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Die Grenzen der Papparazzi

Warum Pressefreiheit beim Persönlichkeitsschutz endet

02.12.2008

2004 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Prinzessin Caroline von Hannover sich Fotoveröffentlichungen nur sehr eingeschränkt gefallen lassen muss.

2004 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Prinzessin Caroline von Hannover sich Fotoveröffentlichungen nur sehr eingeschränkt gefallen lassen muss.
Bildquelle: Ullstein Bilderdienst

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht“ – „die absolute Person der Zeitgeschichte“ – „eine Person des öffentlichen Interesses“: jeder kennt diese Begriffe. Man liest davon auf den Medienseiten der Tageszeitungen. Bei spektakulären Prozessen, besonders wenn Prominente klagen, verirren sich solche Schlagworte sogar in die Nachrichten. Dann gibt es häufig eine öffentliche Diskussion. Es geht dabei um Zensur, Pressefreiheit, wirtschaftliche Interessen der Verleger, Bürger- und Menschenrechte. Die Diskussion ist häufig schwer verständlich, weil eine präzise Kenntnis der Rechtsgrundlagen und der entscheidenden Rechtsfragen fehlt. Die wesentlichen Grundlagen sind aber gar nicht so kompliziert.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Recht, das in keinem deutschen Gesetz steht. Nie hat sich ein Gesetzgeber entschieden, das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Deutschland zu schützen. Nie hat ein Parlament darüber abgestimmt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist Richterrecht. Entwickelt wurde es vom Bundesverfassungsgericht aus den beiden ersten Grundrechten unserer Verfassung.

Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes:

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“

Daraus hat das Bundesverfassungsgericht das „allgemeine Persönlichkeitsrecht im Sinne der Artikel 1 und 2 Grundgesetz“ entwickelt. Nun stellen wir uns die berühmte Waage der Justitia vor. In der einen Waagschale liegt bei jeder presse- und medienrechtlichen Auseinandersetzung dieses allgemeine Persönlichkeitsrecht im Sinne der Artikel 1 und 2 Grundgesetz. Und was liegt in der anderen Waagschale? Die Presse-, Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit, die der Gesetzgeber in Artikel 5 des Grundgesetzes geregelt hat.

Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.
2 Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.
3 Eine Zensur findet nicht statt.“

Bei jeder medienrechtlichen Streitigkeit wird zwischen diesen wichtigen Verfassungsgütern abgewogen und in jedem Einzelfall entscheiden Gerichte, üblicherweise zunächst ein Landgericht, welches Grundrecht im Streitfall schwerer wiegt. Anschließend geht es häufig in die Berufung zum Oberlandesgericht. Vielleicht gibt es auch noch eine Revision beim Bundesgerichtshof und eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Wenn jemand klagt, weil er es beispielsweise nicht hinnehmen möchte, von Paparazzi-Fotografen Tag und Nacht verfolgt zu werden, kann man bei der Abwägung Argumente für beide Seiten finden. Der von Fotografen Verfolgte möchte seine Ruhe haben. Er möchte sein Privatleben genießen. Er möchte nicht bespitzelt und verfolgt werden. Der Fotograf hingegen meint, dass es ein wichtiges Interesse der Bevölkerung an derartigen Fotosgibt. Er behauptet, dass die Informationsfreiheit die Darstellung privater Szenen erfordert und die Fotos vonzeitgeschichtlicher Bedeutung sind. Außerdem wollen der Fotograf und seine Auftraggeber mit den Fotos natürlich Geld verdienen. Deswegen werden solche Prozesse häufig mit besonderer Vehemenz geführt. Es geht gar nicht um das eine Foto und den einen Abgebildeten.

Es geht häufig um die Verteidigung von Rechtspositionen, die es ermöglichen mit dem Persönlichkeitsrecht Anderer Geld zu verdienen. Jeder Einzelfall kann da weitreichende Bedeutung haben. Deswegen sind Medienunternehmen häufig nicht einfach großzügig und lassen dem einzelnen, der sich gegen Fotos wehrt, seine persönliche Freiheit. Stattdessen prozessieren sie durch alle Instanzen. Am Ende können solche Streitigkeiten sogar den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erreichen. Denn die typische Streitigkeit zwischen Presse- und Persönlichkeitsrecht kann fast immer auch Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention berühren.

Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention lautet:

„Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“

Im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsrecht und Medienfreiheit ist nichts eindeutig und holzschnittartig geregelt. Es gibt keine 0,5-Promille-Grenze, die darüber entscheidet, ob man fahren darf oder nicht. Jede einzelne Entscheidung erfordert eine Abwägung. Und erst nach der letzten Instanz weiß man, wer den Rechtsstreit am Ende gewonnen hat. Ob dies dann ein gerechtes, ein richtiges Ergebnis ist, beurteilen die Prozessparteien natürlich unterschiedlich. Ein Medienunternehmen, das verliert, beklagt immer eine Verletzung des Presserechts und die Einführung der Zensur. Der Betroffene, der verliert, beklagt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Deutschland nur unzureichend geschützt ist.

Die Person der Zeitgeschichte

Ebenso wie das Persönlichkeitsrecht ist auch die „Person der Zeitgeschichte“ keine Erfindung des Gesetzgebers. Ein Rechtsprofessor aus Münster entwickelte 1966 in einem Aufsatz die „absolute“ und „relative Person der Zeitgeschichte“. Durch diese Einteilung wollte er den Gerichten die Abwägung zwischen den oben erwähnten Grundrechten leichter machen. Solche Personen der Zeitgeschichte waren für ihn etwa der deutsche Bundespräsident oder die Königin von England. Bei absoluten Personen der Zeitgeschichte sollte danach jegliche Berichterstattung zulässig sein. 24 Stunden am Tag sollte ein öffentliches Interesse bestehen an ihrem Privatleben und ihren Fotos. Jedes Foto und jeder Textbericht sollten zulässig sein. Ausnahmen waren allein Berichte aus der Intimsphäre und unwahre Berichte.
Die „Person der Zeitgeschichte“ hat sich später in der Rechtsprechung verselbstständigt. Die Schauspielerin Beatrice Richter, der Schauspieler Gustl Bayrhammer, und sogar ein Ersatztorwart des 1. FC Nürnberg wurden von den Gerichten als Person der Zeitgeschichte eingeschätzt und mit dem entsprechenden Rechtsverlust bestraft.

Das änderte sich erst durch die zahlreichen Grundsatzprozesse, die Prinzessin Caroline von Hannover geführt hat. 1992 noch war jedes Foto, das sie außerhalb ihrer eigenen vier Wände zeigte, erlaubt und Prinzessin Caroline, die der Bundesgerichtshof als Person der Zeitgeschichte eingeordnet hatte, musste sich die ständige Verfolgung und Bespitzelung durch Paparazzi nach deutscher Rechtsprechung gefallen lassen.

1994 entschied dann der Bundesgerichtshof, dass auch eine absolute Person der Zeitgeschichte Schutz vor heimlichen Bildaufnahmen genießt, wenn sie sich in örtliche Abgeschiedenheit zurückzieht.1995 entschied der Bundesgerichtshof, dass die Kinder von Prinzessin Caroline sich Paparazzi-Fotos nicht gefallen lassen müssen. Allein die Tatsache, dass ihre Mutter als Person der Zeitgeschichte eingestuft werde, legitimiere Paparazzi-Fotos der Kinder nicht. 1999 entschied dann das Bundesverfassungsgericht, dass Fotoveröffentlichungen von Prinzessin Caroline gemeinsam mit ihren Kindern verboten sind. 2004 entschied schließlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Prinzessin Caroline sich überhaupt nur dann Fotoveröffentlichungen gefallen lassen muss, wenn diese durch ein überragendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt sind. Unterhaltungsinteressen alleine reichen nicht aus.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte konnte nicht nachvollziehen, warum sich Personen der Zeitgeschichte in Deutschland erst in örtliche Abgeschiedenheit zurückziehen mussten, um den in Artikel 8 der Menschenrechtskonvention garantierten Schutz ihrer Privatsphäre genießen zu können. Mit diesem Urteil wurde die Person der Zeitgeschichte zu Grabe getragen und ersetzt durch eine Abwägung, die sich allein an den Informationsinteressen der jeweiligen Berichterstattung orientiert. Diese so genannte „Caroline-Entscheidung“ ist von den deutschen Medien stark kritisiert worden. Das Ende der Pressefreiheit und die Einführung staatlicher Zensur wurden prophezeit. Tatsächlich hat sich in der Medienberichterstattung aber kaum etwas geändert. Es gilt nur neuerdings der Grundsatz, dass niemand sich Fotoveröffentlichungen gefallen lassen muss, die allein unterhalten und nicht informieren. Die bloße Etikettierung als Person der Zeitgeschichte reicht nicht mehr aus. Es muss ein tatsächliches Informationsbedürfnis bestehen. Ob das ebenso für Textberichterstattung gilt, ist derzeit vor deutschen Gerichten noch umstritten. Man kann jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts entnehmen, dass in Karlsruhe daran gezweifelt wird. Wer aber die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Caroline sorgfältig liest, wird feststellen, dass dort zwischen Foto und Text nicht differenziert wird.

Unwahre Behauptungen

Eindeutiger ist die Rechtslage bei unwahren Behauptungen. Wer die Unwahrheit sagt, muss damit rechnen per einstweiliger Verfügung zur Unterlassung verpflichtet zu werden. Unwahre Behauptungen genießen nicht den Schutz der Pressefreiheit. Das hat das Bundesverfassungsgericht ganz klar entschieden. Die Pressefreiheit ist nicht die Freiheit zu lügen. Garantiert die Pressefreiheit aber vielleicht die Freiheit Lügen zu verbreiten? Das wird von manchen immer noch behauptet. Besonders bei Interview-Äußerungen gibt es darum häufig Streit. Als Helmut Mark-wort die „Saarbrücker Zeitung“ wegen Interview-Äußerungen von Roger Willemsen verklagte, oder als Stefan Aust gegen die „Stuttgarter Zeitung“ Ansprüche wegen unwahrer Interview-Äußerungen eines ehemaligen Bundesanwalts geltend machte. In diesen Fällen haben die Medien, die die unwahren Behauptungen im Rahmen von Interviews verbreitet haben, für sich in Anspruch genommen, dies auch weiterhin tun zu dürfen.

Alles andere sei Zensur. Das Ergebnis der Rechtssprechung ist aber ganz eindeutig. Wenn unwahre Behauptungen nicht durch Artikel 5 GG geschützt sind, dann kann auch die Verbreitung unwahrer Behauptungen nicht gerechtfertigt sein. Wer durch unwahre Behauptungen eines Dritten in einem Interview verletzt wird, muss es nicht hinnehmen, dass dieses Interview noch jahrelang vom Interview-Partner im Internet verbreitet werde. Mit Zensur, also der staatlichen Kontrolle vonKanzlei Medieninhalten vor Veröffentlichung, hat dies nichtszu tun. Eher mit der journalistischen Sorgfaltspflicht darauf zu achten, keine unwahre Berichterstattung zu verbreiten.

Die weitere Entwicklung

Die Problematik der so genannten „Verbreiterhaftung“ ist erst durch Internetarchive und Internetveröffentlichungen zum Thema geworden. Früher hat man am Tag nach dem Interview eine Zeitung weggeworfen oder darin einen toten Fisch eingewickelt. Unwahre Behauptungen wurden nur selten archiviert und erneut nachgelesen. Heute aber bleiben unwahre Veröffentlichungen dauerhaft im Internet für jeden verfügbar. Der davon Betroffene hat daher durchaus ein legitimes Interesse daran, die Weiterverbreitung zu verhindern. Es war allein die technische Entwicklung des Internet und die damit verbundene Veränderung des Medienkonsumverhaltens, die zur intensiven Diskussion dieses Rechtsproblems geführt hat. Auch die Paparazzi-Prozesse von Prinzessin Caroline haben ihren Ursprung in der technischen Entwicklung der Medien und ihren gesellschaftlichen Reflexwirkungen. Immer bessere Kameras und Teleobjektive, immer mehr Handytelefone und damit zugleich immer mehr Leserreporter haben Rechtsfragen der heimlichen Paparazzi-Fotos in den letzten Jahren zu einem wichtigen Thema gemacht.

So werden die neuen Entscheidungen, die die Gerichte im Spannungsfeld zwischen Medien- und Persönlichkeitsrecht fällen müssen, durch die technische und gesellschaftliche Entwicklung bedingt. Neue technische Methoden, ein neues Angebot, eine neue Wettbewerbssituation führen zu einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts und zu entsprechender Gegenwehr der Betroffenen. Gerichte müssen dann entscheiden, ob man diese Beeinträchtigung hinnehmen muss oder nicht.

Auch in Zukunft wird die weitere Entwicklung der Medien dazu führen, dass wir uns im Medienrecht mit Themen beschäftigen müssen, die wir heute noch nicht einmal erahnen. Für viele Juristen ist es schwierig zu akzeptieren, dass es hier ein Rechtsgebiet gibt, das ständig im Fluss ist, bei dem nichts bleibt wie es ist und bei dem die nächste Veränderung nie ganz sicher prognostiziert werden kann. Die Gerichte haben sich dennoch in der Vergangenheit den Anforderungen gewachsen gezeigt und werden neue Rechtsprobleme auch in Zukunft lösen. Mit immer neuen Grundsatzentscheidungen füllen sie die weißen Flecken auf der Landkarte zwischen Medienfreiheit einerseits und Persönlichkeitsrecht andererseits. So entsteht ein Puzzle aus einzelnen Gerichtsentscheidungen, das in seiner Gesamtheit den jeweils aktuellen Stand der Abwägung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht darstellt.