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Hochleistungssport?

Die Energieleistung der Milchkuh

31.05.2007

Bei der Kuh setzt die Milchproduktion mit der Geburt des Kalbes wieder ein

Bei der Kuh setzt die Milchproduktion mit der Geburt des Kalbes wieder ein

Die Kuhmilch, „das weiße Gold“, wird bereits seit mehreren Tausend Jahren als hochwertiges Nahrungsmittel vom Menschen genutzt. Als Wiederkäuer produziert die Milchkuh aus Ausgangsprodukten wie Heu und Gras, die für den Menschen wenig nutzbar sind, ein vollwertiges und gesundes Nahrungsmittel. Kaum ein Verbraucher ist sich beim Genuss eines Glases Milch aber bewusst, welch ernorme Energieleistung eine Milchkuh täglich bei ihrem Stoffwechsel vollbringt: Leistungen, die durchaus mit denen von Hochleistungssportlern zu vergleichen ist. Die Leber spielt hier eine zentrale Rolle.


Bei der Kuh setzt die Milchproduktion mit der Geburt des Kalbes wieder ein.
Foto: pixelio

Mit der Geburt des Kalbes setzt bei der Milchkuh nach einer etwa zweimonatigen Ruhephase der sogenannten Trockenstehperiode, in der das Tier nicht gemolken wird, die Milchproduktion wieder ein. Im Laufe der Domestikation des Rindes wurden milchtypische und fleischtypische Rinderrassen gezüchtet. Die bekannteste Vertreterin der Milchrassen ist die Holstein-Friesian-Kuh mit einer Veranlagung zu hoher Milchleistung. Die moderne Hochleistungsmilchkuh gibt heutzutage ein Vielfaches der Milchmenge, die für das Wachstum und die Entwicklung eines Kalbes benötigt wird. Im vergangenen Jahr produzierten beispielsweise Brandenburgs Milchkühe 1,33 Millionen Tonnen Milch – eine durchschnittliche Milchleistung je Kuh und Jahr von 7.952 Litern. Spitzenkühe geben heute jährlich über 11.000 Liter Milch, wobei von solchen Tieren in den Wochen der Hauptmilchleistung pro Tag mehr als 50 Liter Milch gewonnen werden.

Der Mikrokosmos in den Vormägen der Kuh

Die enorme Stoffwechselleistung eines solchen Tieres spiegelt sich in den Inhaltsstoffen wieder, die in diesen 50 Litern Milch enthalten sind: etwa 1,75 Kilogramm Eiweiß, 1,9 Kilogramm Fett, 2,4 Kilogramm Milchzucker und 350 Gramm an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen. Diese enorme Syntheseleistung wird durch einen Blutfluss von 33.500 Litern Blut gespeist, der bei einer solchen Kuh täglich durch das Eutergewebe strömt. Beim Energiestoffwechsel unterscheidet sich die mit drei Vormägen und einem säureproduzierenden Magen ausgestattete Kuh grundsätzlich von Spezies mit einem einhöhligen Magen.

Wiederkäuer nehmen den Energieträger Traubenzucker nur in verschwindend kleinen Mengen über den Darm auf. Die großen Mengen Traubenzucker, die eine Kuh für die Bildung von Milchzucker im Euter benötigt, müssen durch den in der Leber stattfindenden Prozess der Glukoneogenese, also die Umwandlung von der aufgenommenen Nahrung in Traubenzucker, hergestellt werden. Obwohl die Mikroorganismen, die Wiederkäuer in ihren Vormägen beherbergen, für den Menschen unverdauliche Zellwandbestandteile der Pflanzen aufschließen und in Traubenzucker umwandeln können, wird letzterer in den Vormägen abgebaut. Wichtigste Endprodukte der im Pansen, dem ersten und größten der drei Vormägen, stattfindenden Gärungsprozesse sind neben den Gasen Methan und Kohlendioxid die flüchtigen Fettsäuren Essigsäure, Buttersäure und Propionsäure. Von diesen Fettsäuren ist nur Propionsäure für die Gewinnung von Traubenzucker in der Leber geeignet. Der Hauptanteil des Energiebedarfes des Wiederkäuers wird über die Verbrennung von Essigsäure und Buttersäure gedeckt. Deshalb beruht der Energiehaushalt beim Wiederkäuer in höherem Maße auf dem Verbrauch flüchtiger Fettsäuren als auf der Verbrennung von Traubenzucker. Man könnte annehmen, dass die Milchkuh gerade in der Periode mit der höchsten Tagesmilchmenge besonders empfänglich für Krankheiten ist. Dem ist aber nicht so.

Unausgeglichene Energiebilanz

Die kritischste Phase im Leben einer Milchkuh ist der Zeitraum rund um die Geburt des Kalbes: Dann steigt die Milchmenge von einem Tag auf den anderen von 0 auf etwa 20 Liter an. Der Bedarf des Tieres an Energieträgern und anderen Nährstoffen wird dabei so groß, dass er über die Futteraufnahme, die am Tag der Geburt zudem noch auf ein Minimum reduziert wird, nicht gedeckt werden kann. Auch die Mikroorganismen in den Vormägen müssen sich auf die neue Situation mit dem erhöhten Angebot an Nährstoffen einstellen. Eine zu rapide Futterumstellung kann das Vormagenmilieu mit seinem aus Protozoen und Bakterien bestehenden Mikrokosmos erheblich aus dem Gleichgewicht bringen. Der Prozess der Anpassung der Vormägen nimmt etwa zwei Wochen in Anspruch.
Aus diesem Grund macht jede Milchkuh nach der Geburt des Kalbes eine Periode der negativen Energiebilanz mit (Abbildung oben), in der sie den bestehenden Bedarf aus eigenen Körperreserven (Körperfett, Muskeleiweiß) decken muss. Vor allem diejenigen Kühe, die in der Trockenstehperiode durch übermäßige Fütterung übergewichtig geworden sind, haben Anpassungsschwierigkeiten und sind für Krankheiten anfälliger.


Unmittelbar nach der Geburt hinkt die Futteraufnahme der Kuh der Milchproduktion hinterher. Es entsteht eine negative Energiebilanz und die Kuh verliert an Körpergewicht.
Abb.: Müller/Weber

Warum die Übergewichtigen in den Tagen um die Geburt ihre Futteraufnahme im Gegensatz zu normalgewichtigen Kühen beinahe gänzlich einstellen, ist noch ungeklärt. Es führt aber dazu, dass das Ausmaß der negativen Energiebilanz wesentlich größer ist als bei den normal gewichtigen Artgenossen (Abbildung unten).
Induziert durch den fallenden Blutzuckerspiegel beginnen die Tiere, körpereigene Fettreserven zu mobilisieren.
Die Kühe verlieren rapide an Gewicht. Freigesetzte Fette aus dem Unterhautgewebe können nicht unmittelbar an die Zielorgane transportiert werden, in denen sie als Energieträger benötigt werden. Sie müssen zunächst die Leber passieren. Dort werden sie in „Transport-Eiweiße“ verpackt. Hier scheint bei der Milchkuh ein sogenannter „Bottle Neck“ zu bestehen, denn der Verpackung der Fette in Transport-Eiweiße sind Grenzen gesetzt.
Die Folge: Das überschüssige Fett wird in der Leber gespeichert, und es entwickelt sich eine Fettleber, die je nach Ausmaß der Verfettung zu schweren Leberschäden mit Leberkoma führen kann.


Fette Kühe können sich ungenügend Veränderungen nach dem Kalben anpassen. In der Ruhephase während der Trächtigkeit ist ihre Energiebilanz weit im positiven Bereich (blaue Säule), während sie nach der Geburt des Kalbes mit Einsetzen der Phase der Milchbildung (Laktation) ein größeres Energiedefizit aufweisen als ihre „schlanken“ Artgenossen (rot schraffierte Säule).
Abb.: Müller/Weber

Tiergerechtheit hilft Krankheiten vermeiden

Schwere Fälle dieser Stoffwechselerkrankung können durch oral verabreichte Dauertropf-Infusionen und die Verabreichung von „Energieträgern“ erfolgreich behandelt werden – und durch besonders schmackhafte Nahrungsmittel. In Fällen, in denen der Leberfettgehalt die 33-Prozent-Marke überschreitet, ist die Leber erfahrungsgemäß schon so stark geschädigt, dass eine Therapie kaum noch Aussicht auf Erfolg hat. Die Frage scheint also berechtigt, ob sich die hohen Milchleistungen bei Kühen nicht negativ auf den Gesundheitszustand auswirken. Zahlreiche Untersuchungen haben aber gezeigt, dass gerade die Kühe mit Spitzenleistungen weniger krankheitsanfällig sind als Kühe mit geringerer Milchleistung. Damit das liebe Milch-Vieh gesund bleibt, müssen optimale Umgebungsbedingungen geschaffen werden: Mit einer angemessenen Fütterung während der Ruhephase, der Übergangsperiode und der Milchabgabe.