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Lesarten der Bibel

Die Islamwissenschaftlerin Sabine Schmidtke untersucht mit einem internationalen Forscherteam historische Übersetzungen der Heiligen Schrift ins Arabische.

16.10.2012

Alte Schriften im MIttelpunkt: Mit einem Team aus Forschern aus aller Welt wird die Islamwissenschaftlerin Sabine Schmidtke (3. v. l.) arabische Übersetzungen der Bibel vergleichend analysieren.

Alte Schriften im MIttelpunkt: Mit einem Team aus Forschern aus aller Welt wird die Islamwissenschaftlerin Sabine Schmidtke (3. v. l.) arabische Übersetzungen der Bibel vergleichend analysieren.
Bildquelle: E. Fessler

Grundlagenforschung, die notwendig ist – schon allein wegen der vertrackten Logistik: Wichtige Handschriften aus dem 8. und 9. Jahrhundert befinden sich an unterschiedlichen Orten, etwa in Bibliotheken in St. Petersburg, im Sinai, in Kairo, im Libanon und Syrien, aber auch in Berlin. Nur wenige Quellen sind bisher ausgewertet worden, die wenigsten wissenschaftlich diskutiert. „Das muss nachgeholt werden“, sagt Sabine Schmidtke. „Es handelt sich schließlich um Schlüsseltexte, die nicht nur für theologische, sondern auch für interkulturelle Analysen eine wichtige Rolle spielen.“

Die ersten arabischen Bibelübersetzungen werden auf das 8. Jahrhundert datiert. Ein Zeitpunkt, zu dem ein folgenreicher Paradigmenwechsel stattfindet: „Mit dem Aufkommen des Islam lässt sich relativ schnell beobachten, dass Christen, Juden und Samaritaner aufhören, ihre ursprünglichen Sprachen zu sprechen“, sagt die Islamwissenschaftlerin. Im jüdischen Raum seien das Hebräisch und Aramäisch, im christlichen Raum Syrisch, Griechisch und Koptisch gewesen – im samaritischen Raum wurden mehrere Sprachen gesprochen. Spätestens im 10. Jahrhundert hatte das Arabische alle diese Sprachen weitgehend verdrängt.

Dadurch konnten viele Gläubige die Heilige Schrift in ihren Ursprungssprachen nicht mehr lesen und verstehen. Übersetzer begannen, die Bibel ins Arabische zu übertragen – mit unterschiedlichen Vorstellungen, Ideologien und Verständnishorizonten. Um ebendiese Unterschiede geht es in dem Projekt des Forscherverbunds. „Wir haben verschiedene Übersetzungstraditionen, die sich nicht nur innerhalb der Religionen, sondern auch innerhalb der Kulturen in ihren jeweiligen geografischen Ausdehnungen enorm unterscheiden. Daraus ergibt sich ein komplexes Bild an Interpretationen, das bislang nur unzureichend erforscht worden ist.“

Zweifellos haben die Manuskripte einen enormen wissenschaftlichen Wert. Denn die Dokumente geben nicht nur Auskunft darüber, wie das arabische Christentum die Heilige Schrift verstand, sondern auch, wie verschiedene Zweige des Islam die Bibel interpretierten: „Teile der Bibel wurden als Ankündigung der Prophetie Mohammeds gelesen. Hintergrund ist das Eigenverständnis des Korans, der sich als letzte vollkommene Offenbarung sieht und sich damit in die Tradition des Alten und Neuen Testamentes stellt. Deswegen ist dieses Material für Muslime schon immer interessant gewesen.“

Hinzu kommen die verschiedenen Bibelübersetzungen von jüdischen Gelehrten, die neben den christlichen und islamischen eine dritte Übersetzungstradition begründeten. Die Frage ist nun: Wie haben die kulturellen Wertvorstellungen die Übersetzungen geprägt? Welche Begriffe und Terminologien wurden in den arabischen Übersetzungstraditionen verwendet? Wo kam es zum Dialog zwischen den Kulturen - und wo schieden sich die Geister? „Aus einer einzigen Perspektive sind diese Fragen gar nicht zu beantworten“, sagt Sabine Schmidtke. „Das ist nur in gemeinsamer interdisziplinärer Forschungsarbeit zu leisten.“

Daher wollen die Wissenschaftler das Wissen über die verschiedenen Bibelübersetzungen an zentraler Stelle bündeln und auf diesem Wege vergleichende Interpretationen ermöglichen. „Wir wollen Stimmen aus der christlichen, jüdischen und muslimischen Bibelwissenschaft zusammenbringen und mit der muslimischen Rezeption der Heiligen Schrift in Verbindung setzen.“

An dem Projekt beteiligt sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern und Disziplinen, darunter Forscher aus Tel Aviv, Cordoba, Paris und dem kanadischen Dalhousie. Gemeinsam mit ihren Kollegen hat die Islamwissenschaftlerin kürzlich die Buchreihe Biblia Arabica: Texts and Studies mit dem international renommierten Verlag Brill in Leiden begründet, deren erste Bände zu Beginn des nächsten Jahres erscheinen werden.

Zudem fand in diesem Jahr in Tel Aviv ein internationaler Workshop statt, bei dem 15 junge Bibelexperten von der Freien Universität Berlin, aus England, Spanien, Israel, Schweden und den USA ihre ersten Forschungsergebnisse präsentierten. Im nächsten Sommer sollen die Beiträge in einem Themenband der Zeitschrift Intellectual History of the Islamicate World publiziert werden. „Die internationale Forschergemeinschaft hat verstanden, wie wichtig dieses Thema ist", sagt Sabine Schmidtke. Jetzt sei es Zeit, mit vereinter Kraft mit der Forschung zu beginnen.