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In Berlin die Theater der Welt begreifen

Bund fördert Forschungskolleg zu Verflechtungen von Theaterkulturen für weitere sechs Jahre

26.09.2013

Von der Uni zur Bühne. Studenten aus Tétouan (Marokko) und Berlin brachten Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ unter Leitung von Michael Roes in Nordafrika auf die Bühne.

Von der Uni zur Bühne. Studenten aus Tétouan (Marokko) und Berlin brachten Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ unter Leitung von Michael Roes in Nordafrika auf die Bühne.
Bildquelle: Forschungskolleg

Kaveh, ein junger Tänzer aus Teheran, wird für seine Leidenschaft verfolgt: In seiner Heimat ist Tanzen verboten, und so flieht er nach Berlin. Hier ist seine Zukunft ungewiss.

Wie Kaveh in dem Tanzstück „InMotion“ bewegen sich die meisten Figuren auf der Bühne des Ballhauses Naunynstraße in Kreuzberg zwischen verschiedenen Kulturen. Das Theater verortet sich selbst als „postmigrantisch“: Nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne kommen Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen.

„Die junge Generation mit Migrationshintergrund schafft ihre ganz eigenen Geschichten und eine neue Perspektive auf das, was wir zu kennen glauben“, sagt die Theaterwissenschaftlerin Christel Weiler von der Freien Universität mit Blick auf dieses Geschehen.

Wie sich verschiedene Theatertraditionen zu etwas ganz Neuem zusammenfügen, liegt im Fokus der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am dortigen Internationalen Forschungskolleg mit dem Titel „Verflechtungen von Theaterkulturen“. Jährlich gehen hier rund zehn Fellows aus allen Teilen der Welt Forschungsfragen nach, die sich diesem Aspekt widmen. Sie untersuchen etwa Breakdance in China oder die Auswirkungen des Kolonialismus auf das Theater in der arabischen Welt.

Gegründet wurde die Forschungsgruppe 2008 als eines von zehn sogenannten Käte-Hamburger-Kollegs in Deutschland. Zehn Millionen Euro erhielt es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, das sich zum Ziel gesetzt hatte, Freiräume für die Geisteswissenschaften zu schaffen.

Nun hat der Bund entschieden, das Kolleg für weitere sechs Jahre – bis 2020 – zu fördern. Geleitet wird es von den Professorinnen Erika Fischer-Lichte und Gabriele Brandstetter sowie von Christel Weiler und Professor Matthias Warstat. Aufgabe des Direktoriums ist es, anhand der einzelnen, sehr speziellen Fallstudien, eine übergeordnete Theorie abzuleiten.

Die ersten sechs Jahre hätten gezeigt, sagt Erika Fischer-Lichte, dass Verflechtungen nicht nur den thematischen Rahmen für die Arbeit der Fellows bilden. Sie finden auch im Alltag der Wissenschaftler statt: „Keiner der Stipendiaten kommt hierher, ohne durch Begegnungen in seiner Arbeit beeinflusst zu werden.“

Gäste und Direktorium arbeiten unter einem Dach: Die Bibliothek, eine große Küche und ein Garten laden zum Zusammensitzen ein. In einem wöchentlichen Seminar stellt je ein Stipendiat den Stand seiner Arbeit vor. So wisse jeder, woran der andere arbeite, sagt Fischer-Lichte.

Auch nach ihrem Aufenthalt in Berlin bleibe die Verbindung mit den Fellows häufig bestehen, sagen die Direktorinnen. Durch den marokkanischen Wissenschaftler Khaled Amine etwa sei ein lebhafter Dialog mit Theaterexperten der arabischen Welt in Gang gekommen: Die Berliner Wissenschaftlerinnen sind regelmäßig an dortigen Konferenzen beteiligt und lernen auf diese Weise die Theaterkultur ihrer Partner kennen.

Auch eine gemeinsame Theateraufführung von Studierenden aus Berlin und Tanger ist aus dem Kontakt entstanden: Unter der Leitung des Fellows Michael Roes brachten sie Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ in Marokko auf die Bühne. Wenn die Arbeit des Forscherkollegs außerhalb des akademischen Betriebs wirkt, sei das sehr willkommen: „Für Teile der Zuschauer bot der Stoff einiges an Zündstoff“, sagt Christel Weiler angesichts des Stücks, in dem Sexualität verhältnismäßig offen thematisiert wird.

Auch im Alltag gehe es nicht nur um vertieftes Forschen: Für die Stipendiaten seien Einblicke in die Berliner Theaterszene ebenso faszinierend. „Wir sind keine Forschungsinsel, sondern wollen auch Einsichten in die politische Ebene des hiesigen Kulturlebens vermitteln“, sagt Fischer-Lichte. In regelmäßigen Abständen werden zum Beispiel Dramaturgen, Theaterdirektoren und Mitarbeiter aus Förderinstitutionen eingeladen.

„Wenn wir unsere Gäste über die vielfältige Theaterszene hier schwärmen hören, wird uns oftmals deutlich, dass wir selbst das Angebot manchmal gar nicht mehr ausreichend schätzen“, sagt Christel Weiler. Über die Weiterförderung sind auch ehemalige Gastwissenschaftler froh: Bei der Begutachtung durch das Bundesforschungsministerium zeigten sie sich begeistert von ihrer Zeit in Berlin. Kooperationspartner wie das Haus der Kulturen der Welt und das Internationale Theaterinstitut hätten sich ebenfalls für das Kolleg stark gemacht.

„Schließlich handelt es sich weltweit um die einzige Institution mit einem solchen theaterwissenschaftlichen Schwerpunkt“, ergänzt Fischer-Lichte. Für sie steht zur Halbzeit fest: „Das Kolleg ist eine einmalige Errungenschaft.“ Ungebrochen ist die Neugier auf zukünftige Stipendiaten und das Wissen, das sie mitbringen werden.

Weitere Informationen

Im Internet

www.interweaving-performance-cultures.com