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Augen zu und durchgeratzt

Im Kompetenzzentrum Schlafmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin werden Patienten mit Schlafstörungen behandelt und Ursachen erforscht.

23.11.2011

Augen zu und durchgeratzt. Wie Schlafstörungen behandelt werdnen und warum Handys den Schlaf nicht stören.

Augen zu und durchgeratzt. Wie Schlafstörungen behandelt werdnen und warum Handys den Schlaf nicht stören.
Bildquelle: Wilhelm Busch

Ein Schaf, zwei Schafe, drei Schafe, vier … und schon ist man im Tiefschlaf. Zumindest ist Schäfchen zählen eine von vielen volkstümlichen Weisheiten für die schnelle Reise ins Traumland. Bei Kindern genügen häufig Sandmännchen, Spieluhr oder Schlaflieder, um einzuschlummern. Bei Erwachsenen ist das oft schwieriger. Zwischen drei und 20 Prozent der Deutschen klagen über Schlafstörungen – die Zahl schwankt je nach Definition der Schlafprobleme. Im Kompetenzzentrum Schlafmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin im Stadtteil Westend werden Menschen mit Schlafstörungen ambulant und/oder stationär untersucht.

Jeder Mensch hat Phasen, in denen er schlecht schläft – sei es, weil er Stress im Beruf hat, private Probleme den Schlaf rauben oder die Sommerhitze das Einschlafen erschwert. Vorübergehende Schlaflosigkeit ist noch keine Krankheit. Wer aber dauerhaft schlecht schläft oder tagsüber müde ist und den Grund dafür nicht kennt, der sucht Rat bei Heidi Danker-Hopfe. Die Professorin für Humanbiologie leitet das Labor für Klinische Psychophysiologie und das Kompetenzzentrum Schlafmedizin. Das Schlaflabor – wie auch die gesamte Charité – gehören gleichermaßen zur Freien Universität und zur Humboldt Universität.

Die Patienten wissen meist gar nicht, warum sie schlecht schlafen. Sie merken nur, dass sie nach der Nacht nicht erholt sind, und vermuten eine Schlafstörung dahinter. In der Schlafmedizin sind die Diagnosen sehr viel präziser. „Es gibt 80 verschiedene Formen von Schlafstörungen“, sagt Heidi-Danker Hopfe. Diese Formen lassen sich in acht Gruppen zusammenfassen:

Nachts aufstehen und nichts davon merken

Besonders häufig verbreitet sind die sogenannten Insomnien, also Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen. Zu den Atmungsstörungen zählen Schnarchen und nächtliche Atemaussetzer. Wer tagsüber schläfrig ist oder sogar regelrechte Einschlafattacken hat, leidet unter einer Form der Hypersomnie. Bei der Narkolepsie, die in diese Gruppe gehört, kommt es vor, dass die Betroffenen ihre Gesichtszüge nicht mehr kontrollieren können oder beim Einschlafen halluzinieren. Extreme Morgen- und Abendtypen werden häufig als Lerchen oder Eulen bezeichnet. Wer Eule oder Lerche in einer Extremform ist, das heißt zum Beispiel erst in den frühen Morgenstunden ins Bett geht und erst gegen Mittag oder am frühen Nachmittag aufwacht, der hat eine zirkadiane Wach-Rhythmus- Störung. Bei einer Parasomnie wird das Gehirn zu unerwünschten Zeiten im Schlaf aktiviert, etwa beim Schlafwandeln. Manche Patienten stehen auch nachts auf und essen etwas, ohne es zu bemerken. Sie finden dann morgens Krümel im Bett und sind ganz erstaunt. Eine spezielle Form bei Kindern ist das Nachtterror-Syndrom – verbunden mit einem sehr lauten und heftigen Schrei, den die Kinder im Schlaf ausstoßen. Wenn die Beine kurz vor dem Schlafengehen anfangen zu kribbeln, so dass man sich unbedingt bewegen muss, spricht man vom „Restless legs“-Syndrom, allgemeiner von schlafbezogenen Be- wegungsstörungen. Selbst im Schlaf können die Beine bei diesen Patienten zucken oder wackeln. „Im Gehirn kann dadurch eine Weckreaktion ausgelöst werden“, sagt Danker-Hopfe. Als isolierte Symptome bezeichnet man das Phänomen der Kurz- und Langschläfer. Wo die Grenze dazwischen verläuft, wie viele Stunden als kurz und wie viele als lang gelten, dazu gibt es noch keine Forschungsergebnisse. Andere Schlafstörungen können körperliche, organische oder umweltbedingte Ursachen haben.

Wie aber finden die Schlafforscher heraus, unter welcher Schlafstörung der Patient leidet? „Wir haben ein ziemlich ausführliches Untersuchungsprogramm“, sagt Heidi Danker-Hopfe. Aber nicht jeder Patient wird nachts im Schlaflabor untersucht. Oft genügen einige Fragen, um die Ursache für das Schlafproblem zu klären. „Wir fragen beispielsweise, ob der Patient nachmittags noch Kaffee oder schwarzen Tee trinkt oder einen ausgedehnten Mittagsschlaf hält.“ Trifft all das nicht zu, überprüfen die Wissenschaftler und Ärzte, ob der Schlaf an den individuellen Biorhythmus angepasst ist: etwa ob jemand, der eigentlich „Nachtmensch“ ist, morgens bereits um sechs Uhr aufstehen muss, um zu arbeiten. Oder umgekehrt jemand, der eher tagaktiv ist, nachts arbeiten muss.

Auch nach Medikamenten fragen die Schlafmediziner. „Zum Beispiel Patienten mit Bluthochdruck oder psychischen Erkrankungen nehmen häufig Medikamente ein, die den Schlaf beeinträchtigen können“, sagt Heidi Danker-Hopfe. „Wir versuchen dann, mit dem behandelnden Arzt ein anderes Medikament zu finden.“ Schädlich für den gesunden Schlaf sind auch Alkohol und Drogen: „Besonders Alkohol als Selbstmedikation zum Einschlafen ist ungünstig, weil irgendwann ein Gläschen Wein möglicherweise nicht mehr ausreicht, um müde zu werden, und der Körper nach mehr verlangt.“

Bessert sich der Schlaf nach Problemanalyse, Verhaltenstipps oder neuer Medikation nicht, werden die Patienten im Schlaflabor untersucht. Wer ins Schlaflabor kommt, wird von Kopf bis Fuß verkabelt: Gemessen werden die Gehirnströme, die Muskelaktivität und die Augenbewegungen. Sensoren an Nase und Mund zeichnen die Atmung des Patienten auf, am Kehlkopf wird außerdem ein sogenanntes Schnarch-Mikrofon angebracht. Auch die Bewegungen von Brust und Bauch werden untersucht, um die Atmung zu überprüfen. Spezielle Gurte am Oberkörper des Patienten zeichnen auf, in welcher Position er schläft und wie er zwischen Seiten-, Bauch- oder Rückenlage hin und her wechselt. Mit einem Fingerclip wird der Sauerstoffgehalt im Blut gemessen. Besteht der Verdacht, dass der Biorhythmus aus dem Gleichgewicht ist, misst eine Sonde im Gesäß die Körperkerntemperatur. An den Beinen des Patienten werden ebenfalls Sensoren angebracht, um zu schauen, ob die Beine nachts zappeln. Zusätzlich wird über die gesamte Nacht ein EKG abgeleitet.

„Wer so verkabelt ist, schläft in der ersten Nacht meist nicht gut“, weiß Heidi Danker-Hopfe. Deshalb bleiben alle Patienten für zwei Nächte im Schlaflabor: Die erste dient zur Eingewöhnung, die zweite zur Diagnose. Über acht Stunden hinweg wird der Schlaf dann aufgezeichnet - und in kurzen Zeitabschnitten von 30 Sekunden ausgewertet – das ergibt insgesamt 960 Schlafepochen.

Wer Atmungsstörungen hat, dem kann mit einer Atemmaske geholfen werden, die nachts Luft zuführt. Bei Patienten mit „Restless legs“-Syndrom verbessern unter anderem Präparate mit dem Wirkstoff Dopamin den Schlaf. Das Medikament gleicht den Mangel an Dopamin im zentralen Nervensystem aus, der mit den unruhigen Beinen im Zusammenhang steht. Zur Vorsicht rät Heidi Danker-Hopfe bei Schlafmedikamenten: „Es tritt schnell ein Gewöhnungseffekt ein, und dann muss man die Dosis erhöhen – das führt häufig zu einer Abhängigkeit“, warnt sie. Für Patienten mit einer Insomnie werden unter anderem verhaltenstherapeutische Gruppen angeboten.

Handys stören den Schlaf nicht wirklich

Im Kompetenzzentrum Schlafmedizin des Universitätsklinikums, in dem elf Mitarbeiter und zehn studentische Mitarbeiter beschäftigt sind und in dem eine ganze Reihe Diplomanden und Doktoranden arbeiten, wird nicht nur Diagnose und Therapie von Schlafstörungen durchgeführt – es ist auch eine Forschungseinrichtung. 2007 veröffentlichten die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Schlafmedizin eine Studie über den Einfluss von Mobilfunksendemasten auf den Schlaf. Das Ergebnis: Es besteht kein Zusammenhang. Anlass der Untersuchung waren Klagen von Menschen, in deren Wohnumgebung Sendemasten für Handys aufgestellt wurden. Die Anwohner behaupteten, seither schlechter zu schlafen. Diesem Problem sind Danker-Hopfe und Mitarbeiter in einer wissenschaftlichen Feldstudie nachgegangen. „Sendemasten führten nur bei denjenigen Menschen zu Schlafproblemen, die daran glaubten, dass sie wegen der elektromagnetischen Felder schlechter schlafen würden – das nennt man einen Nocebo-Effekt: Teilnehmer der Studie, die erwartet hatten, dass ihr Schlaf gestört sei, haben auch in Nächten, in denen der Sendemast gar nicht in Betrieb war, schlechter geschlafen“, sagt Heidi Danker- Hopfe. Fast 400 Probanden nahmen bundesweit an der Studie teil. In einem weiteren Forschungsprojekt, das im Labor durchgeführt wurde und vom Bundesamt für Strahlenschutz gefördert wurde, fanden die Schlafforscher heraus, dass elektromagnetische Felder von Handys den Schlaf nicht akut stören.

In einer aktuellen Studie wird die Bedeutung von Schlaf für Lernen und Gedächtnisleistung erforscht. Untersucht werden Erwachsene mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, die häufig Schlafprobleme haben. „Wir vergleichen diese Gruppe mit gesunden Schläfern im gleichem Alter und gleichen Geschlechts“, sagt Heidi Danker- Hopfe. Abends werden Lernexperimente gemacht, die morgens nach dem Aufwachen wiederholt werden.

Darüber hinaus widmet sich die Arbeitsgruppe speziellen elektromagnetischen Feldern, die Polizei, Feuerwehr und andere Sicherheitsbehörden für ihre interne Kommunikation verwenden: dem sogenannten TETRA-Funk. Dazu werden Probanden je 20 Mal im Schlaflabor untersucht, um die Auswirkung dieser Felder auf den Schlaf und die Gehirnaktivität im Wachzustand zu untersuchen. Forschungsergebnisse werden für das Jahr 2013 erwartet. Bis dahin werden Probanden und auch Forscher noch einige Male schlafen müssen.