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Tweeten, faven und entfolgen

Wie der Umgang mit sozialen Medien unsere Sprache verändert.

13.10.2016

Negative Einstellungen zum Sprachwandel waren auch vor dem Aufkommen sozialer Medien weit verbreitet. Wo die Sprachwissenschaft einen natürlichen und unaufhaltsamen Anpassungsprozess an neue Gegebenheiten sieht, sehen und sahen Kulturpessimisten schon immer Verfall, Verarmung und Verwahrlosung.

Twittern, chatten, instagramen: Verfällt die Sprache durch das Internet? Oder wird sie sogar dadurch bereichert?

Twittern, chatten, instagramen: Verfällt die Sprache durch das Internet? Oder wird sie sogar dadurch bereichert?
Bildquelle: iStockphoto.com/Todor Tsvetkov

Die sozialen Medien liefern neue Begründungen für die alte Angst, auch wenn die in sich nicht immer stimmig sind. So sieht Hans Zehetmair, immerhin Vorsitzender des Rats für deutsche Rechtschreibung, in SMS-typischen Abkürzungen wie HDL („Hab dich lieb“) Vorzeichen eines allgemeinen Sprachverlusts – „Fetzenliteratur“ nennt er die für soziale Medien typischen kurzen Texte, die seiner Meinung nach die Fähigkeit zum Formulieren vollständiger Sätze verkümmern lässt.

Für den Sprachkritiker Wolf Schneider dagegen ist der Zwang zur Kürze bei Twitter etwas Positives – er sieht allerdings das Übel „unendlicher Geschwätzigkeit“ in einigen Blogs. Und Holger Klatte vom sprachpuristischen Verein Deutsche Sprache hält sich mit Details wie Kürze oder Länge gar nicht erst auf – er sieht das Internet ganz allgemein als Ursache für eine „Entwertung der deutschen Standardsprache“.

Jedes Medium stellt eigene Anforderungen an unseren Sprachgebrauch

Nun bringt jedes Medium – von der Tontafel über das Telefon bis zum Internet – eine ganz eigene Kombination von Möglichkeiten und Beschränkungen mit sich, an die sich unser Sprachgebrauch anpassen muss. Basiert das Medium auf mündlicher Sprache (wie Radio oder Telefon) und zeigen die Gesprächspartnerinnen und –partner oder Darsteller dabei vielleicht visuell (wie das Fernsehen oder die Bildtelefonie)? Oder basiert es auf der Schriftform (wie Bücher, Briefe, E-Mails oder eben auch die sozialen Netze)? Findet die Kommunikation in Echtzeit statt (wie beim Telefon oder dem Chat) oder zeitversetzt (wie beim Anrufbeantworter, dem Brief oder der E-Mail)? Ist die Kommunikation monologisch (wie Radio, Fernsehen und Zeitung), dialogisch (wie Telefon und Chat) oder dazwischen (wie Blogs und soziale Netze)? Wie viele Menschen erreiche ich über welche Entfernungen? Welche Einschränkungen gibt es (etwa bei der Länge), und welche Möglichkeiten bieten sich (etwa die Verwendung von Piktogrammen oder Fotos)?

So entsteht in jedem Medium eine eigene Art des Sprachgebrauchs, die in der Sprachwissenschaft sogenannten Register. Je fremder uns ein Medium ist, desto fremder mag dieser Sprachgebrauch anmuten. Aber, und das ist entscheidend, diese Register bleiben auf das jeweilige Medium beschränkt. Wenn zum Beispiel jedes Wort Geld kostet, wie es beim Telegramm der Fall war, überrascht es nicht, dass Wörter und grammatische Strukturen weggelassen werden, die zum Verständnis nicht unbedingt notwendig sind – das Ergebnis ist der Telegrammstil, der stark von der Standardsprache abweicht: TERMIN UNAUFSCHIEBBAR +++ ANKOMME MITTWOCH 1120 HBF +++ ERBITTE ANRUF.

Neue Medien bringen eigene Register hervor

Dieses Register ist aber zusammen mit dem Telegramm verschwunden, ohne Spuren im Sprachgebrauch zu hinterlassen – es findet sich nicht einmal in neueren Medien, die aus technischen Gründen zur Kürze anhalten, wie etwa in der SMS oder dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Die neuen Medien bringen eigene Register hervor. Obwohl sie überwiegend schriftsprachlich sind, erinnern sie in Tonfall, Wortschatz und Grammatik eher an die gesprochene Sprache – in der Sprachwissenschaft heißt das „konzeptuelle Mündlichkeit“. Sie sind auch durch nicht-sprachliche Elemente angereichert – etwa Emoticons (aus Satzzeichen zusammengesetzte Smileys) oder Emoji (Piktogramme, die direkt in den Text eingefügt werden können).

Diese Elemente bereichern den Text um Funktionen, die in der mündlichen Kommunikation durch Tonfall, Gesten und Mimik erfüllt werden und die in schriftsprachlichen Registern sonst vollständig wegfallen. Diese Eigenschaften des Soziale-Medien- Registers führen aber nicht dazu, dass die Schriftsprache allgemein mündlicher wird – so können etwa Schülerinnen und Schüler heute für das Register „Schulaufsatz“ ebenso gut (oder schlecht) auf einen traditionellen schriftsprachlichen Duktus umschalten wie eh und je.

Jedes Medium entwickelte eine eigene Art des Sprachgebrauchs: Beim Verfassen eines Telegramms hielt man sich deshalb kurz, weil jedes Wort Geld kostete.

Jedes Medium entwickelte eine eigene Art des Sprachgebrauchs: Beim Verfassen eines Telegramms hielt man sich deshalb kurz, weil jedes Wort Geld kostete.
Bildquelle: iStockphoto.com/Linda Steward

Einen nennenswerten Einfluss auf den allgemeinen Sprachgebrauch haben die sozialen Medien nur in einem einzigen Bereich: Wie jede neue Kulturtechnik bescheren sie uns vielfältige neue Konzepte und Verhaltensweisen, die neue Wörter (und neue Bedeutungen alter Wörter) hervorbringen. Jemandem folgen hat zum Beispiel die neue Bedeutung „sich jemandes Beiträge auf einem sozialen Netzwerk regelmäßig anzeigen lassen“ erhalten, alternativ gibt es auch das semantisch ähnliche Lehnverb „jemanden adden“ (von englisch: to add). Bestellt man die Beiträge wieder ab, gibt es dafür die Neuschöpfung entfolgen, oder – für Netzwerke wie Facebook, wo Kontakte normalerweise persönlicherer Natur sind und beidseitig geknüpft werden – entfreunden.

Das Veröffentlichen von Beiträgen wird allgemein mit dem Verb „posten“ bezeichnet, kann aber für einzelne Netzwerke auch speziellere Bezeichnungen haben ((whats)appen für den Messenger WhatsApp, snappen für das Netzwerk Snapchat, parshippen für das Kennenlern-Portal „Parship.de“).

Unser Wortschatz passt sich den Veränderungen in der digitalen Welt an

Manchmal gibt es sogar mehrere Wörter, die feine Bedeutungsunterscheidungen treffen. So bezeichnet twittern die allgemeine Tätigkeit des Schreibens von Beiträgen auf Twitter, während tweeten sich auf eine konkrete Nachricht bezieht: Ich twittere gerne, aber Ich habe lange kein Foto meiner Katze mehr getweetet. Viele soziale Netze erlauben es, durch Klicken eines Sterns, Herzsymbols oder nach oben gerichteten Daumens die wohlwollende Kenntnisnahme eines Postings auszudrücken, was allgemein liken, speziell aber auch besternen, herzen oder faven genannt wird. Verhindere ich es technisch, dass jemand meine Postings lesen kann, heißt das blocken.

Diese (angesichts der Vielzahl neuer Begriffe winzige) Auswahl von Wörtern zeigt, dass die neuen Medien zunächst einmal das Leben derjenigen, die sie nutzen, um neue Verhaltensweisen bereichert. Der Wortschatz der Sprache passt sich diesen Veränderungen an, wie er es bei jeder großen und kleinen Neuerung in unserer Kulturgeschichte von der Christianisierung bis zur Digitalisierung getan hat. Dabei wird unser Wortschatz über die Jahrhunderte immer größer und differenzierter, und unsere Sprache immer ausdrucksstärker.

Von Verfall oder Entwertung also keine Spur.

Der Wissenschaftler

Wissenschaftler, Blogger, Erfinder des "Anglizismus des Jahres": Anatol Stefanowitsch.

Wissenschaftler, Blogger, Erfinder des "Anglizismus des Jahres": Anatol Stefanowitsch.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Univ.-Prof. Dr. phil. (Rice) Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch lehrt an der Freien Universität als Professor die Struktur des heutigen Englisch. Neben seiner Lehrtätigkeit betreibt er seit 2007 als Wissenschaftsblogger das Portal „Sprachlog“, in dem sprachwissenschaftliche Themen populär aufbereitet werden. 2010 rief er außerdem die Initiative „Anglizismus des Jahres“ ins Leben. Die Initiative würdigt den positiven Beitrag des Englischen zur Entwicklung der deutschen Sprache, indem sie ein englisches Lehnwort wählt, das im laufenden Jahr ins Bewusstsein und den Sprachgebrauch einer breiten Öffentlichkeit gelangt ist und eine interessante Lücke im deutschen Wortschatz füllt.

Kontakt

Freie Universität Berlin
Institut für Englische Philologie und Interdisziplinäres Zentrum Europäische Sprachen
Arbeitsgebiet Struktur des heutigen Englisch
E-Mail: anatol.stefanowitsch@fu-berlin.de 
E-Mail: a.stefanowitsch@sprachlog.de 
www.anglizismusdesjahres.de 
www.sprachlog.de