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Eine deutsche Geschichte

Die Gründungshistorie der Freien Universität ist auch ein Spiegel der deutschen Zeitgeschichte. Vier Menschen, die die Freie Universität auf besondere Weise prägten.

02.12.2018

Der Historiker Friedrich Meinecke war Gründungspräsident der Freien Universität.

Der Historiker Friedrich Meinecke war Gründungspräsident der Freien Universität.
Bildquelle: Deutsche Fotothek

Friedrich Meinecke – ein konservativer Weltbürger

Als die Freie Universität Berlin im Jahr 1948 gegründet wurde, brauchte sie einen Rektor für die Leitung der Hochschule. Die Wahl einer geeigneten Persönlichkeit erwies sich für die Alliierten als nicht ganz einfach. Man war auf der Suche nach einer Person mit Strahlkraft, mit wissenschaftlichem Renommee und moralischer Integrität, einer Person, die nach dem Ende des Nationalsozialismus für die Werte einer freien, demokratischen Gesellschaft stand.

Eine solche Person fand man schließlich in dem Historiker Friedrich Meinecke. Mit 86 Jahren wurde der bereits im Jahr 1932 emeritierte Wissenschaftler zum Gründungspräsidenten der Freien Universität. Meinecke, der sich 1896 habilitiert und im Kaiserreich sowie in der Weimarer Republik Lehrstühle in Straßburg, Freiburg und Berlin innehatte, war einer der renommiertesten Geschichtswissenschaftler seiner Zeit.

Gemeinsam mit dem Philosophen und Theologen Wilhelm Dilthey sowie dem Philosophen und Politiker Ernst Troeltsch war er einer der Begründer der politischen Ideengeschichte. Insbesondere setzte sich Meinecke mit der Entwicklung der deutschen politischen Mentalität im 18. und 19. Jahrhundert auseinander.

Der konservativ-liberale Professor brachte sich aber auch politisch ein. Zum idealen Gründungspräsidenten wurde Meinecke für die Alliierten nicht zuletzt deshalb, weil er seit den 1930er-Jahren als Kritiker Adolf Hitlers in Erscheinung getreten war. Es hatte internationales Aufsehen erregt, als ihm die Nationalsozialisten 1935 aus diesem Grund nach fast 40 Jahren die Herausgeberschaft der „Historischen Zeitschrift“ entzogen, der wichtigsten geschichtswissenschaftlichen Publikation Deutschlands.

Nach Kriegsende unterzog Meinecke Deutschlands Weg in den Nationalsozialismus einer eingehenden Analyse und legte 1946 sein bis heute wirkmächtiges Buch „Die deutsche Katastrophe“ vor. Anders als viele Zeitgenossen sah er im deutschen Faschismus nicht lediglich eine Episode, die auf das Scheitern der Weimarer Republik folgte. Auf Grundlage seiner Forschungen über die deutsche Ideengeschichte zeichnete Meinecke den Weg Deutschlands in den Faschismus bis ins 20. Jahrhundert nach. Das Buch wurde auch ein Werk über das Versagen des deutschen Bürgertums.

Meinecke ließ keinen Zweifel an seiner Überzeugung, dass die Deutschen die Verantwortung für die Gräueltaten des Nationalsozialismus zu tragen hatten. Er zeigte sich jedoch für jene offen, die aus Angst oder Verblendung Mitläufer gewesen und nun bereit waren, sich in ein demokratisches Deutschland zu integrieren. Friedrich Meinecke starb im Februar 1954 in Berlin. Bereits 1951 wurde das geschichtswissenschaftliche Institut der Freien Universität nach ihm benannt.

Ernst Fraenkel – der engagierte Pluralist

Prominenter wie scharfzüngiger Kritiker des Nationalsozialismus: der Jurist und Politologe Ernst Fraenkel.

Prominenter wie scharfzüngiger Kritiker des Nationalsozialismus: der Jurist und Politologe Ernst Fraenkel.
Bildquelle: Pollaczek/Universitätsarchiv der Freien Universität 

Ein ebenso prominenter wie scharfzüngiger Kritiker des Nationalsozialismus war der Jurist und Politologe Ernst Fraenkel. Der 1898 geborene Fraenkel, Sozialist aus einer wohlhabenden jüdischen Familie, lehrte als Rückkehrer aus dem US-amerikanischen Exil seit 1951 in Berlin. 1953 auf einen neu eingerichteten Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Freien Universität berufen, war er langjährig mit dem Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft verbunden, das 1959 aus der 1920 gegründeten Deutschen Hochschule für Politik hervorgegangen war.

1963 wurde er Direktor des Instituts für Nordamerikastudien, das kurz nach der Gründung und dem Kennedy-Attentat in John-F.-Kennedy-Institut umbenannt wurde. Seine Schriften prägen die Politikwissenschaft noch heute. 1941 hatte er mit „The Dual State“ (1974 unter dem Titel „Der Doppelstaat“ auf Deutsch erschienen) eine eindringliche Analyse des politisch-juristischen Aufbaus der nationalsozialistischen Diktatur vorgelegt. Bis heute gilt das Buch als Standardwerk. Begonnen hatte Fraenkel seine Analyse in Deutschland – fertigstellen musste er sie in den USA, wohin er 1938 geflohen war.

In den 1950-er Jahren zurück in Berlin, entwickelte er die theoretische Begründung der Westbindung der Bundesrepublik und West-Berlins. Bekannt ist Ernst Fraenkel heute vor allem für seinen Entwurf des Pluralismus. In Abgrenzung zu totalitären Systemen, in denen ein „Gemeinwohl a priori“ als für alle Teile der Gesellschaft allgemeinverbindlich festgelegt werde, zeichnet sich die Demokratie für Fraenkel durch ein „Gemeinwohl a posteriori“ aus. Das Gemeinwohl sei also nicht im Vorhinein bekannt und lasse sich nicht von oben herab definieren. Es ergebe sich im andauernden Widerstreit verschiedener Interessen im Rahmen verbindlicher Regeln.

Obwohl seine Theorie von Anfang an von links wie rechts umstritten war, genoss Fraenkel unter den Studentinnen und Studenten als Dozent Kultstatus, seine Veranstaltungen waren stets überfüllt. Doch in den sechziger Jahren veränderte sich das politische Klima: Die Studentinnen und Studenten stellten die universitären Autoritäten infrage, äußerten Zweifel an der unbedingten Bindung an die USA.

Insbesondere das Otto-Suhr-Institut wurde um 1968 und später zum Schauplatz heftiger politischer Auseinandersetzungen zwischen liberalen Reformern und radikaleren Kräften, die in Hochschulreformen nur einen ersten Schritt zur grundlegenden sozialistischen Umgestaltung von Universität und Gesellschaft sahen. Fraenkel warf den Studentinnen und Studenten Demokratiefeindlichkeit vor, und es kam zu Auseinandersetzungen mit den revoltierenden Studenten. Die zunehmend aggressive Atmosphäre machte Fraenkel zu schaffen, zudem wurde er krank. Er starb 1975 – sein Tod war öffentlich wenig beachtet. Seine Theorie des Pluralismus aber gilt heute als Klassiker der Demokratietheorie.

Marianne Awerbuch – eine Stimme des jüdischen Berlins

Marianne Awerbuch, Professorin für Geschichte und Judaistik und Ordinarius für Judaistik und Hermeneutik an der Freien Universität.

Marianne Awerbuch, Professorin für Geschichte und Judaistik und Ordinarius für Judaistik und Hermeneutik an der Freien Universität.
Bildquelle: Inge Kundel-Saro

Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wird mit Personen wie Friedrich Meinecke und Ernst Fraenkel verbunden, aber auch mit Menschen wie Marianne Awerbuch. Die Historikerin und Judaistin war mit dem Institut für Judaistik an der Freien Universität – dessen Anfänge in die 1950-er Jahre zurückgehen – verbunden und war eine streitbare Mitgestalterin des jüdischen Lebens in West-Berlin.

1917 in eine jüdische Berliner Kaufmannsfamilie geboren, war Marianne Awerbuch der nationalsozialistischen Verfolgung nur knapp entkommen. Im Jahr 1939 gelang ihr mit ihrem späteren Mann die Flucht nach Palästina. Ihre Eltern, die in Deutschland blieben, wurden 1943 in Auschwitz ermordet. Bis zur Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 lebte sie mit ihrem Mann in einem Kibbuz. Später studierte sie in Tel Aviv Geschichte und baute in der Stadt Ramat Gan eine Sonderschule für Lernbehinderte auf.

1966 kehrte Awerbuch in ihre Heimatstadt Berlin zurück, wo sie an der Freien Universität studierte, promovierte und sich habilitierte. Schließlich wurde sie dort 1975 Professorin für Geschichte und Judaistik und 1987 – nach dem Tod von Jacob Taubes, Ordinarius für Judaistik und Hermeneutik an der Freien Universität – übergangsweise Direktorin des Instituts für Judaistik. Mit ihrer Arbeit knüpfte Awerbuch an die Tradition der „Wissenschaft des Judentums“ an. Sie vertrat ein lebendiges, differenziertes und aufgeklärtes Judentum. 1992 wirkte sie als Mentorin der Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“ im Berliner Martin-Gropius-Bau mit, in der das Judentum in seiner Vielfalt und Wandelbarkeit zur Geltung kam – entgegen jener Stereotypen, die den Blick auf „das Judentum“ oftmals noch prägen.

Zeit ihres Lebens setzte sich Awerbuch für die christlich- jüdische Aussöhnung in Deutschland ein. Sie war eine der engagiertesten Stimmen des jüdischen Berlins. Dabei war sie stets streitbar. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wurde ebenso Gegenstand ihrer Kritik wie das Jüdische Museum Berlin. Marianne Awerbuch verstarb im Juni 2004 im Alter von 86 Jahren.

Peter Szondi – Wegbereiter einer globalen Literaturwissenschaft

1965 wurde Peter Szondi Direktor des dort neugegründeten Seminars für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft.

1965 wurde Peter Szondi Direktor des dort neugegründeten Seminars für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft.
Bildquelle: Universitätsarchiv der Freien Universität

Auf dem Gebiet der Philologie wurde an der Freien Universität ein neuer Weg beschritten. 1965 wurde Peter Szondi Direktor des dort neugegründeten Seminars für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft – das erste komparatistische Institut der Bundesrepublik und West-Berlins.

Während die Untersuchung von einzelnen Nationalliteraturen, etwa in der Romanistik oder der Germanistik, gang und gäbe war und ist, stellte Szondi eine grenzüberschreitende Literaturtheorie in den Vordergrund seines Schaffens. Angesichts der nationalistischen Vergangenheit großer Teile der Germanistik bedeutete das eine Öffnung der Literaturwissenschaft für die Welt.

Peter Szondi war aus dem nationalsozialistischen Deutschland nur knapp mit dem Leben entkommen. 1929 in eine ungarisch-jüdische Familie geboren, war er als Jugendlicher mit seiner Familie im Konzentrationslager Bergen-Belsen interniert. Im Dezember 1944 konnte er jedoch im Rahmen des sogenannten Kasztner-Abkommens von einer jüdischen Organisation freigekauft werden und in die Schweiz ausreisen. Dort besuchte Szondi eine Kantonsschule und studierte in Zürich und Paris Germanistik, Romanistik und Philosophie. Nach seiner Promotion in Zürich ging er nach Deutschland, wo er sich 1961 an der Freien Universität habilitierte.

Der Lehrbetrieb am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft begann 1965 mit 40 Studentinnen und Studenten. Man widmete sich dem Studium der Literatur auf eine gänzlich neue postnationale Weise. Der Einladung Szondis nach Berlin folgten internationale Größen der Geisteswissenschaft. Aus Israel kam der Religionswissenschaftler Gershom Scholem, aus Frankreich der Philosoph Jacques Derrida; aus den USA reiste Samuel Weber an, der als Szondis Assistent Seminare über den Psychoanalytiker Jacques Lacan anbot. Die im amerikanischen Yale lehrenden Literaturtheoretiker René Wellek, Geoffrey Hartman und Paul de Man hielten Vorträge und Seminare; für eine Dichterlesung kam Paul Celan.

Sechs Jahre lang leitete Szondi das komparatistische Institut. Im Oktober 1971 nahm er sich, nur 42-jährig, im Berliner Halensee das Leben. Zum Gedenken wurde das Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft 2005 nach ihm benannt. Es ist ein weltweit angesehener Standort dieser Disziplin.