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Gefährlichen Viren auf der Spur

Wissenschaftler der Freien Universität forschen über die Mareksche Krankheit und Vogel-Herpesviren.

27.08.2012

Schon ein krankes Tier kann eine Katastrophe auslösen. Trotz hoher Hygienestandards sind vor allem moderne Mastanlagen anfällig für Tierseuchen.

Schon ein krankes Tier kann eine Katastrophe auslösen. Trotz hoher Hygienestandards sind vor allem moderne Mastanlagen anfällig für Tierseuchen.
Bildquelle: sioda / www.morguefile.com

Ein moderner Hühnerstall gleicht den Operationssälen eines Großklinikums: Wer die Ställe betreten möchte, muss durch eine Keimschleuse – Overall und Schuhüberzieher sind Pflicht. Bis zu 40 000 Tiere werden in den Großanlagen aufgezogen und nach fünf Wochen abtransportiert – dann sind sie schwer genug, um geschlachtet zu werden.

Betritt der Besucher den Stall, stockt ihm zunächst der Atem: 32 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit – das ist das optimale Klima für die jungen Tiere – und für Pilze, Bakterien und Viren. Ein schlampig gereinigter Transporter, eine vergessene Impfung, ein nachlässiger Bauer, der seinen Stall nicht ordnungsgemäß desinfiziert – ein krankes Tier kann eine Katastrophe auslösen.

„Die modernen Mastanlagen sind anfällig für Tierseuchen. Die hohen Hygienestandards verhindern zwar in der Regel den Ausbruch von Krankheiten, aber sie führen gleichzeitig dazu, dass in den Ställen nur die anpassungsfähigsten Keime überleben – und das sind die, die gegen gängige Antibiotika und Impfstoffe resistent werden können“, sagt Professor Benedikt Kaufer vom Institut für Virologie der Freien Universität. „Es ist ein Hase-und-Igel-Spiel“, sagt er: „Kaum hat die Forschung neue Medikamente entwickelt, muss sie nach neuen Wegen der Virenbekämpfung suchen, weil die Erreger mutieren und irgendwann resistent sind.“

Gemeinsam mit seinem Institutskollegen Professor Klaus Osterrieder hat Kaufer deshalb das 9. Internationale Treffen zur Marekschen Krankheit und Vogel- Herpesviren organisiert, das vor einigen Wochen in Berlin tagte. 120 Virologen, Veterinärmediziner, Pharmazeuten, Tierseuchenkundler und Biologen aus Asien, Australien, Nord- und Südamerika sowie Europa tauschten ihre Forschungsergebnisse aus, berieten über neue Strategien im Kampf gegen Tierseuchen und knüpften neue Kontakte.

Im Mittelpunkt der Tagung stand das Hühner-Herpesvirus 2, das die sogenannte Mareksche Krankheit bei Hühnern auslöst: Die Viren verbreiten sich über den Federstaub der Tiere. Atmet ein gesundes Huhn das Virus ein, nistet es sich zunächst in der Lunge ein, befällt später Milz und Nieren und schließlich die Nerven. Die Tiere kämpfen mit Lähmungserscheinungen, und es bilden sich regelmäßig Tumore in den Eingeweiden.

„Ist die Krankheit bei einem Tier ausgebrochen, breitet sie sich extrem schnell aus. Deshalb werden in Deutschland alle Küken geimpft“, sagt Osterrieder. Nur vordergründig ein riesiges Geschäft für Pharmahersteller, da die Impfstoffe nur wenige Zehntel eines Cent pro Dosis kosten.

Besonders die Erkenntnisse eines australischen Forscherteams um die Genetikerin Joanne M. Devlin alarmierten die Wissenschaftler und wurden rege diskutiert. Die Forscher waren bei einem Huhn auf einen Virus gestoßen, der sich offenbar aus zwei abgeschwächten Herpesviren gebildet hatte, die als Impfstoffe verwendet worden waren.

„Wie genau es dazu kommen konnte, ist noch unklar. Aber wir waren alle überrascht, weil wir nicht damit gerechnet hatten, dass ein derartiger Virus aus den Impfstoffen außerhalb des Labors entsteht“, sagt Professor Osterrieder.

Die Ergebnisse, die Devlin in Berlin vortrug, sind mittlerweile im Wissenschaftsmagazin „Science“ erschienen und dürften die Forscher weiter beschäftigen. „Kurzfristig lehrt uns der Vorfall, dass wir erstens nur einen Impfstoff pro Tier verwenden dürfen und dass wir zweitens verhindern müssen, dass diese geschwächten Viren von Tier zu Tier übertragen werden“, sagt der Wissenschaftler.

Dass der Kampf gegen die Herpesviren in der Hühnerzucht noch nicht gewonnen ist, zeigt auch ein Blick nach Polen: Dort gab es im vergangenen Jahr trotz Impfungen 29 Ausbrüche, und auch in Deutschland kann die Krankheit jederzeit wieder auftauchen: „Wir arbeiten mittlerweile mit der dritten Generation von Impfstoffen – aber das Virus verändert sich ständig. Es ist gut möglich, dass es bald Varianten gibt, denen die heute verfügbaren Impfstoffe nichts mehr anhaben können“, sagt Professor Klaus Osterrieder

Deshalb untersuchen Forscher auf der ganzen Welt, wie sich die Hühner-Herpesviren verhalten: Was passiert, wenn eine Zelle infiziert wird? Wie verändert sie sich? Wie reagiert das Immunsystem, und wie verläuft die Infektion? „Nur wenn wir den Verlauf der Krankheit vollständig verstehen, können wir gezielt nach Angriffspunkten suchen, mit denen wir das Virus stoppen können“, sagt Kaufer.

Dass sich die Forscher in Berlin so intensiv mit der Tierkrankheit befassen, könnte sich irgendwann auch für die Humanmedizin auszahlen: Auch beim Menschen werden einige Tumor-Erkrankungen durch Viren hervorgerufen – am bekanntesten sind Vertreter der humanen Papillomviren, die den Gebärmutterhalskrebs auslösen können.

Die Veterinäre hoffen, dass ihre Erkenntnisse zur Entstehung und Entwicklung von Viren in der Zukunft wichtige Hinweise für die humanmedizinische Forschung liefern könnten.

Derzeit setzen viele Forschergruppen Mäuse ein, die mit für den Menschen so gefährlichen Viren infiziert werden. Doch die Ergebnisse dieser Untersuchungen, sagt Kaufer, seien bislang nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar: „Mit den Vogel-Herpesviren haben wir ein natürliches Virus-Wirt-Modell. In einigen Fällen lassen sich Erkenntnisse aus unserer Forschung hoffentlich auf den Menschen übertragen.“