Politik im Takt der Online-Medien
Wie sich die Kommunikation zwischen Politik, Medien und Bürgern im digitalen Zeitalter verändert.
13.10.2016
Als der Vorsitzende des Axel-Springer-Verlags das Wort ergreift, weiß noch niemand im Saal um die Bedeutung seiner Rede. „Im Zeitalter der schnellen Nachrichtenübermittlung auf dem Bildschirm leben wir Zeitungsverleger im Zeitalter der Postkutsche“, sagt er vor den Mitgliedern des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger. „Unsere Wettbewerber sind dagegen echte Kinder des Düsenflug-Zeitalters.“ Spätestens jetzt hat wohl jeder im Raum verstanden, dass sich die Medienwelt im Umbruch befindet.
Den richtigen Ton in den Posts treffen und in den sozialen Netzwerken aktuelle Kommentare liefern – so kann man sich als feste Größe etablieren.
Bildquelle: dpa, Kay Nietfeld
Dabei spricht der Redner nicht etwa vom schnellen Nachrichtengeschäft im Internet. Der Vortrag ist über ein halbes Jahrhundert alt, gehalten von niemand Geringerem als dem Verlagsgründer Axel Springer selbst. Es war das Fernsehen, das ihn und viele andere Publizisten Anfang der 1960er-Jahre in Sorge versetzte. Die Geräte verkauften sich rasant, neue Formate und Sendungen entstanden, der Takt der Nachrichten wurde schneller. Würde Axel Springer heute vor der Verlegerversammlung dieselben Worte wählen, es fiele kaum auf. Nur, dass es eben Online-Medien, Blogs und soziale Netzwerke sind, die mittlerweile den Takt vorgeben und den Zeitungen sinkende Auflagen bescheren. Sie verbreiten Nachrichten – um im Bild zu bleiben – mit Überschallgeschwindigkeit und lassen selbst das Fernsehen alt aussehen.
Welche Folgen diese Entwicklung für die Kommunikation zwischen Politik, Medien und Bürgern hat, untersuchen Jan Niklas Kocks und Kim Murphy, wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin. Als Teil der DFG-Forschergruppe „Political Communication in the Online World“ beschäftigen sie sich vor allem mit den Verflechtungen zwischen Regierungsstellen und Nachrichtenmedien.
Beschleunigung der Kommunikation
„Aus unseren Befragungen wissen wir, dass die schnelle Berichterstattung der Online-Medien auch die Arbeit der Pressesprecher in den Ministerien verändert“, sagt Kocks. „Die Reaktionszeit hat sich massiv verringert.“ Journalisten wollen Antworten auf ihre Anfragen nicht etwa in wenigen Stunden, sondern oft schon innerhalb von 30 Minuten. Für die Sprecher bedeutet das mehr Stress und weniger Zeit für die Recherche bei den Fachabteilungen innerhalb des Hauses. „Letztendlich führt das zu einer oberflächlicheren Berichterstattung“, vermutet Kocks. Der steigende Druck auf die Pressesprecher führt auf der anderen Seite dazu, dass ihr Arbeitsbereich innerhalb der Ministerien an Bedeutung gewinnt. Da Online-Medien keinen Redaktionsschluss kennen, sind Rufbereitschaften auch außerhalb fester Bürozeiten nötig. Um den Aufwand zu bewerkstelligen, wird mehr Personal eingestellt. „Ressourcen werden verschoben oder Arbeitsplätze neu geschaffen“, sagt Kocks. Zusätzlich wird Personal gebraucht, weil die Pressearbeit längst nicht mehr das einzige Werkzeug der politischen Kommunikation in den Ministerien ist.
Die Pressestellen sind selbst zu Medienproduzenten geworden. Vor allem über soziale Netzwerke wie Twitter, YouTube und Facebook versuchen sie seit einigen Jahren, Bürger direkt anzusprechen. Knapp 350.000 Menschen folgen der Bundesregierung auf Facebook, noch etwas mehr Fans hat die Seite der Bundeswehr. Dem Auswärtigen Amt folgen immerhin fast 180.000 Online-Nutzer. „Diese drei Seiten zeigen, wie gute politische Kommunikation in sozialen Netzwerken aussehen kann“, lobt Jan Niklas Kocks. Die Redakteure in den Pressestellen arbeiten mit Texten, Bildern und Videos, die auf die Kanäle zugeschnitten sind. Andere Behörden wie das Finanzministerium sind in den sozialen Netzwerken weniger aktiv, stellen der Öffentlichkeit dafür aufwendig animierte Bilanzen auf ihren Webseiten zur Verfügung. Darin erklären sie zum Beispiel leicht verständlich, wie viel Geld in den Fuhrpark der Ministerien fließt.
Der Verleger Axel Cäsar Springer (li.) warnte schon in den 1960er-Jahren vor einem Umbruch in der Medienbranche. Damals versetzte das Fernsehen die Verlegerbranche in Sorge, heute ist es das Internet.
Bildquelle: dpa, Lothar Heidtmann
Nachholbedarf bei direkter Kommunikation
„Insgesamt sehen wir ein zunehmendes Maß an Professionalisierung in der digitalen Kommunikation auf Seiten der Regierungsstellen“, sagt Kocks. Ist es den Ministerien vor ein paar Jahren noch darum gegangen, statische Inhalte auf ihre Facebook-Seiten zu laden, haben sie mittlerweile verstanden, dass sie die sozialen Medien regelmäßig mit aktuellen Inhalten bespielen müssen, um in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Neben der Produktion von Inhalten für soziale Medien hat aber auch der Dialog mit Bürgern über soziale Netzwerke an Bedeutung gewonnen. Mehr als 300 Anfragen erreichen die Redakteure über die Facebook-Seite der Bundesregierung innerhalb von nur zwei Wochen. Nicht viel, findet Kim Murphy, die hier Nachholbedarf sieht. „Es gibt noch recht wenig direkte Kommunikation zwischen Regierungsstellen und Bürgern auf Facebook und Twitter“, sagt sie.
Das sei aber kein deutsches Phänomen: „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass man in Großbritannien noch zurückhaltender ist.“ Die Allgegenwart sozialer Medien hat dennoch zu einer Veränderung auch in der Politik selbst geführt, beobachtet Jan Niklas Kocks. „Politiker achten mehr auf ihre Darstellung in der Öffentlichkeit“, sagt er. Ob nach dem Amoklauf eines Deutsch-Iraners in München oder dem Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Erdogan: Viele Politiker geben Statements mittlerweile per Facebook oder Twitter. Besonders Kanzleramtsminister Peter Altmaier bedient die Neuen Medien professionell, haben Befragungen der Forscher der Freien Universität unter Journalisten ergeben. „Er trifft den richtigen Ton in seinen Posts, liefert aktuelle Kommentare und hat sich als feste Größe in den sozialen Netzwerken etabliert“, sagt Kocks.
Wenn Politiker über soziale Medien stürzen
Facebook und Twitter können Karrieren jedoch nicht nur befeuern, sondern auch beenden, wie das Beispiel von Manuela Carmena zeigt. Schon wenige Stunden nach ihrer Amtseinführung als Bürgermeisterin von Spaniens Hauptstadt Madrid im Juni 2015 war ihr die Freude am neuen Job vergangen. Ein antisemitischer Tweet, der sich wie ein Lauffeuer durch die Sozialen Netzwerke verbreitete, führte zur ersten Regierungskrise. Der Tweet stammte vom frisch ernannten Kulturbeauftragten Guillermo Zapata und war zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre alt. Das Internet vergisst nicht, und die Empörung der Nutzer steigerte sich im Minutentakt. Am nächsten Tag wurde der Tweet in allen Medien Spaniens publiziert. Schließlich ging der Hashtag #ZapataDimisión durchs Netz, der den Politiker zum Rücktritt aufforderte. Der Kulturstadtrat entschuldigte sich, doch seine Worte nützten nichts mehr. Nach nur wenigen Tagen legte Zapata sein Amt nieder.
„Ein schneller, unbedachter Tweet kann verheerend sein“, sagt Jan Niklas Kocks. Dennoch könne er nicht beobachten, dass die Angst unter den Politikern umgeht. „Abgeordnete wie Peter Tauber nutzen gezielt eine robuste Sprache, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.“ Auch Politiker der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland nutzen sprachliche Entgleisungen in sozialen Netzwerken, um Aufmerksamkeit zu erzeugen – so wie Vizechefin Beatrix von Storch, die über Facebook den verfassungsfeindlichen Schusswaffengebrauch zur Grenzsicherung befürwortete. Doch nicht in allen Bereichen der politischen Kommunikation in Ministerien führt die Digitalisierung zu einem Umdenken. Manche Dinge bleiben einfach, wie sie sind. Das gilt vor allem für die Vernetzung von Pressesprechern und Journalisten, wie Jan Niklas Kocks im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts herausgefunden hat. Bereits in seiner Promotion am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hat er sich in einer Netzwerkanalyse mit dem Thema beschäftigt.
Das Gespräch mit Journalisten bleibt wichtig
„Wir haben die Sprecher in Ministerien gefragt, mit welchen Journalisten sie zuletzt Kontakt hatten“, erklärt Kocks. „Meist waren es Reporter und Redakteure klassischer Medien.“ Im Untersuchungszeitraum zwischen 2012 und 2015 hat sich daran wenig geändert. „Auf das Gespräch mit einflussreichen Journalisten von Bild, SZ, FAZ und ARD möchte man trotz Facebook und Twitter eben nicht verzichten“, sagt Kocks. Der Einfluss von Bloggern oder YouTubern wird offenbar noch als eher gering eingestuft. Anders als in den USA spielen Blogger und YouTuber in den beruflichen Netzwerken von Pressesprechern deutscher Ministerien bisher kaum eine Rolle. „Auch hier sehen wir Parallelen zu Großbritannien“, sagt Kim Murphy. „Dort orientieren sich die Pressesprecher auch sehr stark an der klassischen Presse.“ Eine Ausnahme in Deutschland ist der YouTuber Tilo Jung, der mit einer Folge seines Formats „Jung & Naiv – Politik für Desinteressierte“ teils mehr als 250.000 User im Netz erreicht. Die Pressestellen deutscher Regierungsorganisationen fahren also zweigleisig: „Einerseits bauen sie ihre digitalen Aktivitäten aus, andererseits setzen sie auf bewährte Netzwerke mit einflussreichen Pressevertretern“, sagt Jan Niklas Kocks. Der Berufsstand des klassischen Journalisten wird in Deutschland daher auch in Zukunft nicht so schnell aussterben, zumindest nicht in der politischen Kommunikation. Ein Resümee, mit dem wohl auch der alte Axel Springer zufrieden gewesen wäre.
Das DFG-Forschungsprojekt „Networked Media Government Relations“
Das Forschungsprojekt „Networked Media Government Relations“ unter der Leitung von Professorin Juliane Raupp von der Freien Universität untersucht die Beziehungen zwischen Regierungsorganisationen und Nachrichtenmedien in Deutschland, Großbritannien und Italien. Es wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und ist eines von insgesamt acht Projekten der deutschschweizerischen Forschergruppe „Politische Kommunikation in der Online-Welt. Voraussetzungen und Folgen des strukturellen Wandels der politischen Kommunikation“. Weitere Informationen im Internet unter www.fgpk.de
Die Wissenschaftler
Kim Murphy forscht unter anderem zu politischer (Online-) Kommunikation, Public Relations, Inhaltsanalysen und staatlicher Öffentlichkeitsarbeit.
Bildquelle: Neukoelln Fotostudio Mattescheck.Bernskötter gbr
In seiner Forschung beschäftigt sich Niklas Kocks unter anderem mit politischer (Online-) Kommunikation, PR und Journalismus.
Bildquelle: Foto-Atelier Schild-Vogel
Kim Murphy, M. A. Kim Murphy ist seit Oktober 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft im DFG-Projekt „Networked Media Government Relations“. Sie forscht vor allem zu politischer (Online-) Kommunikation, Public Relations und Journalismus, zu Inhaltsanalysen sowie staatlicher Öffentlichkeitsarbeit. Zudem ist sie Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) und Sprecherin für naprok – Die Nachwuchsforscherinnen PR und Organisationskommunikation.
Kontakt
Freie Universität Berlin
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Arbeitsstelle Organisationskommunikation
E-Mail: kim.murphy@fu-berlin.de
Dr. Jan Niklas Kocks
Jan Niklas Kocks ist seit August 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin – ebenfalls im DFG-Projekt „Networked Media Government Relations“. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit politischer (Online-) Kommunikation, PR und Journalismus, Staatlicher Öffentlichkeitsarbeit, darüber hinaus aber auch mit Netzwerkanalysen und der Geschichte der Öffentlichkeitsarbeit. Kocks ist außerdem Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), der International Communication Association (ICA) sowie der International Political Science Association (IPSA).
Kontakt
Freie Universität Berlin
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Arbeitsstelle Organisationskommunikation
E-Mail: j.n.kocks@fu-berlin.de