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Jazz als Fenster zur Freiheit

Musik des „Klassenfeinds“ in den Ländern des Ostblocks

02.12.2008

Musik des „Klassenfeinds“ in den Ländern des Ostblocks.

Musik des „Klassenfeinds“ in den Ländern des Ostblocks.
Bildquelle: Marek A. Karewicz

Seit 1956 findet in Warschau das Festival Jazz Jamboree statt. Es sorgte auch im Westen für Aufmerksamkeit, und der Polski Jazz wurde zu einem kulturellen Exportschlager.

Seit 1956 findet in Warschau das Festival Jazz Jamboree statt. Es sorgte auch im Westen für Aufmerksamkeit, und der Polski Jazz wurde zu einem kulturellen Exportschlager.
Bildquelle: Marek A. Karewicz

Eine gewisse Freizügigkeit war dem Jazz der Nachkriegszeit als Mittel gegen die Prüderie nicht abzusprechen, wie etwa hier der Saxophonist Jan „Ptaszyn“ Wróblewski beim Jazz Camping Kalatówki, Zakopane, 1959, zeigt.

Eine gewisse Freizügigkeit war dem Jazz der Nachkriegszeit als Mittel gegen die Prüderie nicht abzusprechen, wie etwa hier der Saxophonist Jan „Ptaszyn“ Wróblewski beim Jazz Camping Kalatówki, Zakopane, 1959, zeigt.
Bildquelle: Marek A. Karewicz

Der Moderator Willis Conover erlangte mit seiner Sendung „Music USA: Jazz Hour“, die von 1955 an jeden Abend im Radiosender Voice of America zu hören war, im gesamten Ostblock Kultstatus.

Der Moderator Willis Conover erlangte mit seiner Sendung „Music USA: Jazz Hour“, die von 1955 an jeden Abend im Radiosender Voice of America zu hören war, im gesamten Ostblock Kultstatus.
Bildquelle: AP

Auch Benny Goodman, Dritter von links, hatte durch seine Erfolge einen Anteil daran, dass Jazz den Makel der Unanständigkeit verlor.

Auch Benny Goodman, Dritter von links, hatte durch seine Erfolge einen Anteil daran, dass Jazz den Makel der Unanständigkeit verlor.
Bildquelle: Library of Congress Prints and Photographs

Festivals wie das Warschauer Jazz Jamboree, hier das Plakat von 1990, sind feste Bezugspunkte der internationalen Jazz-Szene.

Festivals wie das Warschauer Jazz Jamboree, hier das Plakat von 1990, sind feste Bezugspunkte der internationalen Jazz-Szene.
Bildquelle: polishhomefoundation

Scheinbar aus dem Nichts erschienen in Polen talentierte Musiker wie der Jazz- Pianist Krzysztof Komeda, hier mit seinem Komeda Quartet beim Jazz Jamboree, Warschau, 1965.

Scheinbar aus dem Nichts erschienen in Polen talentierte Musiker wie der Jazz- Pianist Krzysztof Komeda, hier mit seinem Komeda Quartet beim Jazz Jamboree, Warschau, 1965.
Bildquelle: Marek A. Karewicz

Musik der Freiheit und des american way of life – das sind die zentralen Elemente eines Mythos, der sich um den Jazz rankt. Als das östliche Europa nach den Zweiten Weltkrieg hinter dem Eisernen Vorhang verschwand, gewann dieser Mythos dort eine zusätzliche Bedeutung. Schnell wurde Jazz zum Symbol für Demokratie, Modernität und westliche Werte. Dabei stieg die Bedeutung des Jazz in dem Maße an, in dem sich die Satellitenstaaten Moskaus ihrer Freiheit beraubt sahen. Auch wenn außerhalb des Ostblocks kaum Notiz davon genommen wurde, bildeten sich dennoch in allen ostmitteleuropäischen Ländern und auch in der Sowjetunion lebendige und eigenständige Jazz-Szenen aus. Das seit 1956 bis heute regelmäßig in Warschau veranstaltete Festival Jazz Jamboree sorgte schließlich auch im Westen für Aufmerksamkeit, und der Polski Jazz wurde neben polnischen Filmen und Plakaten zu einem kulturellen Exportschlager der Volksrepublik.

Formen offenen Widerstands oder offenen politischen Protests sucht man in den Jazz-Szenen hinter dem Eisernen Vorhang vergeblich. Kein Jazz-Musiker des Ostblocks rief jemals zum Umsturz auf, und Erzählungen und Erinnerungen von Insidern der Szene wirken beim ersten Lesen vollkommen unpolitisch: Thematisiert werden Begegnungen mit Musikern, Auftritte und Konzerte, und es scheint, als ob sich das alles in einem politikfreien Raum abgespielt hätte. Wenn es den Musikern also tatsächlich nur um ihre Musik ging und um nichts sonst: Kann man dann überhaupt von einer politischen, gesellschaftlichen Rolle des Jazz im Ostblock sprechen? Provokativ gefragt: Spielten die Elemente des Jazz-Mythos – die Konnotation von Jazz und Freiheit – hier überhaupt eine Rolle? Wenn dem aber nicht so war, woher rührt dann die große Bedeutung, die Jazz zur Zeit des Staatssozialismus in den Ländern Ost- und Ostmitteleuropas hatte und bis heute hat?

Diesen Fragen widmet sich eine Forschergruppe am Osteuropa-Institut der Freien Universität im Rahmen des von der Volkswagen-Stiftung geförderten Forschungsprojekts „Widerständigkeit durch Kulturtransfer – Jazz im Ostblock“, das im September 2007 begann und auf drei Jahre ausgelegt ist. Beteiligt sind außerdem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Polen, der Slowakei und Ungarn. In insgesamt acht aufeinander bezogenen Teilprojekten werden musikalische Ausdrucksformen, Handlungsspielräume, Medien und Institutionen des Jazz in Polen, der DDR, Ungarn und der Tschechoslowakei von 1945 bis 1989 untersucht. Im Oktober 2008 fand die erste internationale Konferenz im Rahmen des Jazz-Projekts statt. Forscherinnen und Forscher aus den ehemaligen Ostblockländern einschließlich der Sowjetunion, aus Deutschland und aus den USA trafen sich zum gemeinsamen Gespräch über den Forschungsgegenstand in Warschau.

Gesellschaftliche und politische Wirkung des Jazz

Die Beiträge dieser Tagung wie auch die bisherigen Forschungsergebnisse der Projektbeteiligten bestätigen die Ausgangsthese des Projekts: Danach besteht die starke gesellschaftliche und politische Wirkung des Jazz vor allem darin, dass die Existenz einer von den Regimes schwer zu kontrollierenden Jazz-Szene diese Musik und ihr Umfeld unweigerlich zu einem Politikum ersten Ranges machten. Nicht offener Protest oder direkter Widerstand also waren die Gründe für die Wirkmächtigkeit des Jazz im Staatsozialismus, sondern sein widerständiger Charakter und die Tatsache, dass Jazz gerade in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten zur Keimzelle einer Alternativkultur wurde, die das Herrschafts- und Machtmonopol der Regierenden fundamental in Frage stellte.

Jazz und Jazz-Milieus wirkten auf vierfache Weise provokativ und forderten die kommunistischen Machthaber ebenso heraus wie die konservativen Eliten: Erstens haftete dem Jazz seit seiner Entstehung ein sexuelles Moment an, das seit jeher vom bürgerlichen Establishment mit Abscheu als „unanständig“ abgelehnt wurde. Zwar trat diese Komponente etwas in den Hintergrund, seit der Jazz mit dem Swing-Zeitalter in den USA populär wurde.

Die Assoziation einer körperlichen Freizügigkeit blieb aber virulent, wie die Instrumentalisierung des Jazz als Kampfmittel gegen die Prüderie der Nachkriegszeit zeigte. Die Tatsache, dass sich die Jazzkritik der neuen sozialistischen Staaten die Inhalte der bürgerlichen Jazzopposition – also der „Klassenfeinde“! – voll und ganz zu eigen machten, erweist auf verblüffende Weise, wie eng und verkrampft der als neu propagierte Kulturbegriff der sozialistischen Machthaber in Wirklichkeit war und wie sehr er sich an bürgerlichen Moralvorstellungen der Vergangenheit orientierte. Das freie Spielen und Improvisieren, das zu den Kernelementen des Jazz gehört, bildete hier eine Angriffsfläche für dogmatische Kulturpuristen.

Der etablierte Musikbetrieb findet Jazz primitiv

Zweitens reagierten auch musikalisch gebildete Intellektuelle und Komponisten aus dem etablierten Musikbetrieb mitunter scharf ablehnend auf Jazz und verurteilten ihn als „primitiv“. Allerdings gab es auch prominente Gegenbeispiele, was bereits ein wesentliches Charakteristikum der Wirkung des Jazz in Europa deutlich macht: Das Phänomen des Fremden führte nicht nur zu vehementer Ablehnung, sondern ebenso zu Faszination und begeisterter Rezeption auch außerhalb der Jazz-Szene. In seiner Signalwirkung als Musik Amerikas provozierte Jazz zudem auf eine dritte Weise, indem er den traditionellen Kulturbegriff der europäischen Eliten herausforderte – ebenfalls mit hybridem Ergebnis. Gerade das „Amerikanische“ des Jazz ist ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis seiner Wirkung. US-amerikanische Propagandaoffiziere begriffen schnell, welche Macht ihnen der Jazz verlieh, und setzten ihn gezielt als Waffe zur Destabilisierung des Ostblocks ein.

Die Sendung Music USA: Jazz Hour und ihr Moderator Willis Conover, die ab 1955 jeden Abend im Radiosender Voice of America zu hören war, erlangten im gesamten Ostblock Kultstatus. Berühmte Jazz-Musiker, darunter Duke Ellington, Dave Brubeck und Miles Davis, wurden vom State Department auf Reisen in den Ostblock geschickt, um dort als musikalische „Botschafter der Freiheit“ zu fungieren.
Schließlich bedeutete Jazz als ästhetisches Phänomen auch eine klare Absage an die in den staatssozialistischen Gesellschaften führende Kunsttheorie des Sozialistischen Realismus. Dieser lag die ideologische Forderung zugrunde, dass Musik konkrete Inhalte transportieren und massenwirksam sein solle, um auf diese Weise die Zwecke des Regimes zu stützen und zu befördern. Der Charakter des Jazz ist hingegen zutiefst individuell: Als vorwiegend instrumentale und daher ungegenständliche Musik ist Jazz nicht auf plakative Aussagen orientiert.

Benny Goodman oder Glenn Miller ebnen den Weg

Alle vier Provokationen des Jazz lassen sich in den staatssozialistischen Gesellschaften beobachten und führten in ihrer Verbindung zu höchst komplexen Formen seiner Beurteilung, die sich mit einigen Beispielen zeigen lassen: So konnte Jazz selbst für überzeugte Kommunisten unter Umständen als gesellschaftsfähig gelten. Er hatte als Ergebnis der Swing-Ära – verkörpert durch die gesellschaftlichen Erfolge eines Benny Goodman oder Glenn Miller auch und gerade in der amerikanischen Mittelschicht – den Makel der Unanständigkeit verloren.
Jazz war nunmehr als „leichte“ Musik, „Tanzmusik“ oder „Unterhaltungsmusik“ auch für Staatszwecke nützlich geworden. Gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit und in den 1950er Jahren bedeutete dieses offizielle Verständnis für Jazz-Musiker eine nicht unerhebliche Konsolidierungsmöglichkeit. Sie nutzten die Chance, wenigstens die Standards der Jazz-Tradition – die vom Regime hingegen scharf abgelehnt wurden – auf Konzerten für „Unterhaltungsmusik“ zu Gehör zu bringen.

Als weitere Ambivalenz kam dem Jazz für die sozialistischen Denker und Machthaber eine charakteristische Double-bind-Eigenschaft zu: Schließlich handelte es sich gleichermaßen um die Musik des kapitalistischen Amerika als auch um die Musik der unterdrückten farbigen Unterschichten dieses Landes. Ergebnis war die gedankliche Unterscheidung zwischen einem zu begrüßenden „authentischen“ und einem abzulehnenden „kommerziellen“ Jazz. Diese Dichotomie wurde bereits in den 1920er Jahren in der Sowjetunion ausgebildet, kehrte aber in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in den offiziellen Jazzdiskursen fast aller Ostblockstaaten wieder. Mitunter wurde gehöriges argumentatives Geschick darauf verwendet, den „amerikanischen“ Charakter des Jazz zu negieren, um die politisch motivierte Propaganda gegen die USA aufrechterhalten zu können, ohne jedoch den – bereits allzu beliebten – Jazz verbieten zu müssen.

Jazz-Szene „überwintert“ in Kellerräumen und Privatwohnungen

Jedes sozialistische Land entwickelte nun seine eigene Art im Umgang mit dem unbequemen und nicht so recht zu zähmenden Jazz. Eine vergleichende Untersuchung der Wahrnehmungs- und Handlungsmuster ist daher mehr als nur eine Beschreibung der jeweiligen nationalen Entwicklungen der Jazz-Szene, sondern vermag auch aufzuzeigen, wie die staatssozialistischen Gesellschaften funktionierten, wie sie sich konsolidierten und wo ihre potenziellen Bruchstellen lagen. Dabei war die Bandbreite unterschiedlicher Umgangsmöglichkeiten mit dem Jazz außerordentlich groß.
Am günstigsten war die Situation für den Jazz in Polen. Das wichtigste Einfallstor für die amerikanische Musik waren die YMCA-Clubs, die noch bis 1948 existierten, ehe sie im Zuge der kulturellen Eiszeit der Ära Bierut aufgelöst wurden. Als Ergebnis lebendiger Vorkriegstraditionen und intensiver internationaler Kontakte hatte sich in Polen aber bereits eine Jazz-Szene entwickelt, die in Kellerräumen und Privatwohnungen sozusagen konspirativ „überwinterte“ – eine Periode, die in Polen als „Katakomben-Jazz“ bekannt ist. Wie erfolgreich dieses Überdauern war, zeigte sich im Jahr 1956, als das Regime die Organisationdes ersten Jazzfestivals in Zopot gestattete, um der Welt und der eigenen Öffentlichkeit Normalität zu demonstrieren.

Die Überraschung war groß: Scheinbar aus dem Nichts erschienen talentierte Jazz-Musiker, allen voran Krzysztof Komeda, die sich in den Jahren zuvor in den Verstecken auf ihre nunmehr öffentlichen Auftritte vorbereitet hatten. Eindrucksvoll zeigt sich hier, dass auch Repressionen nach stalinistischer Manier nicht zu einer vollkommenen Durchherrschung der Gesellschaft geführt hatten, sondern dass Jazz als Vehikel für eine Westorientierung und kulturelle Alternative stets präsent gewesen war.
Während das polnische Regime versuchte, dem rebellischen Charakter des Jazz durch eine „Politik der langen Leine“ gleichsam den Wind aus den Segeln zu nehmen, ging man im Nachbarland DDR den umgekehrten Weg. Ein Jazz-Festival wie in Polen war in der DDR in den 1950er Jahren undenkbar. Das Regime sah sich mit dem Problem konfrontiert, dass die eigenen Staatsbürger mehr als alle anderen Einwohner des Ostblocks mit westlicher Kultur in Berührung kamen: Speziell auf den Jazz bezogen gab es hier die Möglichkeit, Westsender mit Jazzsendungen zu empfangen wie etwa den RIAS Berlin oder sogar die Soldatensender der Westalliierten AFN und BFN, die beide umfangreiche Jazz-Programme ausstrahlten. Nicht zuletzt dieser Umstand war für eine erheblich höhere Nervosität der Regierenden verantwortlich, die geradezu verzweifelt versuchten, der Attraktivität des Jazz entgegenzuarbeiten, indem man sozialistische Kultur oder Ersatzformen des Jazz propagierte. Sämtliche Versuche dieser Art scheiterten aber nicht nur in der DDR, sondern im gesamten Ostblock. Im Jazz bündelten sich die Ideen der Moderne westlicher Prägung, insbesondere das Versprechen individueller Freiheit und Autonomie, derart intensiv, dass sozialistische Kulturschaffende dem nichts entgegenzusetzen hatten.

Tauziehen zwischen oppositioneller Jazz-Szene und regimetreuen Kreise

In der Tschechoslowakei entwickelt sich ein regelrechtes Tauziehen zwischen oppositioneller Jazz-Szene einerseits und regimetreuen Kreisen andererseits. Auch hier hatte es, ganz ähnlich wie in Polen, bis zum Jahre 1948 eine kurze, aber sehr intensive Blüte mitteleuropäisch-westlicher Kultur gegeben, die aber durch die stalinistischen Maßnahmen der Folgejahre zunächst oberflächlich erstickt wurde. Nach der Lockerung ließ man zunächst in Maßen ein Jazz-Revival zu. Es gelang der Jazz-Szene, sich zu konsolidieren und institutionell zu verfestigen. So konnte im Jahre 1971 eine Jazz-Sektion als Untereinheit der tschechoslowakischen Musiker-Union gegründet werden. Die Jazz-Sektion versuchte nunmehr, ein vom Regime unabhängiges Kulturleben aufzubauen, indem sie nicht nur die Prager Jazz-Tage der 1970er Jahre organisierte, sondern auch publizistisch tätig wurde. Dies ging den Machthaber dann zu weit, denn es drohte ein Kontrollverlust. Schließlich wurden führende Mitglieder der Jazz-Sektion in einer Art Schauprozess angeklagt und zu Freiheits- und Geldstrafen verurteilt.

Dass dies erst 1986 passierte, hat seinen Grund in einer ganz charakteristischen legalistischen Ausrichtung der tschechoslowakischen Variante des Staatssozialismus. Anstatt sich offen zur Willkürherrschaft zu bekennen und die unbequemen Jazz-Aktivisten ohne Federlesens zu verhaften, musste erst eine Situation geschaffen werden, in der es für Unbeteiligte so aussehen sollte, als ob sich die Mitglieder eines Vergehens gegen die Gesetze schuldig gemacht hätten. Die pseudo-legalistische Verbrämung des Unrechtscharakters des tschechoslowakischen Staates trieb im Tauziehen mit der Jazz-Sektion ihre eigenwilligsten Blüten.

„erlaubt“, „verboten“ oder „geduldet“

Ungarn hatte diese institutionalisierte Willkür sogar einen Namen, den ihr der Kulturminister György Aczél gegeben hatte: Man sprach vom „System der drei T“. Nach den Ereignissen von 1956 wurde üblich, sämtliche von der Zensur begutachteten kulturellen Erzeugnisse in drei Kategorien einzuteilen, nämlich in „erlaubt“, „verboten“ oder „geduldet“ – die ungarischen Wörter für diese drei Begriffe „tíltott“, „támogattot“, „türt“ gaben dem System seinen Namen.
Die Vitalität des Jazz insbesondere in Polen ist ein Phänomen, das Besucher aus dem Ausland bis heute immer wieder mit Staunen zur Kenntnis nehmen. Rundfunksendungen zum Jazz haben noch immer Kultstatus, Festivals wie das Warschauer Jazz Jamboree sind feste Bezugspunkte der internationalen Jazz-Szene, und Jazz-Musiker wie Tomasz Stanko, Leszek Mozdzer und das „Simply Acoustic Trio“ erfreuen sich auch weit über Polen hinaus großer Beliebtheit. Zu verstehen ist dies nur, wenn man weiß, welche Bedeutung der Jazz im Staatssozialismus hatte. Als der Eiserne Vorhang den ganzen Ostblock von der Außenwelt abschirmte, wurde die genuin amerikanische Musik zum Ausdruck der ersehnten Freiheit. Dies hielt rückblickend auch Tomasz Stanko in Julian Benedikts sehenswertem Film „Play your own thing“ (2006), der die europäischen Jazz-Szenen der Nachkriegszeit auf die Leinwand bringt, noch einmal ganz ausdrücklich fest.