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Lern’ was mit TuWaS!

Technik und Naturwissenschaften neu erleben: Schon 100 Grundschulen nehmen am Projekt der Freien Universität teil.

27.08.2012

Aus eigener Anschauung lernen: Das Projekt TuWaS! bietet Lerneinheiten für die Klassenstufen 1 bis 6 und unterstützt Lehrkräfte an Grundschulen durch Fortbildungen und ausleihbare Experimentiermaterialien.

Aus eigener Anschauung lernen: Das Projekt TuWaS! bietet Lerneinheiten für die Klassenstufen 1 bis 6 und unterstützt Lehrkräfte an Grundschulen durch Fortbildungen und ausleihbare Experimentiermaterialien.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Booah!“ „Iiiiih!“ 25 kleine Nasen kräuseln sich. „Das sieht aus wie Griesbrei und riecht wie Hundefutter“, findet Milena. Mit den Fingern haben die Viertklässler der Erich-Kästner-Grundschule in Dahlem einen Futterbrei für kleine schwarze Raupen in runden Klarsichtdosen verteilt. Nun marschieren sie freiwillig zum Händewaschen. Auf dem Stundenplan steht ab heute der Lebenszyklus eines Schmetterlings. Auf einem quietschgelben Plakat hatten die Kinder zunächst aufgeschrieben, was sie schon über Raupen wissen. Daneben stehen 15 Fragen, die sie in den kommenden Wochen im Unterrichtsfach Naturwissenschaften klären wollen. Nawi-Lehrer Lukas Pauli fragt nach: „Was brauchen Raupen zum Leben?“ Schnips! Zwei Dutzend Hände fliegen hoch. „Essen“, „Trinken“, „und Luft!“

100 Berliner Grundschulen nehmen inzwischen am Projekt „Technik und Naturwissenschaften an Schulen“ – kurz TuWaS! – teil. Die Freie Universität Berlin und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften haben die Initiative 2008 gegründet – als Nachfolge des europaweiten Projekts „Pollen“ der Europäischen Kommission. Ziel ist es, das sogenannte untersuchende Lernen in Europa zu fördern. Das in Berlin entwickelte Projekt TuWaS! wird von der Biologie-Professorin Petra Skiebe-Corette an der Freien Universität koordiniert und unter anderem von der Senatsverwaltung für Bildung,Jugend und Wissenschaft, der TSB-Technologiestiftung Berlin und dem Logistik-Unternehmen GO! unterstützt. Die Hochschule engagiert sich mit unterschiedlichen Projekten in der Grundschulbildung sowie in der Aus- und Weiterbildung von Lehrenden. Seit dem Wintersemester 2011/12 wird der neue lehramtsbezogene Studiengang „Integrierte Naturwissenschaften“ angeboten. Die Erich-Kästner-Schule war als Pilotschule von Anfang an dabei. Mindestens vier TuWaS-Themen durchläuft hier jeder Schüler. „Wie gut es ankommt, merken nicht nur wir, sondern auch die Eltern“, sagt Lukas Pauli und schmunzelt: „Ein sicheres Indiz dafür ist die steigende Zahl der gewünschten Chemiebaukästen.“

„Da ist sie, die Raupe!“ Stephan Schmidt, der bei TuWaS! die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern betreut, hebt mit dem Pinsel vorsichtig eine kleine schwarze Raupe in die Klarsichtdose jedes Kindes – eine Art Mini-Terrarium. Dann wird die Dose schnell mit einem durchlöcherten Deckel geschlossen. „Bitte nicht wie einen Würfelbecher schütteln!“, mahnt Pauli. „Es sind Lebewesen.“ Fachmännisch greifen die Kinder zu den Lupen, die sie erhalten haben. „Oh, guck mal! Die hat ja kleine Haarbüschel!“ Der neunjährige Adrian ist besorgt. „Herr Pauli, meine bewegt sich gar nicht.“ Nun aber doch – das war wohl nur der Stress. Schon wird das erste Handy gezückt, um Fotos zu machen. „Raupen brauchen ein komisches Bett“, sagt Pauli, „sie schlafen an der Decke.“ Ach, dafür also der ausgeteilte Zellstoff. Die Deckel werden nochmal abgenommen, das Tüchlein wird über den Becher gezogen, Deckel wieder zu. „Meine schläft lieber unten“, tönt es aus der dritten Reihe.

„Lebenszyklus eines Schmetterlings“ ist eine von derzeit zehn Experimentiereinheiten aus den Bereichen Naturwissenschaften und Mathematik, die TuWas! anbietet. Sie kommen in Form einer Leihkiste an die Schulen. Darin befinden sich die Experimentiermaterialien für 30 Schüler samt Arbeitsbögen und Lehrerhandbuch. Eine eintägige Lehrerfortbildung vorab gehört ebenfalls dazu. Für Schulleiter Günter Wagner ist es das perfekte Gesamtpaket: So müssen Lehrer nicht mehr alle Utensilien einzeln zusammensuchen, basteln und Konzepte ausarbeiten: „Sie können sich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren – naturwissenschaftliches Knowhow zu vermitteln.“ Und die Schüler? „Sie lernen zu protokollieren, Ergebnisse zu vergleichen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Wissen wird fast nebenbei erworben, und Spaß haben sie auch dabei.“

Die Kinder stellen Hypothesen auf, beobachten, notieren die Ergebnisse und entwickeln wie Wissenschaftler daraus neue Fragen.

Die Kinder stellen Hypothesen auf, beobachten, notieren die Ergebnisse und entwickeln wie Wissenschaftler daraus neue Fragen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Hier lernen Kinder der Dahlemer Erich-Kästner-Grundschule den "Lebenszyklus eines Schmetterlings" kennen.

Hier lernen Kinder der Dahlemer Erich-Kästner-Grundschule den "Lebenszyklus eines Schmetterlings" kennen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Das Konzept der Experimentiereinheiten stammt aus den USA. „Die Inhalte werden von deutschen Pädagogen, die von der Senatsschulverwaltung dafür freigestellt worden sind, an die hiesigen Schulverhältnisse angepasst“, erklärt Thorsten Grospietsch vom TuWaS!-Lehrerfortbildungs- und Materialzentrum der Freien Universität. Von Anfang an sei das Projekt ein Selbstläufer gewesen: „Die Schulen haben uns mit Anfragen regelrecht überrannt.“ Inzwischen gibt es auch Anfragen zu Themenkisten für die Mittelstufe. Lukas Pauli geht im Klassenzimmer herum und schreibt mit wischfestem Stift den gewünschten Raupennamen auf den Deckel. Manche heißen Alice, schlicht Raupi oder Fienchen. Andere Jungforscher taufen ihre Raupen auf die Namen Skipper, Blümchen, Hüpfer oder Bergsteiger.

In den nächsten Wochen werden sich die Schüler immer wieder ihre Raupendöschen schnappen. Sie werden die Metamorphose von Hüpfer, Raupi oder Skipper bis zum Schmetterling in allen Phasen zeichnen, ein Laborjournal führen und Arbeitsbögen mit ihren Beobachtungen füllen. Das Freilassen der Schmetterlinge am Schluss wird zum großen Event.

Was in anderen Fächern unerwünscht ist, ist hier willkommen: Die kleinen Münder stehen nicht still. Alle wollen über das Gesehene sprechen. Eben erstmals aufgeschnappte Fachausdrücke fliegen, gekonnt eingesetzt, von Bank zu Bank. Sprachförderung zählt zu den positiven Nebeneffekten des Projekts. Besonders Kinder in sozialen Brennpunktbezirken profitierten davon, sagt Schmidt: „Jungs, die sich sonst nur mühsam einen Zweizeiler abringen, füllen ganze Seiten mit detailreichen Beschreibungen, berichteten uns Schulen aus dem Wedding.“

Das Konzept des untersuchenden Lernens geht auf. Die Kinder scheinen gar nicht zu merken, dass sie im Schulunterricht sind. Und wie viel sie dabei lernen – manche Themen sind so beliebt, dass Lehrer schon mal auf ihre Pause verzichten, weil sie von den Schülern zum Weitermachen gedrängt werden. Sogar die Fehlzeiten sind während der Projektdauer geringer. Es klingelt. Schnell verstaut Stephan Schmidt einige noch namenlose Reservetiere in Döschen. „Warum denn?“, will Timon wissen. „Naja, in der Natur überleben die meisten Raupen nicht“, erklärt Stephan Schmidt vorsichtig. „Viele werden von Vögeln gefressen oder sind zu schwach und sterben.“ Bleibt zu hoffen, dass die TuWaS!-Raupen es alle schaffen.