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Vom Obduktionssaal auf die Showbühne

Rechtsmediziner Michael Tsokos von der Charité – Universitätsmedizin Berlin tritt in der Öffentlichkeit für eine realistische Darstellung seines Berufes ein.

16.10.2012

Erfolgreiches Autorenduo: Michael Tsokos (links) hat gemeinsam mit dem Bestseller-Autor Sebastian Fitzek einen Thriller herausgebracht.

Erfolgreiches Autorenduo: Michael Tsokos (links) hat gemeinsam mit dem Bestseller-Autor Sebastian Fitzek einen Thriller herausgebracht.
Bildquelle: Finepic / Helmut Henkensiefken

Ob beim „Tatort“ oder beim Hollywood-Thriller: Wenn Michael Tsokos nach Feierabend auf dem heimischen Sofa Rechtsmedizinern und Forensikern bei der Arbeit zusieht, stehen ihm oftmals die Haare zu Berge – und das nicht aus Ekel. „In Filmen werden viele Irrtümer verbreitet“, sagt der Professor, der das Institut für Rechtsmedizin an der Charité leitet, dem gemeinsamen medizinischen Fachbereich von Freier Universität und Humboldt-Universität. Nach zwei Büchern über Leichen, die er wegen ungeklärter Todesursachen auf seinem Obduktionstisch in Berlin-Moabit seziert hatte, hat Tsokos nun erstmals das Reich der Fiktion betreten: Der Thriller Abgeschnitten entstand in Zusammenarbeit mit dem Bestseller-Autor Sebastian Fitzek.

Kennengelernt haben sich Michael Tsokos und Sebastian Fitzek vor Jahren bei einer Talkshow, in der sie ihre damals jüngsten Bücher vorstellten. Der Gedanke eines gemeinsamen Projekts wurde bei einem zufälligen Wiedersehen während der „Langen Nacht der Pathologie“ an der Charité geboren - „nachts um eins an der Würstchenbude“, erinnert sich Tsokos.

Ein Jahr lang feilten Fitzek und Tsokos gemeinsam an Handlung und Figuren. Nun signalisieren eine scharfkantige Rasierklinge und blutrote Buchstaben auf dem Cover, dass in dieser Zeit keine Geschichte für Zartbesaitete entstanden ist. Nach den Worten des Verlags treffen hier „der Meister des Wahns“ und „die Nr. 1 der Rechtsmedizin“ aufeinander.

Bei dieser Zusammenarbeit von Autor und Wissenschaftler wurde jedoch nicht um einzelne Formulierungen oder Spannungsbögen gerungen, vielmehr berichtet Michael Tsokos von einer effizienten Arbeitsteilung: „Zu Papier gebracht hat die Geschichte Sebastian Fitzek, Idee und wissenschaftliches Know-how stammen von mir.“ So basiert der Thriller auf einem Einfall zu Tsokos‘ Zeiten an der Universität Hamburg. Dort war er vor seinem Wechsel nach Berlin im Jahr 2006 tätig: „Beruflich musste ich damals öfter nach Helgoland, aber wegen Stürmen war die Insel immer wieder einmal für einige Tage abgeschnitten“, erzählt der Rechtsmediziner, „ich habe mich in solchen Situationen gefragt, was eigentlich passieren würde, wenn man dort unbedingt ein Sektionsergebnis bräuchte, aber kein Spezialist vor Ort wäre.“

Im Roman gerät eine junge Comiczeichnerin in genau diese Situation: Auf Helgoland von der Außenwelt abgeschnitten, wird sie von einem Rechtsmediziner telefonisch zur Obduktion einer Leiche angeleitet. Die Ermittler auf dem Festland vermuten darin nämlich die Botschaften eines Mörders. „Wir haben auch in der Realität Fälle, bei denen Täter Hinweise am Tatort oder am Leichnam hinterlassen, beispielsweise eine Aufschrift mit Lippenstift“, sagt Tsokos. Meist passiere so etwas allerdings unabsichtlich: Generell seien die Mörder in Filmen und Büchern deutlich schlauer als die Täter im wahren Leben.

Zurück zu den Tatsachen kehrt Tsokos im März des kommenden Jahres mit seiner dritten Fallsammlung Die Klaviatur des Todes. Im Mittelpunkt werden dabei neue Techniken der Forensik stehen, Untersuchungsmethoden mit dem Computertomografen etwa oder DNS-Analysen. „Außerdem geht es um Fälle aus der jüngeren Vergangenheit, an die sich viele Menschen vielleicht noch erinnern“, sagt Tsokos, „den Berliner ,Puzzle-Mord‘ zum Beispiel.“ Dieser wurde zu Beginn dieses Jahres aufgeklärt, nachdem in der Spree mehrere Rollkoffer mit Leichenteilen entdeckt worden waren. Angesichts der rund 2000 jährlichen Fälle bringt es der Rechtsmediziner auf einen umfangreichen Erfahrungsschatz – von Sondereinsätzen wie bei der Identifikation der deutschen Tsunami-Opfer in Thailand 2004 einmal ganz abgesehen, für den er und sein Team mit dem Medienpreis Bambi ausgezeichnet wurden.

Von diesem Wissen profitieren auch die Medizinstudenten der Charité – im Wintersemester unter anderem in der Hauptvorlesung Rechtsmedizin. Trotz einer bundesweiten Reihe von Lese-Shows zu Abgeschnitten müssen die Studierenden im Oktober nicht auf ihren Professor verzichten - Tsokos wird in dieser Zeit zum Vielflieger. Nicht etwa, um in staubigen Buchhandlungen mit Wasserglas zu lesen, sondern um multimedial unterstützt und vor großem Publikum über die realen Umstände im Obduktionssaal aufzuklären.