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Forschung für einen gesicherten Zugang zu sauberem Wasser

Wissenschaftler untersuchen Wassereinzugsgebiete in Kasachstan und Kirgisistan und suchen gemeinsam mit der Bevölkerung nach Wegen für eine nachhaltigere Nutzung der lebenswichtigen Ressource

16.04.2013

Gut gerüstet: Wissenschaftler und Studierende beladen Packpferde für eine Exkursion ins Ükök-Tal.

Gut gerüstet: Wissenschaftler und Studierende beladen Packpferde für eine Exkursion ins Ükök-Tal.
Bildquelle: Grundig/Rost

Der Chui ist ein hierzulande kaum bekannter Fluss. Dabei ist er mit mehr als 1000 Kilometern länger als Mosel und Main zusammen. Er ist nicht sonderlich breit, und er mündet auch nicht ins Meer, sondern versickert irgendwo in der kasachischen Steppe – je nach Wetter und Jahreszeit mal früher, mal später. Doch für die wasserarme Region ist der Chui die wichtigste Lebensquelle: Ein riesiges Bewässerungssystem aus Zeiten der Sowjetunion leitet das Wasser des Flusses durch Kanäle auf die Felder. Ihre Erträge versorgen die kirgisische Hauptstadt Bischkek ebenso wie die Bewohner der kasachischen Provinz Zhambyl.

Die grenzüberschreitende Versorgung mit frischem Wasser ist jedoch in Gefahr: Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verfolgen die ehemaligen Unionsrepubliken Kasachstan und Kirgisistan, die nun beide unabhängig sind, eigene Interessen. Die alte Infrastruktur zur Versorgung mit Wasser verfällt immer mehr, politisch wird ein Konflikt um die Ressourcen geführt: Zu Sowjetzeiten belieferte das in der Steppe gelegene Kasachstan die rohstoffarme Kirgisische Republik mit fossilen Brennstoffen und erhielt im Gegenzug deren Wasser aus den niederschlagsreichen Bergen.

Heute verkauft Kasachstan Gas und Öl lieber zu Weltmarktpreisen an China, Russland und Europa. Energie, die in Kirgisistan fehlt, besonders im Winter. Dann werden Stauseen, die noch aus der Sowjetzeit stammen, abgelassen, um Strom zu erzeugen – und dieses Wasser wiederum fehlt im Sommer, wenn in der kasachischen Steppe Trockenheit herrscht und die Felder bewässert werden müssen.

Mit der Frage, wie nachhaltiges Landnutzungs- und Ressourcenmanagement in Wassereinzugsgebieten betrieben werden kann – sogenanntes Integrated Watershed Management –, befassen sich seit Anfang 2010 Wissenschaftler vom Institut für Geografische Wissenschaften der Freien Universität Berlin, vom Institut für Kulturgeografie der Universität Freiburg und der Fakultät für Geografie und Ökologie der Kirgisischen Nationaluniversität in Bischkek.

Dabei helfen die deutschen Wissenschaftler ihren Kollegen in Kirgisistan, einen interdisziplinär angelegten Masterstudiengang aufzubauen, der die nachhaltige Nutzung von Wasser, Weiden und anderen natürlichen Ressourcen in Wassereinzugsgebieten zum Thema hat. Gefördert wird das Projekt von der Volkswagenstiftung.

Das Wasser des Gebirgsflusses Ükök wird von den Bauern zur Bewässerung der Felder genutzt.

Das Wasser des Gebirgsflusses Ükök wird von den Bauern zur Bewässerung der Felder genutzt.
Bildquelle: Grundig/Rost

Im Winter werden Stauseen abgelassen um Strom zu erzeugen

Für diesen Studiengang muss auch Lehrpersonal vor Ort geschult und ausgebildet werden. Daher sind fünf kirgisische Nachwuchswissenschaftler in das Projekt eingebunden, die nach ihrer Promotion als Dozenten in dem neuen Studiengang unterrichten sollen. Gemeinsam mit den deutschen Wissenschaftlern und Studierenden der Freien Universität erforschen sie das Flusseinzugsgebiet des Ükök in der Nähe des kleinen Dorfes Kara-Suu, vier Autostunden von der kirgisischen Hauptstadt Bischkek entfernt.

„Wir haben dieses Dorf gewählt, weil es typisch ist für die stark ländlich geprägte Gebirgsregion Zentralkirgisistan“, sagt Professor Tilman Rost von der Freien Universität, der das Projekt zusammen mit seiner Professorenkollegin Brigitta Schütt, dem Freiburger Professor Jörg Stadelbauer und dem promovierten Wissenschaftler Tolkunbek Asykulov von der Universität in Bischkek leitet. Er war selbst mehrfach für Feldstudien in Kara-Suu am Ükök, ein Fluss, der den Chui speist und dessen Wasser so wichtig ist für die Bewässerungsgebiete in Nord-Kirgisistan und Süd-Kasachstan.

Rost hat am Institut in Berlin eine Gruppe von elf Studierenden gewonnen, die in den vergangenen drei Sommern für mehrere Wochen auf eigene Kosten nach Zentralasien reisten und dort mit den kirgisischen Doktoranden des Projekts forschten. Vor Ort sammelten sie Daten über den Gletscherrückgang im Gebirge, wie stark die Almen und Wiesen von Überweidung bedroht sind, den Zustand der landwirtschaftlichen Bewässerungsinfrastruktur und die Wasserversorgung der privaten Haushalte von Kara-Suu. Während der Wintermonate werden diese Daten bei Gegenbesuchen der kirgisischen Doktoranden in Berlin und Freiburg mithilfe verschiedener Laboruntersuchungen, von Statistikprogrammen und geografischen Informationssystemen aufbereitet und ausgewertet. Das Projekt verfolgt dabei den Ansatz Hilfe zur Selbsthilfe: „Wir wollen unsere Partner in Kirgisistan nicht belehren oder ihnen fertige Lösungen präsentieren“, sagt Rost. Vielmehr versuchen die Wissenschaftler zusammen mit der Bevölkerung, Probleme bei der nachhaltigen Ressourcennutzung zu identifizieren und gemeinsam Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. „Es ist ein langer Prozess“, sagt der Professor für Physische Geografie: „Aber wir sehen, dass unsere Arbeit erste Ergebnisse bringt.“

Auch in Kasachstan arbeiten Professorin Schütt und Professor Rost mit ihrem Kollegen Lutz Mez vom Forschungszentrum für Umweltpolitik an der Freien Universität und anderen Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen in einem ähnlichen Projekt zusammen: An der Deutsch-Kasachischen Universität in Almaty entsteht, gefördert vom Deutschen Akademischen Auslandsdienst, ein interdisziplinärer Masterstudiengang „Integriertes Wassermanagement in Zentralasien“.

Auch in diesem Projekt werden fünf junge zentralasiatische Nachwuchswissenschaftler vor Ort in Almaty und in Berlin als zukünftige Dozenten in dem neuen Masterstudiengang ausgebildet und sollen – wie ihre kirgisischen Kollegen – später als promovierte Wissenschaftler ihre Fähigkeiten in die nachhaltige Ressourcennutzung in Zentralasien einbringen.