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„Hier wurden Standards gesetzt“

620 Absolventen in fünf Jahrzehnten: Erste Logopädenschule Deutschlands feierte runden Geburtstag.

17.10.2012

Ehrung für verdienstvolle Arbeit: Birgit Sonntag (links), die 26 Jahre lang leitende Lehrlogopädin der Schule war, und ihre Nachfolgerin Barbara Ries.

Ehrung für verdienstvolle Arbeit: Birgit Sonntag (links), die 26 Jahre lang leitende Lehrlogopädin der Schule war, und ihre Nachfolgerin Barbara Ries.
Bildquelle: privat

Es ist ein Chor der besonderen Art, der am letzten Sonnabend im September in der Gesundheitsakademie der Charité in Wedding erklang: Im Aphasiker Chor Berlin singen Patientinnen und Patienten, die durch eine Hirnschädigung von der Es ist ein Chor der besonderen Art, der am letzten Sonnabend im September in der Gesundheitsakademie der Charité in Wedding erklang: Im Aphasiker Chor Berlin singen Patientinnen und Patienten, die durch eine Hirnschädigung von der Sprachstörung Aphasie betroffen sind.

Der Anlass für den ersten öffentlichen Auftritt des Chores hätte nicht würdiger sein können: Die erste Logopädenschule Deutschlands feierte ihr 50-jähriges Bestehen – mit Vorträgen, einer Ausstellung zur Logopädenausbildung und viel Musik. Etwa 620 Logopädinnen und Logopäden haben im Laufe der fünf Jahrzehnte an der Berliner Schule diagnostische und therapeutische Kenntnisse erworben, um Patienten zu behandeln, die aufgrund von Beeinträchtigungen der Sprache, des Sprechens, der Stimme, des Schluckens oder des Hörens in ihrer Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt sind.

Ein halbes Jahrhundert ist eine lange Zeit. Kein Wunder also, dass die Vergangenheit an diesem Tag eine große Rolle spielte in den Vorträgen und Grußworten. „Es war eine Zeit, in der viel passiert ist“ sagt Birgit Sonntag, die 26 Jahre lang leitende Lehrlogopädin an der Schule war. „Ich erinnere mich mit viel Freude daran, weil wir ein so lebendiges Team waren. Die Lehrenden und Schüler brachten ständig neue Ideen ein.“

In der Geschichte der ersten Logopädenschule Deutschlands spiegelt sich auch die Geschichte der Logopädie wider, wie die Festredner deutlich machten. Schon Mitte der 1950er Jahre hatte sich der Phoniater und spätere ärztliche Leiter der Berliner Logopädenschule, Professor Hermann Gutzmann jun., um die Gründung einer Lehranstalt bemüht. „Er merkte irgendwann, dass er die Behandlung der Sprach- und Stimmgestörten nicht mehr allein schaffte“, sagt Professor Manfred Gross, Direktor der Klinik für Audiologie und Phoniatrie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Er brauchte Menschen, die ihn bei der Therapie unterstützten. Da kam ihm – und fast zeitgleich auch anderen in Europa – die Idee, auf die Bedürfnisse mit einem neuen Berufsbild zu reagieren: das des Logopäden.“ Die Idee war, „Helfer“ auszubilden, die selbst keine Ärzte sind.

1962 war es so weit. Die ersten deutschen Logopädinnen drückten die Schulbank an der staatlichen Lehranstalt für Logopäden der Poliklinik für Stimm- und Sprachkranke der Freien Universität Berlin in der Dahlemer Straße Im Dol. Die Berliner Schule blieb zwei Jahre lang die einzige ihrer Art in Deutschland. Sie hatte einen maßgeblichen Anteil daran, dass die Logopädie allmählich ein eigenes Profil und ein eigenes Curriculum entwickelte. Lehrer und ehemalige Absolventen trugen dazu bei, sowohl die Ausbildung als auch theoretische und praktische Aspekte des Berufsbildes weiterzuentwickeln. „Die Ausbildungsstätte hat nicht nur in ihrer Gründerzeit den Anstoß dafür gegeben, das Berufsbild der Logopädin beziehungsweise des Logopäden in Deutschland zu etablieren“, würdigt Mario Czaja, Berliner Senator für Gesundheit und Soziales, die Verdienste der Schule. „Die Schule hat sich auch weit über Berlin hinaus einen hervorragenden Ruf erarbeitet und Standards in der Logopäden-Ausbildung gesetzt.“

Ähnlich wie der neue Berufsstand selbst musste sich die Berliner Schule immer wieder an Veränderungen im Gesundheits- und Bildungsbereich anpassen. 1995 zog die Einrichtung als Lehranstalt für Logopäden, neu angesiedelt an der Klinik für Audiologie und Phoniatrie des Universitätsklinikums Benjamin Franklin der Freien Universität, in die Dahlemer Fabeckstraße 60-62 um. Seit 2008 gehört die Schule als „Ausbildungsbereich Logopädie“ gemeinsam mit anderen Fachbereichen in den Gesundheitsberufen zur Gesundheitsakademie der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Heute zeichnet sich die Ausbildungsstätte durch ein klares Motto aus: „Unser Credo ist die Verknüpfung von Theorie und Praxis“, sagt Barbara Ries, leitende Lehrlogopädin. Die Ausbildungsteilnehmer beobachten die Lehrlogopädinnen bei ihrer Arbeit mit den Patienten und erhalten von diesen eine kontinuierliche Begleitung durch Supervision, wenn sie später eigenständig Patienten behandeln.

Eine Herausforderung der Gegenwart und nahen Zukunft ist für die Logopädie das Thema Akademisierung – der Übergang von einem klassischen Ausbildungsberuf hin zu einem Hochschulstudium. Früher stellte der Arzt die Diagnose, die Logopädin oder der Logopäde übernahm die Therapie. Im Laufe der Jahre wurde die Logopädenausbildung mehr und mehr professionalisiert und orientierte sich am Standard der europäischen Nachbarn. „Wir als Logopädinnen haben die Akademisierung von Anfang an angestrebt, denn das entspricht der Komplexität des Berufes“, sagt Barbara Ries, und Professor Manfred Gross ergänzt: „Die Akademisierung ist erforderlich, weil die Krankenkassen in Zukunft wahrscheinlich nur noch solche Therapien bezahlen werden, deren Wirksamkeit wissenschaftlich bewiesen ist.“ Beide sehen dieser Herausforderung deshalb gelassen entgegen.