für erfolgreiches Turn-Around- Management lohnt sich auch für Aktienanleger. Eine alte Börsenweisheit besagt etwa: „Buy on bad news, sell on good news.“ Was nichts anderes heißt als den Wendepunkt für ein Unternehmen vorherzusehen, rechtzeitig und billig zu kaufen, um dann, einige Zeit nach der Trendwende, mit großem Gewinn wieder zu verkaufen. Also sich genau antizyklisch zu einem Trend zu verhalten. Das Problem dabei: Wann genau so eine Trendwende kommt und ob sie überhaupt realistisch ist, hängt von Psychologie, Herdentrieb und Persönlichkeit ab. Das klingt nicht umsonst ein bisschen nach Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist und rückt zumindest den wirtschaftlichen Turn-Around in die Nähe der Bauernregel.

Von Texas nach Damaskus

Irgendwo vor den Toren von Damaskus soll es laut Bibel passiert sein. Der Pharisäer und erklärte Christenverfolger Saulus hatte auf dem Weg in die Stadt, wo er nach Anhängern der neuen „Sekte“ fahnden wollte, eine Vision. In gleißendem Licht erscheint Saulus der auferstandene Christus, der ihn anspricht. Beschrieben wird das einschneidende Erlebnis in der Apostelgeschichte des Lukas. Saulus ist nach dieser Begegnung zunächst drei Tage lang geblendet. Und dann bald wie gewandelt. Das sogenannte Damaskuserlebnis wird zum Wendepunkt in seinem Leben, seine Ansichten ändern sich radikal. Er wird Christ und wandelt sich vom Saulus zum Paulus. Heute wird statt vom „Damaskuserlebnis“ zwar häufiger von Schlüssel- oder Aha-Erlebnissen gesprochen. Doch gibt es nach wie vor Fälle, in denen tatsächlich diese biblische Konversionsgeschichte in anderen Menschen eine radikale Wende auslöst. Das bekannteste Beispiel: George W. Bush. Er schwor Partys und Alkohol ab und sagte später, ohne dieses Damaskuserlebnis hätte er es nie ins Oval Office geschafft. Sondern säße heute noch in einer Bar in Texas.

Richtungsweisend

Fast jeder Autofahrer hat die Aufforderung schon einmal so oder ähnlich gehört: „Bitte bei der nächsten Möglichkeit wenden.“ Kein Wunder – Navigationsgeräte für Autos erlebten vor fast zehn Jahren einen Boom. Bis 2013 wurden in Deutschland rund 24 Millionen portable Navigationsgeräte verkauft, fast 60 Prozent aller PKW sind mittlerweile damit ausgerüstet. Dass die technische Aufrüstung vielleicht in der Theorie eine Wende, in der Praxis aber nicht nur Vorteile mit sich bringt, kann man seither in den Medien immer wieder mitverfolgen. Nicht zuletzt die Anweisung „Bitte wenden“ führte immer wieder zu folgenschweren Fehlentscheidungen. Etwa zu Versuchen, mitten auf der Autobahn umzukehren. In diesem Jahr berief sich zum Beispiel ein Fahranfänger, der in einen Laster gerast war und damit einen kilometerlangen Stau auf A1 und A3 verursacht hatte, auf seine Navi-Hörigkeit. Das Gerät habe ihm schließlich geraten, möglichst bald zu wenden. Solchen missverständlichen Empfehlungen zum Trotz hat sich an der Attraktivität von Navigationsgeräten bisher wenig geändert. Was man daran erkennen kann, dass sie zu den am häufigsten gestohlenen Autoteilen gehören. Alleine in Berlin wurden 2013 fast 6.000 Stück geklaut.