American Cosmopolitanism
Weltbürgerdiskurse in der amerikanischen Kultur vom 18. bis zum 21. Jahrhundert
04.12.2007
Die Vereinigten Staaten von Amerika – eine kosmopolitische Nation? Seit ihren Anfängen prägte der potenzielle Widerspruch einer Nation von Weltbürgern die Auseinandersetzung der US-Amerikaner mit ihrer Identität. Die amerikanische Revolution war Teil einer Epoche, in der einerseits der moderne Begriff der „Nation“ entstand, anderseits jedoch hellenistische Konzeptionen des „Kosmopoliten“ wiederbelebt und modifiziert wurden. Das aufklärerische Spannungsverhältnis zwischen dem Partikularen und dem Universalen, zwischen Bürger- und Menschenrechten, warf Fragen zum Verständnis des amerikanischen (Welt-)Bürgers auf, die teilweise bis heute bedeutsam sind.
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Allerdings ging das kosmopolitische Denken der Zeitgenossen selten so weit, wie es heutige Befürworter eines moralischen Weltbürgertums fordern. Mit einigen Ausnahmen – wie Crèvecoeurs Definition Amerikas als „asylum“ für westeuropäische Einwanderer – betrafen die dominanten Ausprägungen des aufklärerischen Kosmopolitismus in erster Linie Angloamerikaner.
In diesem Kontext ließ sich die amerikanische Unabhängigkeit selbst, die universalistisch begründete Trennung der familiären Bindungen an das englische Mutterland, als kosmopolitische Handlung formulieren. Ein weiteres zentrales Anliegen der amerikanischen Gründergeneration, das für sie weltbürgerliche Dimensionen hatte (und heute häufig mit dem Ringen um eine europäische Verfassung verglichen wird), zeigte sich in den Kontroversen um die Bundesverfassung von 1787: die Vermittlung einzelstaatlicher Interessen innerhalb einer amerikanischen Union, welche die quasi nationalen „inferior concerns“ (Thomas Paine, einer der Gründerväter der USA) des Lokalen und Partikularen überwinden sollte.
Kosmopolitisches Nationalverständnis
Auf Grundlage dieses kosmopolitischen Nationalverständnisses entwickelten sich in den nächsten beiden Jahrhunderten sehr unterschiedliche amerikanische Weltbürgerdiskurse. Die französische Revolution und ihre Folgen (wie die Unabhängigkeit von Haiti) verwiesen auf das noch heute aktuelle Problem der Exportfähigkeit republikanischer Prinzipien. Thomas Jefferson, der 1789 an der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte beteiligt war, formulierte im frühen 19. Jahrhundert seine Lösung eines „republican millennium“: das friedliche Nebeneinander unabhängiger Republiken als Ziel einer nach amerikanischem Muster ablaufenden revolutionären Weltgeschichte. Für die exemplarische Funktion Amerikas in diesem universalhistorischen Entwurf war das Bemühen um eine weltbürgerliche Ästhetik von großer Bedeutung – ob in den amerikanischen Gründungsdokumenten, der neuen revolutionären Geschichtsschreibung oder einer klassizistischen Architektur. Neben dem politisch-historischen Kontext wurden kosmopolitische Vorstellungen dadurch zunehmend auch auf literarischem und ästhetischem Gebiet relevant.
Figur des bindungslosen Weltbürgers
Die in der Encyclopédie ironisch definierte Figur des bindungslosen Weltbürgers fand Eingang in die amerikanische Literatur: von Washington Irvings Geoffrey Crayon zu Henry James’ Ralph Touchett oder Ernest Hemingways Jake Barnes. Kosmopolitismus als ambivalent erfahrener Lebensstil einer „republic of letters“ prägte besonders das Genre der amerikanischen Reiseliteratur, in dem namhafte amerikanische Schriftsteller des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – neben den oben genannten beispielsweise Ralph Emerson, Margaret Fuller, Nathaniel Hawthorne, Herman Melville, Mark Twain, William Dean Howells, William Wharton oder Henry Adams – autobiographische Konstruktionen mit der Erprobung fremder kultureller Wahrnehmungsformen verbanden. Auch nach dem ersten Weltkrieg suchte eine Avantgarde amerikanischer „expatriates“ Abstand von der als provinziell empfundenen amerikanischen Kultur.
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Neben der modernistischen Öffnung des Romans zeigte sich deren kosmopolitische Ästhetik in Neuerungen auf dem Gebiet der Lyrik: ob in den durch William James’ pragmatische Philosophie beeinflussten Sprachexperimenten einer Gertrude Stein oder in der Gelehrsamkeit T. S. Eliots und Ezra Pounds, deren Dichtungen unterschiedlichste Sprachen, Kulturen und Epochen zusammenführten.
Tradition des amerikanischen Kosmopolitismus
Heutigen anti-elitären Weltbürgerdiskursen kommt vielleicht eine Tradition des amerikanischen Kosmopolitismus am nächsten, deren Wurzeln weit zurückreichen: der anfänglich erzwungene „enforced cosmopolitanism“ der Afro-Amerikaner. Über zwei Jahrhunderte begegneten Autoren wie Olaudah Equiano, Frederick Douglass, William Wells Brown, W. E. B. Du Bois, Alain Locke, Ralph Ellison oder Toni Morrison den Folgen der kulturellen Entwurzelung durch die Sklaverei mit komplexen Texten, die oft widersprüchliche Weltbürgerdiskurse in Zusammenhang brachten: liberale oder radikale Gleichheitsforderungen, amerikanische oder panafrikanische Zugehörigkeiten, Betonungen kultureller Angleichung oder Differenz. In der Heterogenität verschiedener „Universalismen“ nahmen sie so zum Teil aktuelle Versuche vorweg, kosmopolitische Vorstellungen zu rehabilitieren und ihr skeptisch betrachtetes universalistisches Gepäck in einen postkolonialen Zusammenhang einzubetten – wie es etwa Bruce Robbins formuliert hat: „Like nations, cosmopolitanisms are now plural and particular.“ Das Forschungsprojekt in der Abteilung Kultur des John- F.-Kennedy-Instituts der Freien Universität will zur Debatte um die Beschaffenheit dieser Pluralität im amerikanischen Kontext einen Beitrag leisten.