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Vielfalt statt Einfalt

Gudrun Krämer von der Freien Universität forscht über politische Facetten islamischen Denkens.

13.12.2012

Beten gen Mekka: In Ägypten ringen islamistische, säkulare, liberale und nationalistische Kräfte um die Vorherrschaft.

Beten gen Mekka: In Ägypten ringen islamistische, säkulare, liberale und nationalistische Kräfte um die Vorherrschaft.
Bildquelle: istockphoto/distinctivimages

Der Nahe Osten durchlebt aktuell eine Zeit großen Wandels. In Ägypten beispielsweise gibt es derzeit heftige Konflikte um den Verfassungsentwurf von Präsident Mohammed Mursi. Gudrun Krämer verfolgt die Entwicklungen in der Region und besonders in Ägypten seit vielen Jahren. Sie ist Leiterin des Instituts für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Direktorin der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies.

„Im Zuge des Arabischen Frühlings haben in Ägypten islamistische Kräfte die Wahlen gewonnen“, sagt Krämer. „Sie versuchen nun, ihr Programm umzusetzen, die ägyptische Gesellschaft zu islamisieren.“ Dabei komme es zu heftigen Auseinandersetzungen mit säkularen, liberalen und nationalistischen Kräften.

„Es geht um den Stellenwert des Islam, genauer gesagt der Scharia – also der islamischen Rechts- und Werteordnung – in Staat, Recht und Gesellschaft, namentlich in der neuen ägyptischen Verfassung.“ Kontrovers sei dabei nicht so sehr, dass die Prinzipien der Scharia Grundlage der Gesetzgebung sein sollen. „Vielmehr ist umstritten, was das im Einzelnen bedeutet, wie die Scharia verstanden werden soll, und wie sie sich beispielsweise auf die Rechte von Frauen und Nichtmuslimen auswirkt“, betont Gudrun Krämer. Für die Wissenschaftlerin sind die Debatten um die Verfassung ein Musterbeispiel für einen heftig umkämpften „islamischen Diskurs“. Anders als es dem westlichen Beobachter erscheinen mag, ist das islamische Denken keineswegs einheitlich, sondern äußerst vielgestaltig. Der islamische Diskurs sei dabei Teil einer Auseinandersetzung um moralische Werte, soziale Normen und politische Institutionen.

Mit diesem Thema beschäftigt sich Gudrun Krämer im Rahmen des von ihr geleiteten Forschungsschwerpunkts „Islamic Discourse Contested“, also islamischer Diskurs im Widerstreit. „Wir untersuchen die ideengeschichtliche Entwicklung des Diskurses. Außerdem analysieren wir seine soziale und politische Breitenwirkung.“

Der Schwerpunkt ist Teil des Forschungsverbundes „Europa im Nahen Osten – Der Nahe Osten in Europa“ (EUME), der 2006 in Anschluss an den „Arbeitskreis Moderne und Islam“ (AKMI) gegründet wurde. Getragen wird er vom Wissenschaftskolleg zu Berlin, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Fritz Thyssen Stiftung. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in dem Forschungsprogramm beschäftigen sich mit Problemen kulturellen Verständnisses. Die öffentliche Diskussion der Beziehungen Europas zu den arabischen Staaten des Nahen Ostens ist häufig geprägt von Bedrohungsszenarien und einem Denken in Gegensätzen. Dagegen setzt EUME darauf, die politischen, religiösen und kulturellen Verflechtungen zwischen Europa und dem Nahen Osten zu erforschen.

Im Zentrum steht ein Postdoktoranden-Programm. „Wir laden alljährlich zehn Nachwuchswissenschaftler nach Berlin ein, die meisten aus dem Nahen Osten“, sagt Gudrum Krämer. „Für die Dauer eines akademischen Jahres können sie hier an ihren selbstgewählten Forschungsvorhaben arbeiten.“

Das Projekt sei nicht nur von offenkundiger gesellschaftspolitischer Relevanz. Es unterstreiche auch die Möglichkeiten und den Mehrwert wissenschaftlicher Zusammenarbeit am Forschungsstandort Berlin. Gudrun Krämer schätzt vor allem die zwanglose Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen der Berliner Universitäten, der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies, des Zentrums Moderner Orient und den Fellows des Forums Transregionale Studien, zu dem auch der Forschungsverbund EUME zählt. „Über Workshops, Konferenzen und Vorträge tauschen wir uns aus.“ Die Zusammenarbeit sei für die Nachwuchswissenschaftler und für ihre etablierten Kollegen gleichermaßen fruchtbar. „Davon profitieren auch unsere Studierenden und Promovenden.“