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Verschüttetes Wissen bergen

Herausragende Forschungsergebnisse: Der Exzellenzcluster Topoi wird für weitere fünf Jahre gefördert.

25.06.2012

Der Tell Fecheriye im Nordosten Syriens, an den Quellbecken des Habur gelegen, ist einer der größten und bedeutendsten Ruinenhügel der Region. Wissenschaftler der Freien Universität forschen hier seit 2007 gemeinsam mit syrischen Kollegen.

Der Tell Fecheriye im Nordosten Syriens, an den Quellbecken des Habur gelegen, ist einer der größten und bedeutendsten Ruinenhügel der Region. Wissenschaftler der Freien Universität forschen hier seit 2007 gemeinsam mit syrischen Kollegen.
Bildquelle: Freie Universität

In der syrischen Pilgerstadt Resafa erforschen Geografen der Freien Universität im Rahmen von Topoi die komplexen Systeme der Wasserversorgung.

In der syrischen Pilgerstadt Resafa erforschen Geografen der Freien Universität im Rahmen von Topoi die komplexen Systeme der Wasserversorgung.
Bildquelle: Freie Universität

Die Globalisierung bringt Menschen unterschiedlicher Kulturen immer schneller und effektiver zusammen – durch Datenaustausch, Mobilisierung und Technik. In der Moderne werden Räume immer kleiner, Verbindungen engmaschiger. Und doch hat es Strukturen der Vernetzung schon vor Tausenden von Jahren gegeben, als Erfindungen wie das Rad den Wirkungskreis antiker Gesellschaften spürbar erweiterten.

In dem Exzellenzcluster Topoi – The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations – erforschen Experten aus 34 Disziplinen die Entstehung und Entwicklung dieser räumlichen Verflechtung. Forschungsschwerpunkt sind die antiken Zivilisationen im Vorderen Orient, vom Mittelmeerraum bis nach Eurasien und Mitteleuropa.

Dabei geht es bei dem Forscherverbund, dessen Name sich von der griechischen Bezeichnung für Ort – Topos – ableitet, nicht nur um den Raumbegriff im geografischen Sinne, sondern um gesellschaftliche, politische und mental konstruierte Räume in einer Zeitspanne vom 6. Jahrtausend v. Chr. bis etwa 500 Jahre n. Chr. – von der Jungsteinzeit bis zum Beginn des Mittelalters.

Die Wissenschaftler des Clusters, der von Freier Universität und Humboldt-Universität gemeinsam getragen wird, arbeiten bei der Beantwortung dieser Fragen eng mit außeruniversitären Einrichtungen zusammen: mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, dem Deutschen Archäologischen Institut, dem Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die Zusammenarbeit ist derart produktiv und erfolgreich ausgefallen, dass die Gutachter-Kommission der Exzellenzinitiative jetzt beschlossen hat, eine weitere Periode des Clusters zu bewilligen. Das freut Michael Meyer, Professor für Prähistorische Archäologie an der Freien Universität Berlin und dortiger Sprecher für das wissenschaftliche Netzwerk. Ein Grund für die Bewilligung waren die spektakulären Ergebnisse, die die Forscherteams in den vergangenen fünf Jahren zusammengetragen haben – unter anderem die Untersuchungen zu Wissensinnovationen im nördlichen Afrika im Teilprojekt „Zentrale Orte und deren Umwelten“. Jonas Berking von der Freien Universität hat etwa untersucht, wie die Wasserversorgung in Naga, einer zentralsudanesischen Stadt, um die Zeitenwende organisiert war. Durch aufwendige Klimamodellierungen hat der Geograf die Regenzeiten in der Region analysiert und dabei festgestellt, dass die Bewohner der Stadt trotz brütender Hitze die langen Trockenzeiten überstehen konnten. Ermöglicht wurde dies durch die Errichtung eines komplexen Wassermanagements und durch den Bau von Wasserbecken. Die Tatsache, dass die Menschen trotz starker Hitze nicht einfach wegzogen, zeige, dass es damals ein bedeutender Raum war, sagt Michael Meyer. Ein Forscherteam aus Geografen und Archäologen will jetzt in einem vergleichenden Ansatz untersuchen, wie solche Räume politisch und sozial konstituiert waren. „Wir wollen andere Fälle des Wassermanagements analysieren und uns generell die Frage stellen, wo und zu welcher Zeit Innovationen stattfinden und warum.“ Am Ende der nächsten Untersuchungsperiode soll ein Innovationsatlas entstehen, der den Wissenschaftlern dabei hilft, den Zeitraum technischer Neuheiten und den damit verbundenen Wissenstransfer zu rekonstruieren.

Die Wissenschaftler forschen nicht nur in der Ferne, sondern auch in der unmittelbaren Umgebung Berlins. Ein Team des Clusters unter Leitung von Michael Meyer hat germanische Keramikgefäße aus dem brandenburgischen Raum untersucht, die auf der Drehscheibe in der Zeit zwischen 300 und 400 n. Chr. hergestellt wurden. Um herauszufinden, wo die Waren produziert und wie sie verbreitet wurden, ließen die Wissenschaftler die Gefäße mit einem neuartigen Röntgenfluoreszenzverfahren analysieren. Es stellte sich heraus, dass die gleichen Keramiken innerhalb eines breiten Radius von mindestens 100 Kilometern gehandelt wurden. „Das ist ein viel größerer Distributionsweg, als die Forschung bislang angenommen hat“, sagt Meyer. Nach der Analyse der empirischen Daten beginnt das Interpretieren: Welches ökonomische System steckt hinter den Distributionswegen? Wie wurden Produktion, Handel und Austausch organisiert? Die rund 200 Forscher des Exzellenzclusters haben nun fünf weitere Jahre Zeit, sich diesen und anderen Fragestellungen zu widmen.