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Was TV-Berichte über Wahlkämpfe mit Pferderennen zu tun haben

Doktorand untersuchte Fernsehjournalismus in Wahlkampfzeiten

08.08.2013

Bis ans Ende seines politischen Lebens hat ihn die Sache mit dem Panzer verfolgt. Diese eine Fahrt in einem M1-Kampfpanzer, die eigentlich markige Bilder von Mike Dukakis für die Fernsehnachrichten liefern sollte. Doch der Pressetermin des politischen Gegners von George Bush Senior bei einem Rüstungsbetrieb im Bundesstaat Michigan geriet zum Pressedesaster. Der Kandidat wurde bei der Fahrt ordentlich durchgeschüttelt, mit dem großen Helm auf dem Kopf sah das Ganze weniger nach Führungsstärke aus, sondern eher nach einer Parodie.

Die US-amerikanischen Fernsehstationen zeigten die Bilder von Dukakis oft. Doch nicht, um damit Inhalte seiner Verteidigungs- oder Außenpolitik zu bebildern, sondern um den Beweis zu liefern, dass Dukakis im Vergleich zu Bush den Umgang mit der Presse nicht so gut beherrsche. Im Vergleich der beiden Spitzenkandidaten lieferte der Republikaner den Fernsehstationen einfach die besseren Bilder und Statements als der Demokrat. Dukakis verlor die Wahl.

Auch die US-amerikanischen Medien ließen im Wahlkampf 1988 Federn. Sie mussten sich danach vorwerfen lassen, in ihrer Berichterstattung über den Wahlkampf die Inhalte aus den Augen verloren zu haben. Stattdessen ging es nur um die Frage: Welcher Kandidat ist professioneller, welcher schneller, welcher liegt wahrscheinlich in Umfragen in Führung? Bis heute gilt die Berichterstattung über dieWahl von 1988 als Paradebeispiel des „Horse Race“-Journalismus.

Also jener Form der Wahlberichterstattung, bei der die Programme der Parteien kaum noch wichtig sind, ebensowenig wie die politischen Ideen ihrer Kandidaten. Anstelle dessen werden Umfragewerte der einzelnen Kandidaten wie Wettkampfzeiten bei einer Sportberichterstattung miteinander verglichen. Wer macht das Rennen - und wer eher nicht?

Deutschland ist nicht die USA, und besonders in Wahlkampfzeiten zeigt sich, wie unterschiedlich die Länder sind. Trotzdem stellen sich auch hier Medienwissenschaftler immer wieder die Frage, wie viel vom politischen „Pferderennen“ mittlerweile auch im deutschen Journalismus angekommen ist. Eine Dissertation am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin beschäftigte sich etwa mit Personalisierungstendenzen in den Hauptnachrichtensendungen privater und öffentlich-rechtlicher Sendeformate.

Untersuchungen zu Personalisierungstendenzen in den Nachrichten gebe es in der Kommunikationswissenschaft zwar schon einige, räumt der Autor Christian Anders ein. Umso mehr interessierte ihn die Frage, wie sich dieser Trend über einen längeren Zeitraum verändert hat – insbesondere nach Einführung des dualen Rundfunksystems mit öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern: „Ich wollte unter anderem wissen, inwiefern die Personalisierung in der Wahlberichterstattung ein Nebeneffekt neuer Parteistrategien im Wahlkampf ist", sagt er.

Politische Kommunikation in Wahlkampfzeiten kennt Christian Anders auch von der anderen Seite. Er ist wissenschaftlicher Referent der CDU-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, bis zum vergangenen Jahr war er sogar ihr Pressesprecher. Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern schaffte es freilich nicht so häufig in die Hauptnachrichtensendungen wie die Bundestagswahlen, auf die sich Anders in seiner Untersuchung konzentriert hat.

Für seine Arbeit nahm er sich die Berichterstattung über die Wahlen 1983 bis 2005 in den Hauptnachrichtensendungen der ARD und von 1987 an auch bei RTL vor. Sieben Wahlkämpfe, in denen der Kandidat der CDU fünf Mal Helmut Kohl hieß und der Kontrahent der SPD drei Mal Gerhard Schröder. Für das Rundfunksystem in Deutschland eine Zeit, die vielleicht noch spannender war als für die Parteienlandschaft, sagt Christian Anders: „Welche Frage die Dualisierung des Rundfunksystems für die Qualität des politischen Journalismus spielt, ist bis heute nicht abschließend beantwortet. Es gibt jedoch einige Hinweise, dass ein Konvergenzprozess stattfindet.“ Was bedeuten würde, dass sich Sender und ihre Inhalte immer mehr ähneln – und deshalb auch die Art und Weise, wie über einen Bundestagswahlkampf berichtet wird. Die Vorstellung, dass es vor allem die privaten Sender sind, die zu einer Berichterstattung über Personen anstatt über politische Inhalte neigen, würde sich demnach mit der Zeit von selbst erledigen.

Für seinen Vergleich sah sich Anders die Nachrichtenbeiträge der Tagesschau und von RTL aktuell an – und zwar für jeden Tag im Monat vor dem Wahltermin. Mehrere hundert Beiträge suchte er nach O-Tönen, Bildern und politischen Aussagen der Spitzenkandidaten ab und kategorisierte alles bis in die einzelnen Schnittabfolgen. Die Auswertung der Daten bestätigte wie erwartet manche seiner Arbeitsthesen. Einige Punkte findet Anders dennoch bemerkenswert: „In den wenigsten Fällen kann man tatsächlich von einer Personalisierungsdynamik sprechen.“ Nur in weniger als 20 Prozent der untersuchten Wahlkampfberichte sei eine signifikante Zunahme zu erkennen gewesen. Auch den Trend, dass es vor allem die Spitzenkandidaten von CDU und SPD sind, die es in die Nachrichten schaffen, konnte er belegen. „Spannend war jedoch vor allem, dass zum Beispiel der sogenannte Kanzlerbonus im Verlauf der Zeitreihen von 1983 bis 2005 in den Nachrichten schwindet.“ Dadurch werde es auch in deutschen Medien zunehmend sportlich – und über dem Wettkampfgedanken des „Horse Race“–Journalismus blieben die Inhalte anscheinend öfter auf der Strecke.

Etwas anfälliger für eine solche Art der Berichterstattung war nach Anders Untersuchung dabei das Privatfernsehen. Doch die Idee des Kopf-an-Kopf-Rennens spielt auch im öffentlich- rechtlichen Fernsehen eine immer größere Rolle. Tröstlich für den Zuschauer ist nur eines: Beim Fernsehen hat man nicht nur die Wahl zwischen privaten und öffentlich rechtlichen Sendern. Man kann auch einfach ausschalten.