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Aus der Tiefe des Raums

Vom ältesten Stadtplan bis zum römischen Messwagen: Exponate machen die Forschungsthemen begreifbar.

25.06.2012

Groß wie ein Einfamilienhaus werfen Beamer-Projektoren die Computersimulation der Erde an die Wand. In der Vitrine unterhalb liegt eine kleine Tontafel, ein Bruchstück nur, kaum größer als der Bildschirm eines iPads. Es ist der älteste bekannte Stadtplan der Welt: Er zeigt Stadtmauern, Straßen und Tempel der sumerischen Stadt Nippur, die heute Nuffar heißt und 180 Kilometer südlich von Bagdad liegt. Fast 3500 Jahre verbarg sich die Tafel in einem Terrakotta-Krug, ehe sie der deutsch-amerikanische Professor Hermann Hilprecht 1889 bei Ausgrabungen im Land zwischen Euphrat und Tigris entdeckte und nach seinem Tod der Universität Jena vermachte.

Nun liegt die Tafel im Raum „Die Kartierung der Welt“; sie ist Teil der Ausstellung „Jenseits des Horizonts“ im Berliner Pergamonmuseum. Die gestern eröffnete Ausstellung ist eine Kooperation des Exzellenzclusters Topoi und der Staatlichen Museen zu Berlin. Topoi ist ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördertes Forschungsnetzwerk, das von der Freien Universität und der Humboldt-Universität getragen wird. Beteiligt sind auch die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, das Deutsche Archäologische Institut, das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Mehr als 200 Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen erforschen, wie Raum und Wissen in den Kulturen der Alten Welt geformt und verwandelt wurden. „Die Ausstellung ist sicherlich Höhepunkt unserer bisherigen Arbeit“, sagt Professor Michael Meyer vom Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität, der seit Februar 2011 einer der Sprecher des Exzellenz-Clusters ist. „Jenseits des Horizonts“ ist eine der wenigen Ausstellungen, in denen der Öffentlichkeit ganz anschaulich aktuelle Forschung präsentiert wird. Sie mache deutlich, wie wichtig die Forschungsfragen von Topoi auch für die Zukunft seien: „Das Altertum ist die Wiege unserer Gegenwart, denn bereits in der Antike wurde vieles angelegt, was uns bis heute prägt“, sagt Meyer.

Zum Beispiel der Jahreslauf: In Mitteleuropa begannen schon ab 4800 v. Chr. die Menschen, Kreisgrabanlagen zu errichten, an denen sie die Sonnenwenden im Sommer und im Winter ablesen konnten – die Geburt unseres heutigen Kalenders mit dem Jahresende im dunkelsten Winter.

Im Fränkischen Ippesheim hat Professor Wolfram Schier vom Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität solch eine Anlage aus der Jungsteinzeit ausgegraben. Die Ausstellung zeigt den Komplex in einem verkleinerten Nachbau – die Besucher können erleben, wie die Sonne bei einem bestimmten Stand durch die Öffnungen in den Gräben und Palisaden fällt und das Bauwerk so zu einem gigantischen Freiluftkalender wird.

Das Wissen der frühgeschichtlichen Gesellschaften wurde über Generationen, Gebirge und Meere hinweg weitergetragen und verfeinert. „Jenseits des Horizonts“ ist die erste altertumswissenschaftliche Ausstellung, die diese Entwicklungen kultur- und epochenübergreifend behandelt. „Naturräumliche Bedingungen wirken auf die Kulturen sehr stark“, sagt Kuratorin Gabriele Pieke, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Astrid Dostert die 16 Räume der Sonderschau entwickelt hat. „Viele unserer Ausstellungsstücke zeigen steingewordenes Wissen, von dem wir bis heute profitieren.“

So wurden die Erkenntnisse aus den Himmelsbeobachtungen bereits in der Antike in komplexe Rechenmodelle eingearbeitet, und es wurden danach Maschinen entwickelt: Die Ausstellung zeigt im Modell den Mechanismus von Antikythera, ein antikes Artefakt aus Zahnrädern und wohl der älteste erhaltene Analogrechner der Welt. Auf seiner Vorderseite befand sich ein Sonnenkalender, auf der Rückseite konnten die Griechen den Mondkalender, die beiden jährlichen Austragungsorte der Panhellenischen Spiele und Daten der Sonnen- und Mondfinsternisse ablesen.

In Milet hielten die Menschen die astronomischen Ereignisse in einem Steckkalender fest, die Babylonier zeichneten das Wetter auf und suchten nach Regelmäßigkeiten, um Prognosen zu erstellen. „All diese Beobachtungen des eigenen Horizontes haben die Gesellschaften der Frühgeschichte und der Antike tief geprägt“, sagt Kuratorin Dostert. So zeigt ein Raum, wie die Naturereignisse der Götterwelt zugeschrieben wurden: In Ägypten war der Gott Hapi der Bringer der Nilflut und damit Garant des Wohlstandes des Landes. Bei den Griechen lenkte Helios den von vier Pferden gezogenen Sonnenwagen über das Firmament, die Römer nannten ihn später Sol invictus – unbesiegbarer Sonnengott – und feierten seinen Geburtstag vom Jahr 275 an am 25. Dezember. Kein Wunder, dass die Kirchenväter auf diesen Tag das Geburtsfest Christi datierten – hatte Jesus sich selbst nicht als „das Licht der Welt“ bezeichnet?

„Wir liefern hier keine Materialschlacht“, sagt Pieke. Auf 1200 Quadratmetern wollen die Macher der Ausstellung vielmehr die aktuellen Forschungsthemen der Altertumswissenschaften begreifbar machen. „Wir wollen die Themen über die Exponate vermitteln“, sagt die Kuratorin, die zwei Jahre an der Vorbereitung gearbeitet hat. „Viele Objekte sind erstmalig in einem kulturvergleichenden Zusammenhang ausgestellt.“

Die Ausstellung „Jenseits des Horizonts. Raum und Wissen in den Kulturen der Alten Welt“ ist bis zum 30. September 2012 im Pergamonmuseum zu besichtigen: Museumsinsel, Am Kupfergraben 5, 10117 Berlin, Nordflügel, 1. Obergeschoss.

Weitere Informationen

Öffnungzeiten: täglich von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr.