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Fachleute fürs Allgemeine

Wie Literaturwissenschaftler an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule der Freien Universität herausragende Promotionsvorhaben umsetzen

04.06.2010

Wie Literaturwissenschaftler an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule der Freien Universität Berlin herausragende Promotionsvorhaben umsetzen.

Wie Literaturwissenschaftler an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule der Freien Universität Berlin herausragende Promotionsvorhaben umsetzen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Direktor der im Exzellenzwettbewerb erfolgreichen Friedrich Schlegel Graduiertenschule und der Dahlem Research School: Prof. Dr. Peter-André Alt

Direktor der im Exzellenzwettbewerb erfolgreichen Friedrich Schlegel Graduiertenschule und der Dahlem Research School: Prof. Dr. Peter-André Alt
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Er verspottete Schiller, verhöhnte Kant, parodierte Novalis: Friedrich Schlegel, der von 1772 bis 1829 lebte, gehörte zu den führenden Intellektuellen seiner Zeit. Ein beißender Kritiker, ein umtriebiger Autor, ein origineller Denker – und ein Wegbereiter der Literaturwissenschaft und der Philologie. Die nach ihm benannte Graduiertenschule an der Freien Universität Berlin betreut herausragende Promotionsprojekte, die eine Vielfalt von Themen umfassen – von der Erkundung fremder Länder in Reiseberichten bis zu Kriegen in der Literatur. Die Nachwuchs-Wissenschaftler werden intensiv gefördert, tauchen tief ein in ihr Fach und lernen zugleich interdisziplinäres Arbeiten. Dem Namenspatron ihrer Schule sollten sie allerdings nur bedingt nacheifern.  

Nein, ein besonnener, uneitler, ausgeruhter Mann war Friedrich Schlegel nicht. Er pries das Opium, zog ständig um, lebte in Jena, Leipzig, Dresden, Berlin, Paris, Wien. „Ich Flüchtling habe kein Haus“, schrieb er über sich. Schlegels Lebenswandel ließ den österreichischen Nationaldichter Franz Grillparzer staunen: „Wie er fraß und soff, und nachdem er getrunken hatte, gern mit dem Gespräch ins Sinnliche jeder Art hinüberging.“ Wahrlich, Friedrich Schlegel war kein Karriere-Gelehrter. Als jüngstes von sieben Kindern 1772 in Hannover geboren, versagte er in der Schule, brach eine Kaufmannslehre ab, ebenso ein Studium; das allerdings, weil ihm das Geld ausgegangen war, immer mal wieder. Schlegel schlug sich als Autodidakt durch.

Doch dank seiner Neugier, seiner analytischen Fähigkeiten, seiner Hartnäckigkeit und seiner Gabe als Autor avancierte er zu einem der führenden Köpfe der Jenaer Frühromantik, brachte es schließlich zu einem der bedeutendsten deutschen Intellektuellen, bis heute bewundert von Fachleuten, in höchsten Tönen gelobt etwa von Literaturkritiker Marcel-Reich Ranicki: „Kniend schrieb er niemals, aufmüpfig häufig.“ Die Freie Universität Berlin hat eine Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien nach Schlegel benannt, an der herausragende Dissertationsprojekte betreut werden (Beispiele siehe Kästen, Seiten 13, 14 und 15) und deren Konzept in der Exzellenz-Initiative erfolgreich war. 

 Feinde, Spott und beißende Kritik 

Seinen Zeitgenossen machte es Schlegel allerdings nicht leicht: Stets verstand er es, sich Feinde zu schaffen mit seinem Spott und seiner beißenden Kritik. Zu Großem fühlte er sich berufen, und mit den Großen legte er sich an. Immanuel Kant etwa nannte er einen „ehrwürdigen Weisen“, was keineswegs als Lob gemeint war. Während Kant sich auf den „ewigen Frieden“ konzentriere, beschreibe er, Schlegel, die Möglichkeiten der „Volksmajestät“ und entwerfe die „ideale Verfassung“. Wer wollte, konnte zwischen den Zeilen lesen: Lasst den alten Mann reden, ich kümmere mich um die wichtigen Dinge.

Vor allem mit Friedrich Schiller legte sich Schlegel an; er verachtete Schillers Pathos und kritisierte dessen Zeitschrift „Die Horen“ heftig, weil sie zu viele Übersetzungen bringe – was Schiller dazu bewegte, Schlegel einen „unbescheidenen, kalten Witzling“ zu nennen. Zu Schlegels Freunden und Bekannten wiederum zählten Autoren wie Tieck, Brentano und Novalis. In Salons und Hinterzimmern lasen sie einander unveröffentlichte Texte vor, parodierten sich gegenseitig und diskutierten den Lauf der Dinge. Schlegels Neugier und Interesse beschränkten sich nie nur auf ein Fach. Er schrieb über Politik und Philosophie, über Kultur, Ästhetik und das Sinnliche; er verfasste unzählige Briefe, Essays, Vorlesungen, Studien, auch Gedichte und den Roman „Lucinde“, der zuweilen als schlüpfrig bezeichnet wird, manchmal gar als pornografisch. Er forderte eine „progressive Universalpoesie“ und betätigte sich als Autor, Journalist, Redner, Gelehrter, Wissenschaftler. Einen „Fachmann fürs Allgemeine“ hat ihn Jean-Paul Sartre einmal genannt.

Vor allem aber gilt er bis heute neben Lessing als der bedeutendste deutschsprachige Literaturkritiker – und zusammen mit seinem älteren Bruder August Wilhelm als Wegbereiter der Literaturwissenschaft und der Philologie, wobei Friedrich der originellere Denker von beiden war. „Lesen heißt den philologischen Trieb befriedigen, sich selbst literarisch affizieren. Aus reiner Philosophie oder Poesie ohne Philologie kann man wohl nicht lesen“, schrieb Friedrich.

Von Bescheidenheit keine Spur

Eines war er jedoch nicht – bescheiden: „Ich fühle es klar, wie es einzig mein Beruf ist, der Schriftsteller, Dichter, Geschichtsschreiber der Nation zu sein.“ Die nach Schlegel benannte Dahlemer Graduiertenschule, in deren internationalem Beirat wissenschaftliche Größen wie der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht sitzen, will allerdings keine Geschichtsschreiber der Nation hervorbringen, keine lauten, selbstverliebten, mittellosen Intellektuellen. Vielmehr leite sich die Wahl des Namenspatrons aus der Erkenntnis ab, „dass Friedrich Schlegels Arbeit wichtige Voraussetzungen für eine theoretisch anspruchsvolle, methodisch innovative Literaturwissenschaft geschaffen hat, wie sie an der Freien Universität seit vielen Jahren erfolgreich vertreten wird“, sagt Susanne Scharnowski, Geschäftsführerin und wissenschaftliche Koordinatorin der Friedrich Schlegel Graduiertenschule (FSGS). Seit die Schule vor mehr als zwei Jahren ihre Arbeit aufnahm, ist Scharnowski dabei – und mit dem bisher Erreichten sehr zufrieden: „Jeder Doktorand taucht einerseits tief in sein Spezialgebiet ein“, sagt sie, „muss es aber andererseits immer wieder aus der Distanz betrachten, beispielsweise, wenn er es Mitdoktoranden erklärt und darüber mit internationalen Gastwissenschaftlern diskutiert.“ In regelmäßigen Colloquien tauschen sich die Doktoranden untereinander aus, diskutieren mit Betreuern und anderen Wissenschaftlern. So profitieren sie vom Wissen anderer.

Neben der intensiven Betreuung der Dissertationsvorhaben beruht das Konzept der Schule auf zwei weiteren Säulen: Zum einen beschäftigen sich die Doktoranden in Seminaren intensiv mit Methodologie und Theorie – was ihnen sowohl beim Bearbeiten des eigenen Themas  hilft als auch beim Verständnis der Fragestellungen von Kommilitonen. Zum anderen werden den Promovierenden Fähigkeiten vermittelt, die wichtig für die praktische Arbeit in einem akademischen Beruf sind. „Dazu gehören etwa Projektmanagement, Wissenschaftskommunikation in englischer und deutscher Sprache sowie Hochschuldidaktik“, sagt Scharnowski, „durch die Mitwirkung an Lehrveranstaltungen erhalten die Doktoranden zudem Gelegenheit, das theoretische Wissen einzusetzen, und sammeln erste Lehrerfahrungen.“ Ein bisschen sollen die Doktoranden so zu Fachleuten fürs Allgemeine werden, auch wenn sie natürlich vor allem in die Tiefe forschen.

Von Molekularforschung bis Islamwissenschaft

Die Workshops zu den „transferable Skills“, wie die praktischen Fähigkeiten genannt werden, finden statt im Rahmen der Dahlem Research School (DRS), an der verschiedene Promotionsprogramme koordiniert werden. Der Direktor beider Institutionen ist Peter-André Alt, Professor für Literaturwissenschaft. Er betont, wie produktiv die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Nachwuchswissenschaftler sei, und freut sich über das „breite Spektrum von der Molekularforschung bis zur Islamwissenschaft“, das unter dem Dach der DRS zusammengefasst ist. „Die meisten Programme sind interdisziplinär gefasst und entsprechen der seit Jahren verfolgten Strategie der Freien Universität, in facettenreichen, fächerübergreifenden Verbünden zu forschen“, sagt Alt.

So promovieren an der Schlegel-Schule Philosophen ebenso wie Literaturwissenschaftler. „Die Programme sind zugleich eng an die Fachdisziplinen gekoppelt“, sagt Alt. Neben der intensiven Betreuung kommen die Promovierenden der Schlegel-Schule auch in den Genuss eines Stipendiums: Bis zu 1340 Euro gibt es monatlich. Und sie profitieren von den internationalen Kooperationen. Angesehene Gastwissenschaftler halten Vorträge in Dahlem, die Doktoranden selbst können für Forschungsaufenthalte nach Cambridge, Baltimore, Paris. Momentan läuft die dritte Bewerbungsrunde, 107 potenzielle Doktoranden haben ihre Unterlagen eingeschickt. Was Geschäftführerin Scharnowski besonders freut: „Gut ein Drittel kommt aus dem Ausland.“ Das spreche dafür, dass das Ansehen der Schule auch international wachse. Zudem hat die Schule gerade ein Post- Doc-Programm ins Leben gerufen.

Bis jetzt betreut die Schule 22 Nachwuchs-Wissenschaftler, die an ihrer Dissertation arbeiten; darunter Zuzanna Jakubowski, 29 Jahre alt. Seit Oktober 2009 ist sie dabei, vorher hat sie Anglistik, Amerikanistik, Komparatistik und Medienwissenschaft studiert.

Wie geht der amerikanische Roman mit Authentizität um?

Jetzt untersucht sie, wie Autoren amerikanischer Familienromane mit Authentizität umgehen. „Es gibt ein generelles kulturelles Streben nach dem Echten“, sagt sie. Spannend sei es herauszufinden, mit welchen erzählerischen Mitteln Autoren ihre Texte authentisch wirken lassen – oder feststellen müssen, dass Authentizität nicht möglich ist. Vorläufiger Titel ihrer Arbeit: „Homely and real“. Ein anderer Doktorand heißt Jens Elze-Volland; der 30-Jährige hat in Potsdam, Berlin und in Georgia in den USA studiert. Jetzt beschäftigt er sich mit englischsprachigen Texten aus ehemaligen Kolonien. Ihn interessiert „das Prekäre dieser Literaturen“ – im Gegensatz zur eher linearen Biografie eines europäischen Bildungsroman-Protagonisten, dessen Lebensweg oft vorgezeichnet ist: Bildung, Ausbildung, Beruf. Die von Elze-Volland untersuchten Texte sind geprägt von Armut, Flucht, Wanderschaft; von Unsicherheit und unklarer Perspektive.

So unterschiedlich die beiden Themen sind, so sehr betonen beide Doktoranden, dass sie vom gegenseitigen Austausch profitierten, dass es helfe, das eigene Thema jemandem zu erklären, dessen Schwerpunkt ein völlig anderer sei. „Uns bringt der persönliche und professionelle Austausch an der Schlegel-Schule weiter“, sagt Elze-Volland. Das beginne schon im Kleinen, wenn man einfach nur ein Zimmer weitergehen müsse, um jemandem zu finden, der eine Textpassage gegenlese.

Rüstzeug für Karrieren in der Forschung, in den Medien, im Kulturbetrieb

Die meisten Doktoranden wollen in der Forschung bleiben, wenn sie promoviert haben. Sie darauf optimal vorzubereiten und zugleich das Rüstzeug für andere Karrieren mitzugeben, das sieht Geschäftsführerin Scharnowski als eine der großen Herausforderungen der Schule. „Wir tragen eine Verantwortung als Institution“, sagt sie. Schließlich sei es unwahrscheinlich, dass alle Nachwuchs-Wissenschaftler tatsächlich an der Universität bleiben könnten – „und in der Industrie gibt es keine Forschungsstellen für Geisteswissenschaftler.“ Deshalb will sie noch mehr Angebote auf Post-Doc-Ebene schaffen, aber auch die Angebote weiter ausbauen, die auf eine Tätigkeit in den Medien oder im Kulturbetrieb vorbereiten. Es gibt bereits Kooperationen mit angesehen Verlagen und Kulturzentren, so etwa mit dem Literarischen Colloquium Berlin. Denn in finanziellen Fragen ist es wenig ratsam, dem Namensgeber der Schule nachzueifern. Seine dauernde Geldnot zwang Friedrich Schlegel dazu, im eigenen Wohnzimmer Eintrittskarten für seine Vorlesungen zu verkaufen.

Von Florian Michaelis