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Im Netz der Neuronen

Wie Emotionen, Gedanken und Bewegungen miteinander verknüpft sind.

12.06.2008

Wie Emotionen, Gedanken und Bewegungen miteinander verknüpft sind.

Wie Emotionen, Gedanken und Bewegungen miteinander verknüpft sind.
Bildquelle: iStockphoto, Igor Permamedov

Im limbischen System, hier rot eingefärbt, werden Informationen nach emotionalen Maßstäben wie „traurig“ oder „lustig“ bewertet.

Im limbischen System, hier rot eingefärbt, werden Informationen nach emotionalen Maßstäben wie „traurig“ oder „lustig“ bewertet.
Bildquelle: dpa

Motorische, kognitive und emotionale Verhaltensbestandteile werden in tiefen Strukturen des Gehirns, den Basalganglien und thalamischen Kernen, miteinander verknüpft.

Motorische, kognitive und emotionale Verhaltensbestandteile werden in tiefen Strukturen des Gehirns, den Basalganglien und thalamischen Kernen, miteinander verknüpft.
Bildquelle: Klostermann

Nach dem klassischen Modell sollte das Verhalten auf getrennten Verarbeitungspfaden entstehen.

Nach dem klassischen Modell sollte das Verhalten auf getrennten Verarbeitungspfaden entstehen.
Bildquelle: Klostermann

Im aktualisierten Modell sind die Verarbeitungskanäle zunehmend verschaltet, Prozesse überlappen sich – am Ende entsteht ein integriertes Verhaltensprogramm.

Im aktualisierten Modell sind die Verarbeitungskanäle zunehmend verschaltet, Prozesse überlappen sich – am Ende entsteht ein integriertes Verhaltensprogramm.
Bildquelle: Klostermann

Verhalten ist in seiner Komplexität schwer zu beschreiben und noch schwerer zu messen. Unser Gehirn ist dank seiner vernetzten Struktur in der Lage, eine schier unbegrenzte Zahl von Handlungen und Zuständen miteinander zu kombinieren. Dies geschieht jedoch nicht etwa zufällig, sondern hoch selektiv. Emotionale Zustände, Gedanken und Bewegungen werden aufeinander abgestimmt und der Situation angepasst – und zwar ohne dass uns dies auch nur bewusst würde. Beispielsweise „explodieren“ wir vor Wut oder lassen den Kopf hängen, wenn wir traurig sind. Wie diese Verknüpfung funktioniert, wenn Bewegung, Denken und Empfindung – wie nach der bisherigen Vorstellung der Wissenschaft – separaten Arealen und Verarbeitungspfaden im Gehirn zugeordnet sind, ist nicht geklärt. Doch jetzt scheint sich abzuzeichnen, dass es mehr Überlappung bei der Signalverarbeitung gibt als bisher vermutet.

Als „Sitz“ der Gefühle wird ein entwicklungsgeschichtlich altes und zentral liegendes Gebiet des Großhirns und des Zwischenhirns angenommen, das sogenannte limbische System. Als weitgespanntes Netzwerk von Nervenzellen besteht es aus der bogenförmigen Gürtelwindung (Gyrus cinguli), dem Ammonshorn (Hippocampus), der gezähnten Windung (Gyrus dentatus) und dem Mandelkern (Corpus amygdaloideum, kurz: Amygdala). Die gesamte Struktur überzieht wie ein Saum (Limbus) ein ausgeprägtes Nervenfaserbündel, das als „Balken“ (Corpus callosum) die linke und rechte Gehirnhälfte verbindet. Im limbischen System werden interne und externe Informationen nach emotionalen Maßstäben bewertet, beispielsweise als traurig, lustig oder euphorisierend. Wie bahnen sich aber diese Zustände den Weg auf die Ebene unseres Verhaltens? Wie wird aus der Empfindung von Freude ein Lachen, wie aus dem euphorischen Gefühl ein Luftsprung?

Morbus Parkinson als Modell

Nach Auffassung des Neurologen Fabian Klostermann, der an der neurologischen Klinik der Charité auf dem Campus Benjamin Franklin die Sprechstunde für Patienten mit Bewegungsstörungen wie der Parkinson-Krankheit leitet, ist für die Abstimmung von Emotionen mit motorischen und gedanklichen Prozessen eine gemeinsame Verarbeitungsstrecke dieser Verhaltensanteile in den selben Hirnarealen und Verschaltungszentren erforderlich. Dass der Spezialist für Bewegungsstörungen zu dieser Meinung gelangt, ergibt sich aus seiner täglichen Arbeit. „Wenn Parkinson-Patienten unsere Sprechstunde aufsuchen, kann in nahezu 50 Prozent der Fälle zusätzlich eine relevante depressive Störung diagnostiziert werden. Diese affektive Beeinträchtigung ist nicht allein die Reaktion auf die Grunderkrankung, denn sie entwickelt sich häufig sogar vor der eigentlichen Bewegungsstörung“, erklärt Klostermann. Könnten Bewegungsstörungen wie der Morbus Parkinson also als Modell-Erkrankungen für die gemeinsame Verarbeitung verschiedener Verhaltensbereiche aufgefasst werden?

Stimulation durch Strompulse

Hinweise hierfür zeichnen sich mittlerweile auch auf therapeutischer Ebene ab. Seit etwa 15 Jahren werden Patienten mit Morbus Parkinson mittels der sogenannten tiefen Hirnstimulation (Deep Brain Stimulation, DBS) behandelt, wenn bei der primären medikamentösen Therapie die Wirkung der eingesetzten Präparate in zunehmendem Maße schwankt. Für die Hirnstimulation werden Elektroden in Kernareale des Gehirns implantiert. Die Kabel dieser Elektroden werden anschließend mit einem Stimulator unterhalb des Schlüsselbeins verbunden, der hochfrequente Strompulse abgibt. Auf diese Weise kann das überaktive Zielareal so beeinflusst werden, dass beispielsweise das Zittern oder die Steifigkeit von Patienten innerhalb von Sekunden unterdrückt werden. „Die Effekte der DBS sind ganz überwiegend motorisch und sehr lokal“, berichtet Klostermann, „zum Beispiel wird ein Parkinson-Zittern auf der rechten Körperseite durch die Stimulation des linken Nucleus subthalamicus unterdrückt“. Doch obwohl mit den Elektroden sehr gezielt Neuronengruppen angesteuert werden, die eigentlich nur für Motorik zuständig sein sollten, entstehen als Nebenwirkung dieser Behandlung bisweilen Veränderungen anderer Verhaltensanteile. Zum Beispiel kann die Stimulation die Stimmungslage oder das Denken beeinflussen, was allerdings angesichts der drastischen motorischen Verbesserung der Parkinson-Erkrankung für die meisten Patienten untergeordnete Bedeutung hat. Diesen Zusammenhang konnte Klostermanns Forschergruppe „Kognition und Motorik“ nachweisen: Zielareale der tiefen Hirnstimulation im Thalamus haben nicht nur motorische Funktionen, sondern auch kognitive. Dazu waren den mit DBS behandelten Parkinson-Patienten unterschiedliche Symbole gezeigt worden, die hinsichtlich einer gestellten Aufgabe entweder als wichtig oder unwichtig bewertet werden sollten. Währenddessen wurden direkt von der Elektrode aus dem Thalamus Hirnstrom-Signale der Personen mithilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) aufgezeichnet. Die Neurowissenschaftler konnten dabei eindeutig am EEG ablesen, dass die Prozesse der Symbolbewertungen auch in den eigentlich für Motorik zuständigen tiefen Hirnarealen abliefen. Parallel dazu wies Andrea Kühn vom Campus Virchow Klinikum (CVK) der Charité nach, dass in den Zielgebieten der Deep Brain Stimulation auch emotionale Verarbeitung abläuft.

Patiententest bringt den Beweis

Klostermann vertritt mittlerweile die Auffassung, dass motorische, kognitive und emotionale Verhaltensbestandteile in tiefen Strukturen des Gehirns, den Basalganglien und thalamischen Kernen, miteinander verknüpft werden. Er ist davon überzeugt, dass die Überlappung der einzelnen Prozesse umso größer ist, je weiter die Verarbeitung einer bloßen Handlungsintention auf ihrem Weg zur Ausführung fortgeschritten ist. Theoretische Grundlage dieser Annahme sind neuroanatomische Modelle, deren Ausgangspunkte Areale der Großhirnrinde. Vereinfacht ausgedrückt, werden hier emotionale, kognitive oder motorische Prozesse angestoßen. Diese noch rohen Versatzstücke späteren Verhaltens werden nun in die „Filter- und Rechenzentren“ der Basalganglien und des Thalamus eingespeist, bevor sie an die Hirnrinde zurückgegeben werden. Erst an diesem Punkt ist aus einem Handlungsplan ein integriertes und umsetzungsfähiges Verhaltensprogramm geworden. Basalganglien und Thalamus gehören nun zu jenen tiefen Hirnstrukturen, in denen, wie Fabian Klostermann sagt, „die Verarbeitung unseres Verhaltens zunehmend konvergent und teilweise überlappend abläuft“.

Unerwünschte Nebenwirkungen verringern

Somit werden viele Behandlungsstrategien von Erkrankungen des Gehirns, ob nun neurochirurgisch oder medikamentös, zwangsläufig eine Reihe von Effekten nach sich ziehen, die therapeutisch unerwünscht sind. Einige sind im Vergleich zum direkten Nutzen der Therapie glücklicherweise zweitrangig, andere können sich aber zu einem ernsthaften Problem entwickeln. Deshalb geht es dem Berliner Neurologen besonders um die genauere anatomische und funktionelle Aufklärung der Zielstrukturen der tiefen Hirnstimulation: „In weiteren Schritten wollen wir zusammen mit Professor Kupsch und Professorin Kühn aus der Forschergruppe ‚Bewegungsstörungen’ (CVK) die kritischen Regionen gemeinsamer motorischer, kognitiver und affektiver Verarbeitung innerhalb der nur wenige Millimeter großen Zielareale der DBS kartieren.“ Im Moment, so Klostermanns Einschätzung, erwarte die Mehrheit der Neurologen und Psychiater nicht, dass in den Basalganglien und motorischen Thalamuskernen diese Überlappungen existieren. Für ihn zeichnet sich aber bereits ein Umdenken ab.