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„Wir dürfen nicht untätig bleiben“

Bundesbildungsministerin Annette Schavan über Amokdrohungen und den Nutzen des Projekts Netwass.

23.04.2012

Annette Schavan unterstützt das Netwass-Projekt.

Annette Schavan unterstützt das Netwass-Projekt.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Das Netwass-Projekt der Freien Universität will Lehrern dabei helfen, frühzeitig eine krisenhafte Entwicklung bei Schülern festzustellen, um in Zukunft das Risiko von School Shootings zu minimieren. Inwiefern ist dieses Projekt aus Ihrer Sicht notwendig, Frau Professor Schavan?

Annette Schavan: Seit 1999 ist es in Deutschland zwölfmal zu Vorfällen schwerer zielgerichteter Gewalt an Schulen gekommen. Angesichts der schlimmen Ereignisse von Erfurt oder Winnenden dürfen wir nicht untätig bleiben. Leider scheint es bisher kein Patentrezept gegen Amokläufe zu geben. Umso wichtiger ist es, dieses Thema zu erforschen.

Hinzu kommt, dass Schulen heute oft mit Amokdrohungen konfrontiert werden. Auch aus diesem Grund ist die Aufklärung von Lehrern über krisenhafte Entwicklungen bei Schülern überaus wichtig.

Warum haben Sie sich entschieden, das Kooperationsprojekt an der Freien Universität zu fördern?

Schavan: Professor Scheithauer von der Freien Universität Berlin hat sich als ausgewiesener Experte mit dem Thema intensiv befasst. Er hat im Rahmen unseres Programms zur Förderung der zivilen Sicherheitsforschung einen Forschungsantrag eingereicht. Im Projekt "Networks against School Shootings" sollen die Entwicklung und Evaluation sozialer und professioneller Netzwerke und Frühwarnsysteme zur Prävention von School Shootings und anderen zielgerichteten Gewalttaten an deutschen Schulen erforscht werden.

Sehen Sie die Schulen in der Pflicht, in stärkerem Maß Erziehungsaufgaben wahrzunehmen? Oder muss eine bessere Aufklärung bei Schülern und Eltern stattfinden?

Schavan: Wir müssen uns alle damit auseinandersetzen, wie Eltern, Lehrer und Schüler mit solchen Amokdrohungen umgehen. Der Auftrag der Schulen und des Lehrpersonals geht weit über die reine Vermittlung von Wissen hinaus. Junge Menschen brauchen Werte und soziale Tugenden, um Irrwege zu vermeiden und ihr Leben erfolgreich zu meistern. Durch Forschung erweitern wir hier die Wissensbasis, um dann möglicherweise über geeignete Schritte nachdenken und diskutieren zu können.

School Shootings erhalten in den Medien eine hohe Aufmerksamkeit. Wie beurteilen Sie den Umgang der Öffentlichkeit mit diesen tragischen Vorfällen?

Schavan: Ein verantwortungsvoller Umgang in der Berichterstattung mit solchen Ereignissen sollte für die Medien selbstverständlich sein. Der Amoklauf von Winnenden stand uns allen noch als unfassbare Tat vor Augen, da bedrohten in den folgenden Wochen immer wieder Jugendliche als Trittbrettfahrer ihre Schulen mit Amokläufen und lösten damit nicht nur Großeinsätze der Polizei aus, sondern sorgten auch bei Mitschülern, Lehrern und Eltern für ein tief sitzendes Unsicherheitsempfinden.

In welcher Weise werden Sie die Untersuchungsergebnisse des Netwass-Projekts in die Praxis umsetzen können?

Schavan: Im Rahmen der Förderung durch das Bundesbildungsministerium wurden bereits 108 deutsche Schulen mit dem Netwass-Krisenpräventionsverfahren fortgebildet. Davon haben 96 Schulen Krisenpräventionsteams eingerichtet. Im Projekt wurde ein Modell entwickelt, um das Netwass-Programm im Rahmen einer Kombination aus Schulungen und Online-Fortbildung an die Schulen zu bringen. Dieses sogenannte Blended-Learning-Konzept ist für eine einzelne Schule sehr kostengünstig. Erste Erfahrungen mit den Blended-Learning-Fortbildungen zeigen, dass es sich um ein sehr wirkungsvolles Instrument handelt. Zudem wurden 20 Schulpsychologen und Polizeibeamte ausgebildet, die das Programm in weiteren Schulen umsetzen können.