Springe direkt zu Inhalt

Futtern für die Gesundheit

Wie Darmbakterien helfen könnten, Antibiotika in der Ferkelaufzucht einzusparen

08.08.2013

Gesündere Tiere durch wenigerMedikamente. Veterinärmediziner der Freien Universität Berlin erforschen, ob und wie Probiotika den Einsatz von heute üblichen Arzneimitteln in der Tieraufzucht reduzieren können.

Gesündere Tiere durch weniger Medikamente. Veterinärmediziner der Freien Universität Berlin erforschen, ob und wie Probiotika den Einsatz von heute üblichen Arzneimitteln in der Tieraufzucht reduzieren können.
Bildquelle: Sonja Martens

Manchmal sind es kleine Kügelchen, öfter jedoch ein matt-weißliches Pulver. Beides sieht nicht besonders spektakulär aus. Doch soll es kleine Wunder bewirken – zumindest im Stall. Die Rede ist von Probiotika: lebende Mikroorganismen wie Milchsäurebakterien oder Hefen, die dem Tierfutter zugesetzt werden – und die im Darm von Schweinen für mehr Gesundheit sorgen sollen.

Besiedeln die zugefütterten Bakterien den Darm, gewinnen dort solche Mikroben die Oberhand, die sich günstig auf die Gesundheit des Tieres auswirken. Die ungünstigen und bisweilen krankmachenden Darmkeime werden zurückgedrängt. Probiotika sprechen möglicherweise direkt das Immunsystem an und bewirken so, dass das Tier weniger anfällig für Krankheiten wird. Ziel sind gesündere Tiere, die Futter besser verwerten und weniger Behandlungen mit Arzneimitteln benötigen. Insbesondere der Einsatz von Antibiotika soll reduziert werden. So weit zumindest die Theorie.

Was an dieser Idee dran ist, das erforschen Veterinärmediziner der Freien Universität Berlin seit einigen Jahren. 2010 wurde mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) der Sonderforschungsbereich (SFB) „Ernährung und intestinale Mikrobiota -Wirtsinteraktionen beim Schwein“ eingerichtet. Professor Jürgen Zentek vom Institut für Tierernährung der Freien Universität ist der Sprecher des Sonderforschungsbereichs. „Aktuell sind viele probiotische Präparate als Futtermittelzusatz in der EU zugelassen. Allerdings gibt es nach wie vor zu wenige wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, wie sie funktionieren und ob und warum sie der Gesundheit von Tieren überhaupt nutzen.“

Selbst wenn Experten am SFB über die Darmmikrobiotika beim Schwein sprechen: Immer klingt mit, dass man vieles noch nicht weiß. Ein Großteil der Bakterien im Darm ist bis heute nicht erforscht. Die meisten Keime kann man für Laboruntersuchungen aufgrund ihrer physiologischen Besonderheiten nicht kultivieren.

Die Beschreibung der Zusammensetzung ist jedoch mithilfe moderner molekularbiologischer Methoden möglich. Dadurch haben sich in den vergangenen Jahren völlig neue Perspektiven für die Forscher ergeben. In der Tierernährung kommen verschiedene Stämme probiotischer Bakterien gezielt zum Einsatz, die – das zeigen die Forschungsergebnisse des SFBs deutlich – unterschiedliche und sehr spezifische Auswirkungen auf das mikrobielle Ökosystem der Tiere haben können.

Jürgen Zentek hält schon alleine deshalb wenig vom undifferenzierten Umgang mit Nahrungsergänzungsmitteln – nur weil sie dem Anschein nach natürlicher und vermeintlich unbedenklich sind. „Es ist sicherlich falsch, einfach pauschal von ,den' Probiotika zu sprechen“, sagt er. Bisher konnte gezeigt werden, dass sich die Mikroorganismen positiv auf landwirtschaftliche Nutztiere auswirken. Eine Leistungssteigerung wie bei den früher zugelassenen Zusatzstoffen mit antibiotischer Wirkung bewirken Probiotika zum Teil auch.

Probiotische Zusatzstoffe können jedoch die Verdauung von Ferkeln verbessern. Eine nicht unwichtige Erkenntnis. Durchfall bei den Jungtieren ist ein erhebliches Problem, das vor allem in der Phase auftritt, wenn die Jungtiere von der Mutter getrennt werden. Welche Mechanismen dabei genau die „Darmgesundheit“ der Tiere verbessern – an dieser Frage arbeiten am Sonderforschungsbereich mehr als 50 Wissenschaftler und 26 Doktoranden in 15 Gruppen.

Neben Wissenschaftlern der Freien Universität auch Forscher der Humboldt-Universität, der Charité – dem gemeinsamen medizinischen Fachbereich von Freier Universität und Humboldt- Universität –, des Bundesinstituts für Risikobewertung und des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung. „Solch eine Fragestellung ist sehr komplex, deshalb sind wir sehr froh, dass in den einzelnen Gruppen Wissenschaftler aus ganz verschiedenen Disziplinen zusammenarbeiten“, sagt Zentek. Mikrobiologen und Bioinformatiker, Immunologen und Anatomen haben dabei gemeinsam Teilfragen bearbeitet und zahlreiche Ergebnisse publiziert.

Gesunde Muttermilch. Reichert man das Futter der Sau mit Probiotika an, wirkt sich das auch auf die Gesundheit der Ferkel aus.

Gesunde Muttermilch. Reichert man das Futter der Sau mit Probiotika an, wirkt sich das auch auf die Gesundheit der Ferkel aus.
Bildquelle: Sonja Martens

Die Immunologin Lydia Tedin forscht in einer Gruppe, die der Frage nachging, welche Auswirkungen bestimmte probiotische Bakterien auf das Immunsystem von Schweinen haben. Sie untersuchte zum Beispiel, was mit dem Immunsystemeines Ferkels passiert, wenn das Muttertier mit dem Futter Probiotika zu sich nimmt. Würde sich das Immunsystem der Muttersau verändern – und das des Ferkels durch die Muttermilch ebenfalls?

Die Forscher untersuchten dazu das Darmgewebe der Ferkel auf bestimmte Immunzellen. Und konnten feststellen, dass die Probiotika tatsächlich nicht nur das Immunsystem des Muttertieres beeinflussen, sondern sich über die veränderte Zusammensetzung der Milch auch der immunologische Status im Ferkeldarm verändert. „Ich war skeptisch, ob wir überhaupt einen Einfluss der Probiotika würden messen können. Einen quantitativen Unterschied haben wir bei unseren Untersuchungen klar festgestellt“, sagt Tedin.

Gemeinsam mit dem Mikrobiologen Wilfried Vahjen ging sie weiter der Frage nach,was ihreMessergebnisse für die Gesundheit der Tiere zu bedeuten hatten: „Die Frage ist: Wann ist ein stimuliertes Immunsystem wirklich gut und sinnvoll für ein Tier?“ Schließlich gibt es im Leben eines Ferkels auch Situationen, wo es besser sein könnte, die körpereigenen Abwehrsysteme zu beruhigen - anstatt sie in Alarmzustand zu versetzen.

Wilfried Vahjen untersuchte die Bakterien im Kot von Sauen und Ferkeln, um festzustellen, ob und wie sich die Bakterien im Verdauungstrakt der Tiere durch die Fütterung verändern. „Man kann zwar nicht pauschal von guten oder schlechten Bakterien sprechen – aber wir konnten zeigen, dass etwa die Zahl der Milchsäurebakterien zugenommen hat.“ Das lässt nach dem derzeitigen Stand der Forschung doch auf einen positiven Effekt der Probiotika schließen. Denn Milchsäurebakterien gelten als völlig unbedenklich und können zu einer Stabilisierung der Darmgesundheit führen.

Mit jeder Entdeckung stellen sich den Forschern jedoch auch ganz neue Fragen. Profitieren Landwirte von einem Probiotikum dann am meisten, wenn sie es an die Muttersauen verfüttern – oder ist es sinnvoller, den Futterzusatzstoff dem Fressen für die Ferkel gezielt in besonders kritischen Phasen beizumischen? „Bisher haben wir gedacht, dass die Fütterung an die Muttersauen der elegantere Weg sei. Jetzt sind wir uns aber nicht sicher, ob das wirklich den besten Effekt für die Gesundheit der Ferkel hat“, sagt Wilfried Vahjen.

Unter Umständen sei es durchaus vorstellbar, dass die Nachrichten des Immunsystems der Muttersau an ihre Ferkel diese nicht widerstandsfähiger, sondern im Gegenteil anfälliger für Krankheiten machten. „Die Frage, welches Probiotikum zu welchem Zeitpunkt verfüttert werden müsste, stellt sich uns ebenfalls noch.“ Und dann sind Schweine ja auch Individuen. Und als solche reagieren sie unterschiedlich, auch wenn Umwelt und Ernährung gleich sind. Doch wie kann und müsste eine optimale Tierfütterung auf solche Unterschiede angepasst werden? An diesen Fragen wollen die Wissenschaftler des Sonderforschungsbereichs weiter arbeiten. Folgeprojekte sind bereits in Planung. Sie sollen 2014 beginnen.

„Gesunde Tiere – sichere Lebensmittel“: Was das bedeutet, wollen angehende Forscher und Lehrer der Freien Universität Berliner Schülern vermitteln. An vier Schülertagenwerden Einblicke in die Forschung am Fachbereich Veterinärmedizin geboten.

Im September bieten Doktoranden des Sonderforschungsbereiches und Lehramtsstudierende der Biologie erstmalig ein lehrreiches Programm mit verschiedenen Stationen rund um die Themen Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit an. Warum Fleisch in der Pfanne schrumpfen kann und was das mit Lebensmittelqualität und Veterinärmedizin zu tun hat, das können Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe mit Experimenten und Tests am Sonderforschungsbereich herausfinden. Die Teilnehmer können sich zum Beispiel im Mikroskopieren üben oder Nachweisverfahren aus der Mikrobiologie ausprobieren.

Weitere Informationen

Informationen erhalten Interessierte bei Robert Pieper, E-Mail: robert.pieper@fu-berlin.de.