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Fromme Filme

Was macht Gott im Kino?

08.12.2009

Was macht Gott im Kino?

Was macht Gott im Kino?
Bildquelle: Constantin Film

Die Passionsspiele in Oberammergau waren schon früh Vorlage für die ersten Filme mit religiösem Inhalt.

Die Passionsspiele in Oberammergau waren schon früh Vorlage für die ersten Filme mit religiösem Inhalt.
Bildquelle: Bundesarchiv

Weniger ein religious turn, als vielmehr verfilmte Geschichte(n): Film wie die Päpstin von Sönke Wortmann.

Weniger ein religious turn, als vielmehr verfilmte Geschichte(n): Film wie die Päpstin von Sönke Wortmann.
Bildquelle: Constantin Film

Der Film „Das weiße Band“ von Michael Haneke geht ganz stark von einer protestantischen Bildästhetik aus – mit sehr schön fotografierten Bildern.

Der Film „Das weiße Band“ von Michael Haneke geht ganz stark von einer protestantischen Bildästhetik aus – mit sehr schön fotografierten Bildern.
Bildquelle: X-Verleih AG

Auch das Leben der Benediktinerin Hildegard von Bingen war Vorlage für das Kino, umgesetzt von der Regisseurin Margarethe von Trotta mit dem Titel Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen.

Auch das Leben der Benediktinerin Hildegard von Bingen war Vorlage für das Kino, umgesetzt von der Regisseurin Margarethe von Trotta mit dem Titel Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen.
Bildquelle: Concorde Filmverleih GmbH

Auf der Kinoleinwand spielen Religion und Glaube oft eine größere Rolle, als man denkt. Nicht nur in Bibelverfilmungen, und nicht allein im Christentum besteht eine enge Beziehung zwischen dem Film und den Religionen. Denn auch wie Zuschauer Filme sehen, ist eine Frage des Glaubens und der historisch oft religiös bestimmten Kultur der Bildlichkeit und Abbildung. Ein Gespräch mit Gertrud Koch, Professorin am Seminar für Filmwissenschaften an der Freien Universität Berlin.

Die Darstellung von Glauben und Religion im Film hat eine lange Tradition. Könnte man sagen, dass die Filmgeschichte auch eine Geschichte des religiösen Films ist?

Koch: Stimmt, die ersten Filme hatten oft dokumentarischen Charakter. Man filmte zum Beispiel Reisen nach Jerusalem, Pilgerfahrten an religiöse Stätten. Ein anderes Beispiel ist eine frühe Dokumentation über die Passionsspiele in Oberammergau. Es gibt auch Nachstellungen von religiösen Szenen, ähnlich wie es sie auch auf den Bildern auf Kreuzwegen gab. Es gab unendlich viele Filme, die das Leben von Heiligen oder wichtige Szenen aus der Bibel nachgestellt haben.

Glauben Sie, dass diese vielfältige Auseinandersetzung des Films mit der Religion vor allem an dem Stoff liegt, den die Bibel liefert?

Koch: Zum Teil sind sie entstanden, um religiöse Praktiken festzuhalten: Die Pilgerreise, die religiösen Festspiele – das alles wurde im Film aufgegriffen, festgehalten und im Kino wieder als Teil des Rituals gezeigt. Und dann gibt es natürlich auch die Filme, die mit der biblischen Erzählung, der oralen Tradition, konkurrierten. Vor etwa 100 Jahren war die Bibel ja fester Bestandteil dieser Tradition, und in unserer Kultur und unserer Sprache sehr lebendig – zum Beispiel in Sprichwörtern, in denen man sich darauf bezog. Man war vollgesogen mit biblischen Geschichten. Außerdem sind es natürlich spektakuläre Erzählungen, das darf man nicht vergessen – in der Bibel ist viel Sex and Crime. Deshalb haben diese Geschichten schon immer dazu herausgefordert, medial übersetzt und damit auch neu erzählt zu werden.

In den letzten Jahren gab es immer wieder viele große Filmproduktionen, in denen Figuren der Religionsgeschichte eine zentrale Rolle spielten. Die Verfilmung des Lebens der Hildegard von Bingen von Margarethe von Trotta oder, ganz aktuell, „Die Päpstin“ von Sönke Wortmann. Ist das ein Zeichen dafür, dass Religion in der Gesellschaft wieder eine wichtigere Rolle spielt, als „religious turn“ gewissermaßen?

Koch: Ich glaube nicht, dass sich der „religious turn“ darauf bezieht, dass biblische Stoffe verfilmt werden. Zum Beispiel der Mel Gibson Film „Die Passion Jesu Christi“: Das sind Filme, die von sich aus Glauben repräsentieren möchten und dem Zuschauer appellativ, also beinahe missionarisch diesen Glauben nahe bringen wollen. Auch unter Theologen war heftig umstritten, inwieweit dieser Film auf einer Sektenkonzeption des Christentums beruht. Diese Filme übernehmen die Funktion von Legenden, die früher den Glauben stärken sollten. Wunderglaube war ja immer vorhanden – das Gebet zum Marienbild an der Stelle im Wald, von der man glaubte, dass Maria ein Wunder gewirkt hätte – diese ganzen topografischen Fixierungen hat das Kino ebenfalls versucht sich anzueignen. In diesem Sinne gab es immer fromme Filme. Aber das ist eine andere Frage als die, wie Religion und Gläubige als Lebenswelt, als kulturelles Segment oder als Charaktere im Film dargestellt werden.

Welche Rolle spielt dabei der Regisseur und sein Verhältnis zur Religion?

Koch: Da gibt es sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Zwei Extreme wären etwa Ingmar Bergman und Luis Buñuel. Ingmar Bergman, der ja als der Regisseur einer gewissen protestantischen Weltanschauung fungiert, mit allen Innerlichkeitsproblemen, die das zutage fördert. Dann haben sie aber auch Filme, die sich in der häretischen Tradition bewegen. Luis Buñuel hat etwa Filme gemacht wie „Die Milchstraße“ oder „Simon in der Wüste“, in denen theologische Dispute geführt werden. Der Film beobachtet, wie die Diskurse der Kirche und des Glaubens ausgesehen haben. Da haben Sie eine Darstellung, die ein bisschen häretisch ist, aber im Kern natürlich an diesem Glaubenssystem aufgehängt ist. Ein anderes Beispiel ist „Das weiße Band“ von Michael Haneke. Er geht ganz stark von einer protestantischen Bildästhetik, einer Determinismusfigur aus. Sehr kontrollierte, sehr schön fotografierte Bilder – aber sehr determiniert. Der Film ist angelegt in einer Kreuzform: Auf der einen Seite des Dorfes gibt es die Kirche, und ihr gegenüber gibt es den gottlosen Arzt. Die Kirche selbst wird dagegen auch als korrupt und degeneriert dargestellt, mit ihren unbarmherzigen Strafritualen. Darin liegt ja auch eine Kritik an den Lebensformen. Und dann gibt es noch die beiden weltlichen Achsenpunkte: den Gutshof und den Lehrer. Das ist also dieses Kreuzmuster, und alle sozialen und politischen Konflikte werden auf der Dorfstraße dazwischen zusammengeführt. Das alles hat eine ganz starke Visualisierung. Dennoch hat der Film als Ganzes etwas sehr Puritanisch-Protestantisches: Alles, was mit Lust zusammenhängt, ist letztendlich auch immer wieder Gewalt. Es gibt kein Entrinnen, denn es ist eine in ihrer Schuld gefangene Gesellschaft. Zum Schluss wird das auch noch einmal sehr deutlich, als Allegorie auf den ausbrechenden ersten Weltkrieg.

Sie sprachen vom missionarischen Inhalt mancher Filme – können Filme das eigentlich, einen Glauben stärken?

Koch: Es gibt da sehr interessante philosophische Aspekte. Gilles Deleuze etwa, der ja in der Filmtheorie sehr prominent ist, vertritt als Philosoph, ohne selbst fromm zu sein, die These, dass Film die Möglichkeit der „Weltbezeugung“ hat. Deshalb habe der Film auch die Fähigkeit, so etwas wie den Glauben an die Welt wiederherzustellen, ein Band, das eigentlich zerrissen ist. Dafür beleiht er Spinoza, aber übersetzt es immer wieder in die Frage: Was können eigentlich diese Bilder? Er sieht das schöpferische Vermögen des Films, das Verhältnis zur Welt zu sistieren.

Wenn man die Forschung zum Thema Religion im Film betrachtet, hat man den Eindruck, dass sich eher Theologen damit auseinandersetzen als Filmwissenschaftler. Woran liegt das?

Koch: Das hängt damit zusammen, dass man kulturhistorisch davon ausgehen kann, dass das Verhältnis zum Bild immer auch von religiösen Geboten reglementiert worden ist. Das heißt: vom Verhältnis zum Bild her konstituieren sich ganze kulturelle Systeme, die von der Religion ausgehen. Ich spreche hier – natürlich sehr eurozentristisch – von den drei großen monotheistischen Religionen, die alle ein sehr komplexes Verhältnis zum Bild aufgebaut haben. Im Islam gibt es ja nach wie vor eine Art relativ strenges Verbot der Gottesdarstellung, weshalb sich die islamische Kunst auch sehr stark über Kalligrafie organisiert. Im Protestantismus gibt es in bestimmten Sekten ein relativ striktes Bilderverbot. Sakrale Räume werden dort nicht mit Bildern geschmückt. Im Katholizismus herrscht dagegen ein eher affirmatives Verhältnis zum Bild. Im Judentum wird über das zweite Gebot viel diskutiert. Was heißt: „Du sollst dir machen kein Bildnis von Gott“? Die Schöpfungsgeschichte geht ja davon aus, dass es eine Ähnlichkeit zu Gott gibt. Diese Ähnlichkeit darf nicht mimetisch genutzt werden, da das zu Fetischbildung und heidnischen Praktiken wie der Götzen- und Statuenverehrung führen könnte. Im Judentum gab es im Mittelalter Gruppierungen, die das Ähnlichkeitsverbot sehr streng auslegten. Es gab eine bestimmte Formulierung, die sagt, dass man nichts abbilden dürfe, was in der Luft, im Wasser und auf der Erde ist. Das heißt: also eigentlich gar nichts. Das Interessante ist, dass das dazu geführt hat, dass Bilder gemacht werden konnten, solange das Dargestellte nichts ähnelte, was es in der Luft, auf der Erde und im Wasser gab. Angefertigt wurden Bilder, die Hybriden darstellten: Ein menschliches Gesicht mit einem Tierkörper oder eine Pflanze, die ein Gesicht trägt – das ging dann. 

Wie ist dieses religiöse Verhältnis zum Bild dann im Film erkennbar?

Koch: In meinem Buch: „Die Einstellung ist die Einstellung“, geht es darum, wie aus diesen frühen alttestamentlichen Regelungen der bildlichen Darstellung eine eigene Ästhetik entsteht. Es ist eine Ästhetik, in der es immer einen Sprung gibt, an dem das konkrete Bild eigentlich nicht einzeln stehen kann. Sondern, sei es in Montage oder durch Schnitt, quasi ein drittes mentales Bild im Zuschauer erzeugt, der ja nicht die Einzelbilder sieht. Das kann man auch am Film zeigen. Das Weglassen, die Technik des Evozierens, des elliptischen Erzählens – im Film wird nicht immer alles gezeigt.

Film mit religiösen Inhalten braucht Vorwissen. Könnte ein Zuschauer von heute überhaupt noch die Zeichen der Religion richtig erkennen und deuten?

Koch: Ich glaube nicht. Das ist schwierig geworden. Viele verwenden heute ja auch Ausdrücke, Redewendungen oder auch Flüche, ohne zu wissen, dass es sich um Bibelzitate handelt. Da würde ich davon ausgehen, dass das im Abnehmen begriffen ist. Aber man darf auch nicht vergessen, dass wir längst in einer multikulturellen, und multireligiösen Welt leben. Die Verbindlichkeit, die religiöse Erzählungen bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts als kollektive Selbsterzählung, als Mythos hatten, nimmt natürlich auch dadurch ab, dass es konkurrierende Erzählungen gibt.

Dann hängt die Popularität von Filmen wie „Luther“ eher damit zusammen, dass es sich um Historienfilme handelt?

Koch: Ich würde sagen, der größte Teil der Filme, die sich religiöse Thematiken zum Inhalt nehmen, sind selbst nicht religiös. Da gibt es einen großen Unterschied.

Wie sieht die filmische Auseinandersetzung mit dem Glauben in anderen Religionen und Kulturkreisen aus?

Koch: Da gibt es viele Beispiele. In den Filmen des israelischen Regisseurs Amos Gitai etwa spielt die kritische Auseinandersetzung mit dem Glauben und seinen Konsequenzen für eine säkulare Kultur eine große Rolle. Die Auseinandersetzung im orthodoxen Stadtteil Jerusalems Mea Shearim etwa, wo Gläubige leben, die an eine sehr strenge Heilsauslegung glauben und starke Regeln zur eigenen Vergemeinschaftung haben. Amos Gitai zeigt sehr genau den Konflikt zwischen dem orthodoxen Leben und der modernen israelischen Gesellschaft – zu sehen sind Frauen, die auszubrechen versuchen aus den starken Reglementierungen und am säkularen städtischen Leben teilhaben wollen. Amos Gitai ist sehr kritisch gegen die Ultraorthodoxen.

Gibt es auch da ein Beispiel, wie sich die Religion auf die Ästhetik des Films auswirkt?

Koch: Wenn man sich an die Diskussion um Claude Lanzmanns Film „Shoah“ erinnert: Der Film basiert ja auf der Idee, Überlebende des Holocaust zu interviewen. Sie werden jedoch nicht gefragt, wie sie überlebt haben. Sondern danach, was sie gesehen haben – als Zeugen. Das ist eine Position, die ganz stark mit einer jüdischen Tradition zu tun hat, dass man „Zeugnis ablegen“ soll – es ist sozusagen ein Gebot. Die Strenge des Filmes kommt unter anderem daher, dass dieses Gebot dort ernst genommen wird. Lanzmann verwendet deshalb keine referenziellen Bilder, keine dokumentarischen Fotos. Der Holocaust wird nicht „abgebildet“, sondern als Ereignis ausschließlich über dieses „Zeugnis ablegen“ multiperspektivisch zusammengesetzt. Das sind durchaus Aspekte, die auf die Religion zurückgehen, ohne dass es sich in diesem Fall um einen religiösen Film handelt. Ähnliches gilt auch für den Protestantismus und seine Moralvorstellungen: Die funktionieren auch unabhängig davon, ob man gläubig ist oder nicht.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Gertrud Koch:

Geboren 1949. Studium der Soziologie, Philosophie, Germanistik. Soziologie und Erziehungswissenschaften in Frankfurt am Main. Nach unterschiedlichen Lehraufträgen und Gastprofessuren im In- und Ausland und einer C3-Professur an der Ruhr-Universität Bochum nahm sie im April 1999 den Ruf auf eine C4-Professur für Filmwissenschaft an der Freien Universität an. Von 1999 bis 2006 Mitarbeit am Graduierten-Kolleg „Körper-Inszenierungen“ der Freien Universität. Seit Januar 2002 Leiterin eines Forschungsprojekts im Sonderforschungsbereich 447 „Kulturen des Performativen“. Im Januar 2003 übernahm sie die Leitung des Projekts „Die Bedeutung der Illusion in der Filmästhetik“ im Sonderforschungsbereich 626 „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste,“ dessen Sprecherin sie seit 2009 ist. Seit Oktober 2006 Mitarbeit am Graduierten-Kolleg „InterArt“ der Freien Universität und Mitglied des Exzellenz-Clusters „Languages of Emotion“. Gertrud Koch ist Mitherausgeberin zahlreicher internationaler philosophischer und medienwissenschaftlicher Zeitschriften. Ihre letzten Bücher …kraft der Illusion. Illusion und Filmästhetik und Inszenierungen der Politik sowie Einfühlung sind Ergebnisse ihrer Arbeitsschwerpunkte in Ästhetischer Theorie, Film- und Bildtheorie sowie Politischer und historischer Repräsentation.