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Gefährliche Liebe

An der Freien Universität Berlin werden die Ursachen und Auswirkungen von Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung untersucht.

25.02.2013

Die Überschrift, die vor knapp drei Jahren auf der Titelseite der ugandischen Boulevard-Zeitung „Rolling Stone“ prangte, war unmissverständlich: „100 Fotos von Ugandas Top-Homos – hängt sie“ war dort in großen Lettern zu lesen. Darunter zu sehen: Bilder bekennender oder angeblicher Homosexueller, gelistet mit Namen und Adresse. Ein solcher öffentlicher Aufruf zur Gewalt gegen Homosexuelle ist in dem ostafrikanischen Staat keine Seltenheit. Schwule und Lesben werden nicht nur von einem Großteil der Bevölkerung geächtet, sondern auch von staatlicher Seite aus diskriminiert: Gleichgeschlechtliche Liebe wird kriminalisiert und mit hohen Geld- oder Gefängnisstrafen belangt.

Uganda ist kein Einzelfall. Ob Peitschenhiebe oder lebenslange Haft: In weltweit 78 Ländern werden Homosexuelle kriminalisiert und betraft, darunter sind überwiegend islamische Staaten. Im Iran, Jemen, Sudan, in Saudi-Arabien, Mauretanien, Somalia und Teilen Nigerias droht Homosexuellen gar die Todesstrafe.

Die staatlich legitimierte Verfolgung führt dazu, dass Homosexuelle quasi zu rechtlosen Subjekten erklärt werden. Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Opfer einer Straftat geworden sind, schweigen oft und zeigen diese nicht an – aus Angst vor Repressionen der staatlichen Behörden.

„Die Forschung muss die Menschenrechtsdimension dieser Anfeindungen und Ausgrenzungen ernst nehmen“, sagt Professor Hans-Joachim Mengel. Der Politologe und Rechtswissenschaftler leitet an der Freien Universität Berlin ein Zentrum, in dem die Ursachen und Wirkungen der Diskriminierung aufgrund sexueller Neigungen erforscht werden. 2007 als studentische Initiative gegründet, ist das am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft angesiedelte Center for the Study of Discrimination Based on Sexual Orientation (CSDSO) bis heute einmalig in der deutschen Wissenschaftslandschaft. „Forschungen zu diesem Thema werden häufig als Betroffenheitswissenschaft abgetan“, sagt René Mertens, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am CSDSO tätig ist, „ich werde oft gefragt, ob ich denn selbst schwul sei oder warum ich sonst die Diskriminierung Homosexueller untersuche.“

Das Center ist bislang in den Arbeitsbereich von Hans-Joachim Mengel integriert und lebt vom Engagement des Professors und der Studierenden. Es erhält keine zusätzlichen Ressourcen. Dem Leiter geht es nach eigenen Angaben in erster Linie darum, Studenten möglichst früh in einen Forschungsprozess, der sie interessiert, einzubeziehen. Ähnliche Modelle habe er bei Aufenthalten in Yale und Harvard kennengelernt.

Im Mittelpunkt der Forschungen und der Lehre des Centers steht die Frage, wie die Freiheit sexueller Orientierung völkerrechtlich als elementares Menschenrecht anerkannt werden kann. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen heißt es zwar, jeder habe Anspruch auf die in der Charta verkündeten Rechte und Freiheiten ohne einen Unterschied, „etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion (…)“. Dass Menschen jedoch auch aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in vielfältiger Weise diskriminiert werden können, wurde 1948 bei der Unterzeichnung der Erklärung nicht bedacht. „Homosexualität wurde damals noch als Krankheit angesehen und als Thema tabuisiert“, sagt Mengel.

Neben dem rechtlichen spiele aber auch der gesellschaftliche Aspekt der Diskriminierung eine große Rolle für die Arbeit am CSDSO. Es sei eine Sache, Homo-, Bi- oder Transsexuelle staatlich zu schützen, etwa über rechtliche Diskriminierungsverbote oder Gleichstellungsgesetze. „Dieses Bewusstsein dann aber auch in der Gesellschaft herbeizuführen, ist noch einmal etwas ganz anderes“, sagt der Wissenschaftler.

Besonders deutlich wird das am Beispiel Südafrika: Der Staat zählt weltweit zu den wenigen, die ein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung in ihrer Verfassung verankert haben. Seit 2006 sind hier auch gleichgeschlechtliche Ehen rechtlich anerkannt. Wirklich angekommen ist dieser Wandel in der Gesellschaft jedoch noch nicht: Die Rate der Gewaltdelikte gegen Homosexuelle in Südafrika ist besonders hoch. Vor allem bei der ärmeren Bevölkerung hält sich hartnäckig der Irrglaube, eine homosexuelle Frau sei mit einer Vergewaltigung wieder auf den heterosexuellen „Pfad der Tugend“ zurückzuführen.

So unterschiedlich die Arten der Diskriminierung weltweit sind, eine wesentliche Ursache haben sie gemein: den religiösen Einfluss. „Insbesondere die katholische Kirche, christliche Fundamentalisten und eine starke Strömung des Islam bilden die gesellschaftliche und politische Legitimation dieser Verfolgung“, sagt Hans-Joachim Mengel.

Schwierige Voraussetzung – wie soll da ein gesellschaftlicher Wandel herbeigeführt werden? „Durch Bildung“, sagt René Mertens, „sie ist ein Kernelement, wenn es darum geht, Diskriminierung wie diese zu bekämpfen.“ Dabei würden Universitäten eine große Rolle spielen, denn „hier werden die Leute ausgebildet, die den gesellschaftlichen Umbruch unterstützen können, etwa Lehrer und Journalisten.“

Auch für Deutschland wäre das wichtig: Zwar wurde der Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuches, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, seit 1969 nicht mehr angewandt und 1994 endgültig abgeschafft. „Es dauert aber sehr lange, bis dies im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen ist“, sagt der Rechtswissenschaftler und Politologe Mengel.

Dem stimmen Neslihan Yatkin und Eda Karabulut zu. Die beiden Lehramtsstudentinnen der Freien Universität haben das Seminar „Gender, sexuelle Orientierung und Menschenrechtsschutz“ am CSDSO besucht. „Ich habe ein Praktikum an einer Grundschule gemacht und war erstaunt, wie abwertend über Homosexualität auf dem Schulhof gesprochen wurde“, erinnert sich Eda Karabulut. „Als Ethiklehrerin möchte ich meine Schüler daher später aufklären.“ Demnächst wollen die beiden jungen Frauen zurück an die Schule gehen – mit einem Fragebogen, den sie selbst entwickelt haben, wollen sie herausfinden, worin die abwertende Haltung der Schülerinnen und Schüler gegenüber Homosexualität begründet liegt.

Professor Mengel freut das Engagement der Studentinnen. In der Anfangszeit habe es am Center for the Study of Discrimination Based on Sexual Orientation vollkommen überfüllte Veranstaltungen gegeben, sagt Hans-Joachim Mengel. Thematisch ähnliche Seminare waren zuvor an der Universität einfach nicht im Angebot. Heute hat sich die Teilnehmerzahl im normalen Bereich eingependelt. Für den Wissenschaftler ist das ein gutes Zeichen: „Wir haben es geschafft, unser Thema zu integrieren, es ist nichts Exotisches mehr auf dem Lehrplan“, sagt Mengel.